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Frauenverbrennung
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Über einige alte, aber aktuelle Fragen unter Anarchisten, und nicht nur…
Hier ein weiterer wichtiger anarchistischer Text den wir nicht ohne Grund ausgegraben haben. Im Text ist immer wieder die Rede über die ‚Angry Brigade‘, hier eine Broschüre dazu die wir vor längerem übersetzten.
Über einige alte, aber aktuelle Fragen unter Anarchisten, und nicht nur…
Originaltitel:
Su alcune vecchie questioni d‘attualità fra gli anarchici, e non solo
Erschien 2003 in Italien
Der Text wurde im Sommer 2009 aus dem Italienischen ins
Deutsche übersetzt und nun für diese Brochüre überarbeitet.
Die Einleitung und die Anmerkungen wurden der niederländischen Ausgabe dieses Textes beigefügt und hier übersetzt und übernommen.
Einleitung
Es gibt Fragen, die schon seit Jahrhunderten die Geschichte der Revolte begleiten. Es sind Fragen, die stets zurückkommen werden, die in schwierigen Momenten an unserer Tür klopfen und sich gewaltsam Zutritt verschaffen… um plötzlich unsere Absichten völlig in Frage zu stellen. Es sind Fragen, die nur selten in geschriebenen Worten Niederschlag gefunden haben. Wir werden oft mit ihnen konfrontiert, sei es durch Diskussionen mit Kameraden, durch das Wühlen in unseren Köpfen oder durch das Kennenlernen von Erfahrungen aus anderen Gegenden und anderen Zeiten.
Eine dieser Fragen ist das alte Problem der revolutionären Avantgarden, der Selbstrepräsentation von diesen, als wären sie das radikalste Sprachrohr der Ausgebeuteten, und der Spezialisierung, die es unmöglich macht, mit allen Mitteln zu agieren, die uns zur Verfügung stehen. Ausgehend von diesem Problem werden wir auch mit konkreteren und praktischeren Überlegungen konfrontiert. Welche Rolle spielen Bekennerschreiben? Welche Beweggründe verstecken sich hinter bestimmten Methoden zu bestimmten Momenten?
Ausgehend vom Italienischen Kontext versucht dieser Text ein paar dieser Probleme anzugehen. Es geht hierbei nicht um die x-te Kritik an Organisationen und Gruppen, die uns sehr fern sind, sondern um eine Kritik dicht bei uns, um Anarchisten, die offenbar immer öfters die Entscheidung treffen, einige alte Kadaver wieder auszugraben. Diese Kritik richtet sich gewiss an die informelle anarchistische Föderation (FAI), in deren Namen sich verschiedene Gruppen in den vergangenen Jahren zu Anschlägen und Briefbomben bekannten, auch wenn dieser Text noch vor der Reihe von Brandbriefen an Europäische Institutionen geschrieben wurde, die gegen Ende des Jahres 2003 für Aufruhr sorgte. Die Situation der Bewegung in Italien liegt uns nah am Herzen, doch wir denken dennoch, dass es hier bedeutende Unterschiede zu anderen Ländern in Europa (und sonstwo) gibt. Dieser Text kommt daher aus einer spezifischen Situation und einer Kritik hervor, die darin gewachsen ist, wodurch er automatisch auch seine Grenzen kennt. Dennoch greift er Fragen auf, die alle etwas angehen. Und nicht nur diejenigen, die sich mit ein paar sonderbaren Versuchen konfrontiert sahen, die beabsichtigten, zu einer alternativen anarchistischen bewaffneten Organisation zu gelangen, während sie mit Begriffen und Konzepten von dem spielten, was Insurrektionismus genannt wird (ein Wort das wir lieber loswerden, anstatt uns zueignen wollen, denn wir sehen keinen Sinn darin, eine reichhaltige und breite Kampfperspektive auf irgendeine Ideologie und ihre Rethorik zu reduzieren).
Es gibt ein paar grundlegende Ideen, die für eine sinnvolle Diskussion über diese Fragen unentbehrlich sind. Ansonsten verwässert diese unvermeidlich zu einem quantitativen Gebot in scheinbarer Radikalität, die oft mehr aus Worten als aus wirklichem Engagement besteht. Ausserdem ist es schwierig, solche Diskussionen losgelöst von anderen Fragen zu führen, wie beispielsweise die Rolle der Propaganda, die Bedeutung von informeller Organisation, die Frage der Methoden. Auch hier verbergen sich die Grenzen dieses Textes und gleichzeitig die Öffnungen, um an Hand dieses Textes sinnvolle Diskussionen zu führen.
Der Aufstand ist für uns unbestreitbar ein soziales Ereignis. Sowohl der Aufstand wie die aufständische Methode sind ziemlich spezifische Konzepte, denen nicht einfach so irgendeine Auslegungen nach Geschmack und Moment gegeben werden kann. Eine solche linguistische Verwässerung trägt bloss zur Verwirrung bei, welche sehr praktische Folgen nach sich zieht. Der Aufstand ist der Prozess, wobei der Klassenantagonismus immer deutlicher an die Oberfläche tritt, bis zu dem Punkt, wo er seine ersten spezifischen Auslöser oder Ziele zurücklässt, alle sozialen Rollen auf den Kopf stellt und den Weg für etwas völlig anderes öffnet. Die aufständische Methode ist also unter anderem die Entscheidung, sich an Kämpfen mit beschränkten Zielen zu beteiligen, die sich durch ihre Wahl des Angriffs und der Selbstorganisation auszeichnen, wobei der Bruch mit der Normalität, das Anwachsen der Solidarität und der Kampferfahrungen, die die revoltierenden Ausgebeuteten und Unterdrückten anwenden – und nicht die vielleicht auch nicht erreichten quantitativen Resultate – der Einsatz und der „Gewinn“ sind. Es ist ein qualitativer Sprung nach vorne, die resolute Erkennung des Klassenfeindes und der Macht in ihren konkreten Strukturen.
Wie wir weiter oben bereits sagten, halten wir es für wichtig, die wahre Bedeutung der Wörter und Konzepte nicht zu verdrehen oder auszuhöhlen. Die aufständische Methode ist eine Methode neben vielen anderen, und vor allem gibt es die ganze subversive Dynamik, worin sich die verschiedenen Methoden gegenseitig nähren und stimulieren. Mit anderen Worten, indem wir das Wort „Aufstand“ in den Mund nehmen, haben wir nicht alles gesagt. An der Basis des sozialen Krieges, und somit von dessen aufständischen Äusserungen, steht die individuelle Revolte. Diese individuelle Revolte kann nach ihrer sozialen Bedeutung suchen und versuchen auf den Wogen der sozialen Konflikte schwimmen zu lernen. Andererseits kann sie auch selbst weiterwachsen und sich ausbreiten, ihre eigenen Ausdrücke suchen, ohne dass sie deswegen aufhört, Teil des sozialen Krieges auszumachen. Als revoltierendes Individuum neben anderen revoltierenden Individuen, die ihre Wege zur Subversion je nach Geschmack und Möglichkeiten wählen.
Darüber hinaus soll der soziale Aspekt des Aufstandes nicht als quantitative Angelegenheit interpretiert werden. Als Individuum oder als kleine Gruppe von Individuen zu handeln bedeutet nicht, isoliert zu handeln und ebenso wenig bedeutet eine handelnde Masse, dass ein aufständischer Prozess in Gang gesetzt wird. Es ist vielmehr die Dynamik des Konfliktes, die sozial ist und diese Welt der Autorität und Ausbeutung in Frage stellt und angreift.
Subversion ist nicht die quantitative Summe der Anzahl Schläge, die wir dem Feind zusetzen. Sie ist nicht eine Frage des Masses an „ät“ der Mittel, die verwendet wurden. Subversion liegt gerade in dem in Frage Stellen der gesamten Gesellschaft, dem auf den Kopf Stellen ihrer Ordnung und der konsequenten Verweigerung der Rollen, die uns auferlegt werden. Unter den Mitteln, die wir dafür verwenden braucht keine Hierarchie angebracht zu werden. Es geht schlicht darum, alles was uns zur Verfügung steht zu vermischen und im richtigen Moment anzuwenden. Bedeutet dies, dass Worte alleine ausreichen? Nein, ebenso wenig wie es bedeutet, dass Waffen alleine ausreichen. Bedeutet dies, dass wir gewisse Mittel nur gebrauchen können, wenn „die Masse“ sie als positiv anerkennt? Nein, ebensowenig wie es bedeutet, dass wir nicht darüber nachdenken können, welche Mittel in welchem Moment am geschicktesten sind. Um darüber nachzudenken, können wir ein paar Sachen im Hinterkopf behalten. Wie beispielsweise die soziale Verbreitbarkeit von bestimmten Methoden. Technische Spitzenleistungen nehmen nur allzu oft den Platz einer subversiven Intelligenz ein. Auch Kreativität ist sozial und sicher keine rein technische Angelegenheit. Die Wahl unserer Ziele ist ebenso wenig belanglos. Wenn wir die Macht als Winterpalast betrachten, den es einzunehmen gilt, wenn wir die Macht als eine Zentralität betrachten, dann folgt daraus logischerweise, dass wir nur im Parlament einen wirklichen Feind erkennen. Wenn wir die Macht hingegen als etwas sehen, dass überall verstreut in Strukturen und Personen Form annimmt, dann öffnet sich ein ganzes Spektrum von einfachen und breitgefächerten Angriffen. Dann spricht die Aktion von unserer Überzeugung, nämlich, dass die Macht ein soziales Verhältnis ist, das überall in Frage gestellt werden kann.
Diese Fragen sollen immer im Umlauf bleiben. Es ist wichtig, dass wir uns selbst nicht von ihnen abschirmen weil sie zu lästig sind. Diese Diskussionen können unsere Praktik und unsere Ideen nur schärfen, mit dem Schleifstein der Kritik und der Lehren, die wir aus Erfahrungen von anderen Kameraden ziehen.
Anmerkung des Übersetzers (Sommer 2009):
Die Verwendung des Wortes Kameraden als Übersetzung von compagni aus dem Italienischen ist eine (Wieder)Aneignung. Eine Erinnerung daran, dass dieses Wort auch im deutschsprachigen Raum einmal im (nicht-rechten) populären Sinne gebräuchlich war. Im Bezug auf die Freiheit wie sie im anarchistischen Diskurs gebraucht wird. Nicht im Sinne der Ideologien aus der Ecke der Buden, der autonomen Nazis, des braunen Miefs der Kameradschaften, die es erfolgreich schafften, diesen Begriff nach Rechts zu ziehen und zu vereinnahmen (bzw. aus der Ecke der Bundeswehr/Bundesheer und Soldaten sowie anderer staatlicher Institutionen).
Ich machte mir hier Gedanken über verschiedene Ausdrucksweisen die zur Zeit in Gebrauch sind, bisher aber keine zufriedenstellend; Genossen, Gefährten, Kumpanen, Kumpel. Auch diese sind holprig bzw. von der Kommunistischen/Linken Diskussion vereinnahmt oder geprägt. Warum also nicht aufs Ganze gehen und den ursprünglichen Begriff (wieder) in unsere Hände nehmen?!
Es wäre interessant darüber mit anderen Kameraden/ Genossen/ Gefährten/ Kumpanen/ Kumpel zu diskutieren.
Über einige alte, aber aktuelle Fragen unter Anarchisten, und nicht nur…
Ich bin gewiss nicht gewaltlos. Trotzdem kann ich diejenigen verstehen, die Gewalt so sehr verabscheuen, dass sie sie aus ihrem Leben verbannen wollen; diejenigen, die niemals töten würden, niemals Gewalt anwenden würden, um sich Gehör zu verschaffen, diejenigen, die es aufgrund ihres Charakters und ihrer persönlichen Haltung vorziehen, keinen Gebrauch von ihr zu machen. Ich kann all dies jedoch nur verstehen, wenn es sich um eine individuelle und sukzessive Entscheidung handelt. Wenn die Gewaltlosigkeit als Kampfmethode präsentiert wird, wenn sie als zu befolgender Weg vorgeschlagen wird, wenn die individuelle Ethik zu einer Moral und einem kollektiven Projekt wird, dann erscheint mir dies wahrlich als Schwachsinn, der einzig zur Rechtfertigung von Untätigkeit nützt. Dann wird sie zum Hindernis für jene, die rebellieren und zu einem absoluten Wert, der den Schwachen auferlegt wird, um den Mächtigen zu ermöglichen, sich bequemer zurückzulehnen. Am Rande des Abgrunds, mit immer rutschigerem Boden unter den Füssen und unter Feindesbeschuss, kann die Einladung, ausschliesslich gute Manieren zu gebrauchen, nur derart aussehen. Mach doch was du willst, aber spar dir die Predigten.
Dies gesagt, bin ich auch kein Fanatiker der Gewalt. Ich mag diejenigen nicht, die mit ihrer Kühnheit in diesem Bereich prahlen. Ich rechtfertige ihre Verteidigung nicht als Ziel an sich. Ich verachte diejenigen, die sie als alleinige Lösung betrachten. Ich betrachte sie als Notwendigkeit im Kampf gegen die Herrschaft, und nichts weiter. Wie Malatesta glaube auch ich nicht an „stille Untergänge“. Ich glaube nicht, dass sich der Stahlbeton, mit dem die Macht unsere Existenz bedeckt hat, durch das Erblühen der Blumen der Freiheit auflösen wird, die durch Verbreitung unserer Ideen liebevoll gepflanzt wurden.
Eben weil ich nicht gewaltlos bin, kann ich die moralistische Verdammung von Gewaltakten nicht ausstehen. Deren Heuchelei verursacht Übelkeit in mir. Aber eben weil ich kein Fanatiker der Gewalt bin, kann ich die unkritische Verherrlichung solcher Akte ebensowenig ausstehen. Deren Dummheit geht mir wirklich auf die Nerven.
Kürzlich sind einige Angriffe, die von unbekannten Kameraden erst gegen das Polizeipräsidium von Genua und dann gegen das spanische Gefängnisregime begangen wurden <1> in den Vordergrund getreten. Die hysterische Reaktion der Medien war ebenso vorhersehbar wie die Reaktion der Polizei. Aber wie ist die Reaktion der Kameraden? Abgesehen von den üblichen Trotteln, die der Suche nach den verborgenen Beweggründen verfallen, ist Stille die häufigste Reaktion. Eine notwendige Stille, um eine Trennung zwischen Fürsprechern und Gegnern zu vermeiden, welche bloss den polizeilichen Ermittlungen zunutze kommen würde. Doch schon für zu lange Zeit begrenzt sich diese Stille nicht nur auf die Tage nach den Angriffen und erstreckt sich weit darüber hinaus. Es ist nicht mehr Stille im Angesicht des Feindes, der gerne wissen würde, es ist Stille unter Kameraden, die sich gerne verstehen würden. Von der Anwesenheit einer minimalen Form von Solidarität ist man zur Abwesenheit jeglicher kritischen Diskussion gelangt. Aber warum sollten Taten, welcherart auch immer sie sind, keiner kritischen Reflexion unterzogen werden? Warum sollte eine hypothetische Auseinandersetzung über solche Fragen als Hindernis betrachtet werden, als wäre es etwas, das darauf abzielt, ähnliche Aktionen zu verhindern? Warum könnte es stattdessen nicht eine Stütze sein, eine Methode um die Bedeutung dessen, was man tun will, zu klären, um die Taten zu stärken und zu verbessern?
Ich für meinen Teil habe mich entschieden, die kürzlichen Ereignisse als Ausgangspunkt nehmend, diesen Text zu schreiben und zu verbreiten. Seine anonyme Form gründet nicht in der Angst davor, Verantwortung für meine Worte zu übernehmen, sondern ist bloss ein Mittel, um mich in den Augen der Repression nicht von anderen Kameraden zu unterscheiden.
Bekennerschreiben ja, Bekennerschreiben nein
Soweit ich weiss (ich bin kein Experte auf dem Gebiet, daher könnte ich mich auch irren) müssen wir ins Russland des Jahres 1878 zurückgehen, um das erste Bekennerschreiben zum Angriff einer revolutionären Organisation aufzufinden. Es handelt sich um eine Broschüre namens Smert‘ za smert‘ (ein Tod für einen Tod), welche nach dem Mord am General Mezencov, dem Kopf der russischen Geheimpolizei, von der Gruppe Narodnaja Volja <2> (Volkswille) verbreitet wurde. 13 Tage nach dem Mord wurde die Bekennerbroschüre einer Tageszeitung von St. Petersburg zugestellt. An den darauffolgenden Tagen gelangen viele weitere Kopien an zahlreiche Regierungsfunktionäre in anderen Städten. Zu dieser Zeit erregte die Aktion grosses Aufsehen und es mangelte – natürlich – nicht an der Kritik von denjenigen, die dachten, dass die Anwendung solcher Mittel das wichtigere Werkzeug, die Propagierung der Idee einer Massenrevolte, weder ersetzen noch flankieren könne.
Seit damals hat sich diese Szene hunderte Male wiederholt. Selbstverständlich verändern sich die Details von Mal zu Mal, aber die Substanz bleibt dieselbe. Man könnte fast sagen, dass die Erfahrung dieser russischen Revolutionäre zu einer Art Archetyp wurde, zu einem Originalmodell, dessen nachfolgende Erscheinungsformen in Wahrheit nichts anderes als Herleitungen oder Imitationen sind. Die einzige Veränderung innerhalb dieses Schemas haben jene Anarchisten herbeigeführt, die es nie für nötig hielten, sich zu den eigenen Angriffsaktionen gegen die Macht politisch zu bekennen. Tatsächlich trat die russische Gruppe „Volkswille“, obwohl sie „Militante“ mit verschiedensten Ideen versammelte, als zentralisierte Avantgarde hervor. Wie sich eine Militante in ihren Memoiren erinnert, wurde im Innern dieser Organisation diskutiert, ob das zu befolgende Programm sein soll, «die Regierung zu zwingen, dem Volk zu erlauben seinen Willen frei und ohne Hindernisse auszudrücken und das politische und ökonomische Leben wieder aufzubauen… oder ob die Organisation zuerst versuchen sollte, die Macht in ihre eigenen Hände zu nehmen, um dann von oben eine Verfassung zu erlassen, die zum Vorteil des Volkes wäre».
Unter solchen Voraussetzungen kann man ihr Bedürfnis sich zu bekennen und den Massen, die sie emporzuheben gedachten, und dem Feind, als dessen Gegenstück sie sich betrachteten die Gründe für ihre Aktion mitzuteilen gut verstehen. Schliesslich wollte sich diese Gruppe ans Volk wenden (wenn auch beinahe all ihre Mitglieder aus der wohlhabenderen Klasse kamen) und musste in dessen Namen mit der verfassungsgebenden Macht verhandeln, bis dahin, dass sie dem Thronfolger des Zaren einen Brief zuschickten, indem sie ihm Rat erteilten, welcher Politik er folgen sollte.
Aber wenn man weder irgendjemanden repräsentieren, noch sich als jemandes Gegenstück hinstellen will, wieso dann Communiqués verbeiten? Wenn man denkt, dass der Akt des Angriffs gegen die Macht in jedem Fall die soziale Revolution in Aussicht haben muss, und nicht deren Parodie in Form des bewaffneten Kampfes gegen den Staat sein kann, was kann dann das Ziel einer spezifischen bewaffneten Organisation sein?
Es scheint mir nicht, dass sich die Anarchisten in Vergangenheit durch den Gebrauch von Bekennerschreiben unterschieden haben. Diejenigen Anarchisten, die sich durch individuelle Taten aufopferten, wie Bresci <3> und Caserio <4> taten es aus offensichtlichen Gründen nicht. Jene Kameraden, die beabsichtigten eine kontinuierlichere Aktivität zu entwickeln, wie Ravachol <5> oder Henry <6>, taten es genausowenig, wie die Kameraden, die sich mit anderen zur bewaffneten Aktion zusammentaten: Weder Di Giovanni <7> tat es, noch Durruti <8> oder Ascaso <9>. Und die Gründe dafür mussten wohl ziemlich ersichtlich gewesen sein. Mit dem Verlangen nach einer Revolution, die von der Basis ausgeht und dieser weder aufgezwungen wird, noch von oben herab lanciert wird, haben es all diese Anarchisten als zweckmäßig erachtet, im Schatten zu handeln, indem sie versuchten, sich von allem fernzuhalten, was sie ins Rampenlicht bringen könnte. Sie zogen es vor, die Gründe für ihre Aktionen von der Basis auskommen zu lassen, sodass es die Bewegung selbst war, die sie ausdrückte, anstatt einen Vorteil aus dem ausgelösten Wirbel zu ziehen, um sie von oben herab zu verbreiten, als eine offizielle Nachricht derer, die revoltiert hatten, an jene, die es nicht taten. Wenn die Bedeutung einer Aktion durch den sozialen Kontext nicht ersichtlich war, lässt sie sich in Flugblättern, Zeitungen, Revues und innerhalb der theoretischen Debatte, die von der Bewegung als Gesmatheit entwickelt wurde finden, und nicht im Communiqué einer einzelnen Organisation. Ich mache ein Beispiel: Wenn die Bewegung fähig ist, ihre theoretische Kritik am Gefängnis auszudrücken und jemand zur praktischen Kritik übergeht, dann besteht keine Notwendigkeit ein Communiqué zu schreiben, worin die Gründe dafür erklärt werden. Die Gründe seiner Geste sind bereits klar und verständlich. Wenn jemand ein Bekennerschreiben veröffentlichen will, dann nur, weil er sich selbst zur Schau stellen und die eigene Identität durchsetzen will. Der Angriff auf das Polizeipräsidium von Genua zum Beispiel, war so aussagekräftig (was die Wahl des Ziels und des Momentes angeht), dass alle Worte überflüssig wurden. Warum wurde ein Communiqué in Umlauf gebracht, dass nichts als Banalitäten aussagte?
Es stimmt, dass der Fall der Angry Brigade <10> eine Art Ausnahme darstellt, die noch immer ein Thema für Anarchisten ist, die sich für ihre Aktionen bekennen. Nicht durch Zufall scheint eben diese Erfahrung für viele Kameraden, die heute die Macht angreifen, eine Art Vorbild darzustellen. Und dennoch scheint mir das Beispiel nicht wiederholbar zu sein, es sei denn, man wolle sich in ein Nachahmeverhalten stürzen. Einerseits ist es unmöglich, ausser Acht zu lassen, dass die Angry Brigade in einem historischen Kontext eingefügt war, in welchem sie heranreifte (Anfangs der 70er Jahre). Zu einer Zeit, als viele stalinistische Gruppen entsetzliche ideologische Schinken aussäten, um ihr eigenes politisches Projekt zu propagieren und sich anschickten die Dimension des bewaffneten Angriffs zu dominieren, scheint es mir nicht unsinnig, dass sich so mancher Anarchist absondern wollte, um das Risiko nicht einzugehen, ungewollt Wasser auf die Mühlen Anderer zu gießen. Von der Wahl des Namens und jener mancher Ziele, bis hin zum Stil ihrer Communiqués schien sich alles tendenziell vom politischen Zerfall zu unterscheiden, der sie umgab. Aber, die ganze stalinistische Ideologie einmal überholt, welche Bedeutung kommt der Entscheidung zu, sich als Anarchist zu kennzeichnen; welchen Sinn hat es, diese Selbstrepräsentation fortzuführen? In Ländern wie Spanien vielleicht, wo alle Aktionen, einschliesslich der anonymen, regelmässig der ETA <11> zugeschrieben werden, aber sicher nicht hier in Italien. Tatsächlich haben Angriffsaktionen seit Jahren keine Communiqués hervorgebracht, ausser hin und wieder mal etwas kurzes und einfaches, dass die Verwendung jeglicher identitären Kennzeichnung ablehnte. Es sollte überflüssig sein, die Gründe dafür darzulegen: eine Aktion kann nur allen gehören, wenn sie sich niemand selbst zuschreibt. Von dem Moment an, wo man sich mit einer Identität bekennt, entsteht eine Trennung zwischen jenen, die sie ausführten und allen anderen. Darüber hinaus sollte es auch nicht nötig sein, an die Gefahren zu erinnern, die jedem Bekennerschreiben beiwohnen. Es ist gefährlich es zu übergeben, es zu verschicken, und vor allem ist es gefährlich, es zu schreiben, denn je mehr man schreibt, desto mehr Hinweise gibt man der Polizei (eine alles andere als hypothetische Gefahr, angesichts dessen, dass es zumindest ein negativer Präzedenzfall <12> existiert, der anarchistische Kameraden getroffen hat). Ein anonymer Angriff erlaubt niemandem hervorzutreten und vereinfacht nicht die repressive Arbeit der Polizei.
Wenn die Gründe, die zur Anonymität raten, nun mehr als einmal ausformuliert wurden, wurden es jene, die davon abraten hingegen nicht. Seit einigen Jahren haben sich die Dinge verändert, ohne dass es zu einer Diskussion kam, die ermöglicht hätte, die Gründe einer solchen Veränderung zu verstehen (deshalb erscheinen sie verdunkelt und eher an emotionale Reaktionen gebunden, als an bestimmte Ziele). Jedenfalls ist es heute ziemlich schwierig eine Aktion zu finden, die nicht von einem schönen offiziellen Communiqué begleitet wird, mit seinen Slogans und Unterschriften im Anhang. Und weshalb? Stille… Findet man sich auf diese Weise nicht im Avantgardismus wieder? Das Risiko ist so offensichtlich, dass es unter eben diesen Autoren von Bekennerschreiben diejenigen gibt, die selbst proklamieren, gegen jeglichen Avantgardismus zu sein, in der Hoffnung, dass es ausreicht, dies zu sagen, damit es auch so ist. Aber «sich entschuldigen ist, sich anzuschuldigen». Es ist die verwendete Methode selbst, die avantgardistisch ist und manchmal sogar die deutlich verkündeten Inhalte (wie in dem quälenden Communiqué der ARA <13> nach dem Angriff auf dem Palazzo Marino). Es ist von geringer Bedeutung, ob die Slogans nun zum sozialen Krieg, anstatt zur Diktatur des Proletariats aufrufen. Egal, ob die Unterschriften immer wieder wechseln. Das zeigt nur, dass die anarchistischen „Avantgardisten“ im Vergleich zu den stalinistischen flexibler sind, doch nichts desto trotz verspüren sie das Bedürfnis, sich vom Rest der Bewegung zu unterscheiden.
Es reicht nicht den Ausgangspunkt der Angry Brigade anzunehmen, um das Problem zu lösen. Ich weiss sehr wohl, dass die Angry Brigade bekräftigte: «Wir sind nicht in der Position zu sagen, ob eine Person ein Mitglied der Brigade ist oder nicht. Alles was wir sagen ist: Die Brigade ist überall. Ohne irgendein Zentralkommitee und ohne Hierarchie zur Einteilung unsere Mitglieder können wir die Unbekannten nur durch deren Aktionen als Freunde erkennen». Ich weiss auch, dass sich ihre Teilnehmer nicht als Organisation oder als einzelne Gruppe betrachteten, sondern als «ein gegen den Staat und seine Institutionen gerichteter Ausdruck von Wut und Unzufriedenheit vieler Leuten im ganzen Land. In diesem Sinn ist die Angry Brigade stets gegenwärtig (der Mann und die Frau, die neben dir sitzen)». Aber all dies zeugt nur von den guten Absichten dieser Kameraden, von ihrer Sorge darüber, sich nicht als Avantgarde hinzustellen, aber es zeigt nicht, ob sie mit ihrem Vorhaben tatsächlich Erfolg hatten. Eine Signatur, die ein Symbol für die verbreitete Wut sein soll, hat keine Bedeutung. Damit sich jeder darin wiedererkennen kann, müssen die Aktionen und die Worte, die die Aktionen erklären, von jedem verstanden und geteilt werden. Man kann nicht eine allgemeine kollektive Identität anbieten und verlangen, dass jeder seine konkrete Individualität verleugnet. Dies kann man nur tun, wenn die verwirklichten Aktionen und die ausgesprochenen Worte auf einem solch minimalen Niveau bleiben, das es Abweichungen soweit wie möglich begrenzt: Sehr simple und exemplarische Aktionen begleitet von maximalistischen Slogans. All das – vorausgesetzt, dass es die Mühe wert wäre – kann nur über kurze Zeit funktionieren, infolge derer sich andere Faktoren einschalten, die Teil jedes Steigerungsprozesses sind und die Fortführung des Experimentes unmöglich machen: Es gibt jene, die zu mächtigeren Mitteln übergehen wollen, die ausgewähltere Ziele treffen wollen, die präzisiere Konzepte zum Ausdruck bringen wollen… Selbst die ALF, die doch aus einer Motivation heraus kämpft, die im Grunde ziemlich simpel und eindeutig ist (die Tierbefreiung), wies die ersten negativen Abweichungen auf, sobald sie eine gewisse Ausbreitung erlangte. Müde von der Verworrenheit des Projektes, vom Minimalismus der Ziele und der Deklarationen der Wortführer, bildeten sich andere Tierschützergruppen. Nicht der einzige, aber der schlimmste Aspekt ist, dass sich all diese Gruppen gezwungen sahen, sich selbst einen neuen Namen zu geben, um zu vermeiden, in den selben Topf geworfen zu werden. Denn das Mittel des Bekennerschreibens ist, mit aller Schädlichkeit, die dies mit sich bringt, ein streng politisches. Solange alle in der Anonymität verbleiben, kann man tun was man will, ohne sich mit anderen zu verwickeln oder auf deren Rücken zu reiten. Nicht aber, wenn jemand aus dem Wasser steigt; dann zwingt dieser auch die Anderen aufzutauchen, um nicht als schlichte Heereskolonnen wahrgenommen zu werden. Dieser Mechanismus der Identifikation/Assimilation kann nur durch Anonymität, Diversität der Mittel und Fantasie in der Wahl der Ziele vermieden werden, anderfalls (wie viele Vorsichtsmassnahmen man auch treffen mag) können die Medien niemals daran gehindert werden, diesen Mechanismus (noch viel stärker, als durch die Communiqués, die man eben diesen sendet) in Gang zu setzen.
Ich wiederhole, mit dem Gesagten denke ich nicht, dass man die guten Absichten dieser Kameraden bezweifeln kann. Dennoch sind sie meiner Meinung nach Opfer eines Irrtums: Zu denken, dass eine Methode anarchistisch wird, in den Händen desjenigen, der sie anwendet. Dem ist nicht so. Eine spezifische Organisation mit ihrem Kennzeichen und ihren Communiqués ist avantgardistisch – jenseits der einzelnen Personen, die Teil davon sind. Worin liegt der Sinn, den Bullen direkt ein Bekennerschreiben zukommen zu lassen? Worin liegt der Sinn, zu erklären, was nicht erklärt zu werden braucht? Abseits vom revolutionären Mythos hat das alles nur für einen Avantgardisten einen Sinn, der sich selbst im Bezug auf die Gesamtheit der Bewegung als etwas anderes und besseres sieht.
Welche Ziele?
Die avantgardistische Logik ist steif; wenn man sie sich einmal angeeignet hat, wendet man sie überall an. Es genügt an die Wahl der Ziele zu denken, an die deprimierende Entwicklung, die sie im Laufe der Jahre von anonym fallenden Hochspannungsmasten zu einer – mit beigelegtem Brief – ans Fernsehen gesendet Briefbombe gebracht hat. Im ersteren Fall wollen sie den Feind sabotieren und das Funktionieren seines Systems durch das Ausserkraftsetzen einer peripheren Struktur blockieren. Es handelt sich um eine praktische Angriffshandlung, die vielleicht etwas aufwendig zu realisieren ist, aber niemanden in Gefahr bringt. Im zweiten Fall will man bloss zum Gesprächsthema werden, Werbung für das eigene Unternehmen machen, und darum wenden sie sich direkt an die Türen des RAI [Italineischer Nationalfernsehsender]… Es ist eine rein symbolische Aktion, um vieles leichter zu realisieren, und wenn man einen unglücklichen Arbeiter der Post oder des Fernsehens in Gefahr bringt… wen kümmert das schon. Es scheint, dass nicht nur die Jesuiten denken, dass das Ziel die Mittel rechtfertigt, sondern auch gewisse Anarchisten. Und in Bezug auf Briefbomben…
Ich war ungerecht. Ich sagte, dass diejenigen, die sie verschickten nur von sich reden machen wollten. Ich vergass hinzuzufügen, dass sie, neben der Selbstbefriedigung, auch wollten, dass über etwas anderes gesprochen wird. Zum Beispiel über die Haftbedingungen einiger Anarchisten und Rebellen in Spanien. Auch die russischen revolutionären Sozialisten von 1878 teilten eine ähnliche Sorge. In einem ihrer berühmten Dokumente schrieben sie: «Wenn die Presse die Gefangenen nicht verteidigt, dann werden werden wir das tun».Heute sind es die Gruppen der 5C <14>. Anarchisten, nicht revolutionäre Sozialisten. Anarchisten wie May Piqueray, der 1921 eine Paketbombe an den amerikanischen Botschafter in Paris sandte, um gegen die Stille zu protestieren, die um die Inhaftierung von Sacco und Vanzetti vorherrschte. Die Aktion war von grossem Erfolg gekrönt, da die von der amerikanischen Regierung begangene Misshandlung endlich öffentlich bekannt wurde und einen Kampf lancierte, der Mühe hatte, ins Rollen zu kommen.
Aber nachdem man sich dieser Ähnlichkeit zwischen Gegenwart und Vergangenheit Bewusst wurde, muss man Scheuklappen aufhaben, um nicht auch die riesigen Unterschiede zu erkennen. Die russischen Sozialisten töteten den Chef der Geheimpolizei infolge des Todes von einem ihrer Kameraden im Knast: Ein Tod für einen Tod eben. Der französische Anarchist tötete den höchsten Vertreter der amerikanischen Regierung in Frankreich, um die Niederträchtigkeit der amerikanischen Justiz öffentlich zu machen. Die Anarchisten der 5C übergeben ihre Geschenke heute an niemand geringeres, als an die Angestellten von RAI, oder an die Sekretäre der spanischen Reisebüros. Der Unterschied müsste ins Auge springen. Gewiss, diejenigen, die materiell für das Gefängnisregime Verantwortlich sind, welches den Häftlingen aufgezwungen wird, sind weit entfernt und wahrscheinlich zu gut geschützt, um erreichbar zu sein, während die Interessen des spanischen Staates hingegen überall sind und deshalb angegriffen werden können. Aber werden diese Interessen etwa von Angestellten verkörpert, die in Reisebüros arbeiten? Und warum beharrt man darauf, einen medialen Effekt zu suchen, als ob man die Tatsache ignorieren könnte, dass die grossen Kommunikationsmittel die Worte der Rebellen nur dann verstärken, wenn sie deren Bedeutung verzerren können? Und wieso nicht in Betracht ziehen, dass solche Aktionen diese Verzerrungsoperationen nur allzu einfach machen? Durch das Versenden von Briefbomben nach links und rechts bringt man sie zweifellos dazu, über die inhaftierten Kameraden in Spanien zu sprechen, jeder wird über sie sprechen, aber auf welche Weise? Natürlich in der Weise, die von den Medien auferlegt wird, die sich beeilen werden, jene Idee zu bestärken, die in vielen Köpfen verwurzelt ist: dass diese Gefangenen, wenn sie solch skrupellose Verfechter an ihrer Seite haben, letzten Endes das harte Regime auch verdienen.
Das Problem ist, dass jene, die denken, dass sie weiter vorne stehen und radikaler sind als die Anderen, dies aus einem bestimmten Grund tun. In diesen Fällen liegt der Grund im Gebrauch von gewissen Instrumenten: diejenigen, die reden, schwatzen bloß, diejenigen, die bewaffnet angreifen, agieren. All diese perfekten bewaffneten Kämpfer haben sich in ihre Instrumente verliebt. Sie lieben sie so sehr, dass die Waffen aufhören, solche zu sein. Sie werden zum Selbstzweck, sie werden zum Daseinsgrund. Sie wählen nicht die für den Zweck am besten geeigneten Mittel, sie verwandeln das Mittel zum Zweck an sich. Wenn ich eine Fliege an der Mauer totschlagen will, dann verwende ich eine zusammengerollte Zeitung, wenn ich eine Maus töten will, dann verwende ich einen Stock, wenn ich einen Menschen töten will, dann verwende ich einen Revolver, wenn ich ein Gebäude zerstören will, dann verwende ich Dynamit. Je nach dem was ich tun will, wähle ich von all den Mitteln, die mir zur Verfügung stehen jenes, das ich für das passendste erachte. Der bewaffnete Kämpfer nicht. Er überlegt nicht so. Er möchte ausschliesslich sein bevorzugtes Instrument verwenden, jenes, das ihm am meisten Befriedigung verschafft, jenes, das ihn sich radikaler fühlen läßt, jenes, das es ihm erlaubt, sich in seinem Medienruhm zu aalen, und er verwendet es unabhängig vom Ziel, dass er sich vornahm: er schiesst auf Fliegen, rattert mit dem Maschinengewehr auf die Maus, dynamitisiert den Menschen und falls er es könnte, würde er eine Atombombe verwenden, um das Gebäude in die Luft zu jagen. Für den bewaffneten Kämpfer besteht die Radikalität eines Kampfes nicht aus seiner Verbreitung und Tiefe, aus seiner Kapazität den sozialen Frieden in Frage zu stellen. Für den bewaffneten Kämpfer ist Radikalität schlicht eine Frage der Feuerkraft: eine Kaliber 22 Pistole ist nicht so radikal wie eine 38er, welche weniger radikal ist wie eine Kalaschnikov, die wiederum weniger radikal ist wie der Plastiksprengstoff. Und aus diesem Grund, nach Ruhm dürstend und durch seine eigene technizistische Vergötterung stumpfsinnig gemacht, verschickt er Briefbomben an einfache Angestellte, um das FIES Gefängnisregime zu bekämpfen. Er macht das, weil es die einzige Sache ist, die er zu tun weiss; die Technik begleitet die Intelligenz nicht, sondern ersetzt sie, und somit hält er nicht inne, um sich für einen Augenblick zu fragen, ob die Mittel für das Ziel angebracht sind, das er erreichen will. Was die Skrupel betrifft, so hat er aus dem einfachen Grund keine, da in seinem Kopf alles in Schwarz und Weiss aufgeteilt ist, ohne Farbschattierungen. Auf der einen Seite ist der Staat, auf der anderen sind die Anarchisten. Es gibt niemanden in der Mitte. Wenn man nicht Anarchist ist, gehört man zum Staat und ist somit ein Feind. Die Ausgebeuteten sind ebenso verantwortlich für die Bedingungen, welche sie hinnehmen, wie die Ausbeuter, die ihnen diese aufzwingen: Sie sind alle Feinde, darum scheiss auf sie.
Eigenartigerweise gewinnt diese typisch militaristische Logik unter einigen anarchistischen Kameraden an Boden, bei welchen es nicht an jenen mangelt, die sogar die palästinensischen Kamikazeaktionen unterstützen. Unglaublich, wenn man bedenkt, dass solche Stufen der Niederträchtigkeit selbst den russischen Revolutionären am Ende des 19ten Jahrhunderts fern lagen: avantgardistische Autoritäre ja, aber mit einer strikten Ethik, dazu bereit, einen Ausbeuter zu töten, aber ohne ein Haar eines einzigen Ausgebeuteten zu krümmen. Und wenn dem bei den Autoritären eine solche Aufmerksamkeit zukam, dann stell dir erst die Anarchisten vor! Es mangelt nicht an Beispielen was dies betrifft: sogar Schicchi, der für seine harte Sprache bekannt ist, war fähig, dorthin zurückzukehren, wo er eine Bombe hinterliess, um sie zu entschärfen, als er realisierte, dass irgendein unbeteiligter Passant verwundet werden könnte.
Aber das Bild des Anarchisten aus der Vergangenheit, der perfekte Gentleman, ist zu gutmenschlich und wenig befriedigend für gewisse Anarchisten von Heute. Anarchisten, die ihrem Leben nur dann einen Sinn geben können, wenn sie fühlen, dass sie von öffentlicher Missbilligung getroffen werden. Je mehr etwas verurteilt wird, desto mehr fühlen sie sich davon angezogen. Je mehr die Zeitungen und Richter die Anarchisten als skrupellose Leute bezeichnen, desto mehr strengen sie sich an, diese Rolle zu erfüllen. Jeglicher eigenen Perspektive beraubt, lassen sie sich von ihren Feinden sagen, was sie sind und was sie zu tun haben.
Eine weitere Konsequenz dieser Ereignisse ist die völlige Verdunkelung der Bedeutung des Begriffes „aufständisch“, der heute zunehmends als Synonym für „gewalttätig“ verwendet wird, oder für die blosse Tatsache, sich dem Dialog mit den Institutionen zu entziehen. Aufständische sind jene Anarchisten, die Bomben legen, Aufständische sind jene Anarchisten, die Scheiben einschlagen, Aufständische sind jene Anarchisten, die sich mit der Polizei konfrontieren, Aufständische sind jene Anarchisten, die Demonstrationen von politischen Parteien bekämpfen, und so weiter. Nicht ein Wort über die Ideen. In gewisser Weise wiederholt sich genau das, was am Anfang des Jahrhunderts mit dem Adjektiv „individualistisch“ geschah. Zu einem gegebenen Moment gelangte man zur Überzeugung, dass all jene Individualisten seien, die Akte individueller Gewalt unterstützen. Der Begriff wurde mehr oder weniger überall und oft und gerne Unsinnig verwendet. Wer hielt in der Hektik der Ereignisse schon inne, um die Verwirrung, die sich verbreitete klarzustellen? Die Anwendung von individueller Gewalt ist nicht im geringsten eine typische Eigenheit des Individualismus. Es gab auch pazifistische individualistische Anarchisten (sowie Tucker <15>) oder gewaltlose (sowie Mackkay <16>). Und vielleicht war auch Galleani <17> ein Individualist? Und doch unterstützte er individuellen Aktionen… wie es auch Malatesta unter bestimmten Umständen tat. Und auch an Kommunisten, die individuelle Taten befürworten mangelt es nicht. Leider verfestigte sich die Verwirrung so sehr, dass es sogar diejenigen gab, die sich selbst Individualisten nannten, obwohl sie es nicht im Geringsten waren (wie es Schicchi beim Pisa-Prozess tat). Missverständnisse, Unverständnisse… Es geht bestimmt nicht darum, zu einer solchen Verwirrung beizutragen. Dass die Medien das tun, ist ziemlich offensichtlich und nachvollziehbar. Aber warum sollten wir es auch tun?
Der Aufstand ist ein soziales Ereignis. Er ist nicht eine Herausforderung zur einen Schlacht gegen den Staat, von denjenigen in die Wege geleitet, die glauben, dass die Massen nur Schafe sind, die darauf warten, geschoren zu werden. Der Gebrauch von Gewalt ist in einem aufständischen Projekt unvermeidbar und notwendig, während des aufständischen Momentes genauso wie auch davor (denn der soziale Aspekt des Aufstandes kann niemals zur Rechtfertigung einer Wartehaltung dienen). Daher ist es auch jetzt so. Doch diese Gewalt kann sich nicht vom Rest des Projektes loslösen, sie kann nicht dessen Platz einnehmen. Es ist die Gewalt, die dem Projekte als Instrument zur Verfügung steht und nicht das Projekt, das der Gewalt als Vorwand zur Vergfügung steht. Wer denkt, dass ein Aufstand nicht möglich sei, wer das Vertrauen in die Möglichkeit verloren hat (oder niemals hatte), dass die Ausgebeuteten rebellieren werden, der sollte sich über die Distanz bewusst werden, die ihn von jeglicher aufständischen Perspektive trennt. Wenn er seinen privaten Krieg gegen die Macht führen will, denn zu dem ist es geworden, dann soll er dies nur tun, aber ohne es als sozialen Krieg auszugeben. Wenn er mit seinen Aktionen in die Geschichte eingehen will, um der reinen Selbstbeweihräucherung wegen, dann soll er es sich unter den Scheinwerfern der Medien nur bequem machen, aber ohne vorzugeben, den Rest der Bewegung hinter sich zu haben.
Es versteht sich von selbst, dass jeder frei ist, das zu tun, was er will. Für diejenigen, die denken, oberhalb jeglicher Kritik zu stehen und somit nur gelobt, verstanden und nachgeahmt werden zu können, ohne dass sie es jemals für nötig hielten, die Gründe für ihre Methoden darzulegen, gilt das viel weniger.
Der Text erschien am 15. Februer 2003
auf Italienisch auf der Webseite Anarcotico
Originaltitel: Su alcune vecchie questioni d‘attualità fra gli anarchici, e non solo
Autor: anonym
Anmerkungen
1 – Am 12. September 2002 explodieren zwei selbstgebaute Sprengsätze bei einem Polizeikommissariat in Genua. Die Fensterscheiben des Kommissariats zerbersten. Die Aktion wird in einem Communiqué mit Brigade 20. Juli [Der Tag an dem Carlo Guiliani in Genua ermordet wurde] unterzeichnet. Am 13. Dezember 2002 empfängt die Iberia-Geschäftsstelle [Spanische Flugzeuggesellschaft] in Rom eine (als Buch getarnte) Packetbombe. An den folgenden Tagen erhalten auch die Iberai-Geschäftsstellen in Milano und Fiumicino Paketbomben. Auch das RAI [Italienischer Nationalfernsehsender] empfängt ein solches Packet. Die 5C [Cellule contre il capitale, il carcere, i carcerieri e le loro celle] bekennt sich zu den Packetbomben. Am 16. Juni 2003 bekennt sich die 5C zu einem weiteren Bombenanschlag gegen das Spanische Cervantes-Institut in Rom.
2 – Naradnja Vola [Volkswille] – Diese russische Revolutionäre Organisation wurde 1879 gegründet und versammelte Militante mit unterschiedlichen Ideen, die sich den Kampf gegen die Autokratie zum zentralen Ziel machten. Die Organisation war zentralisiert und operierte im Schatten. In mehr als 50 Städten gab es Abteilungen der Naradnja Volja. Obwohl sie effektiv nie mehr als 500 Leute waren, haben sich viele tausend Leute an der Organisation beteiligt. Die Organisation teilte verschiedene Zeitungen aus, während sich die Entscheidung für Anschläge mit der Zeit zu verbreiten begann. Sie planten sieben Anschläge gegen den Zar Alexander II (der siebente glückte). Nach diesem Anschlag macht die Regierung aus Angst vor einem Aufstand einige demokratische Zugeständnisse. Da dieser jedoch ausblieb, schlug die Repression zu und die Organisation fiel auseinander.
3 – Gaetano Bresci (1869 – 1901) – Schon mit jungen Jahren arbeitet Bresci in der Italienischen Textilindustrie.Von diesem Moment an suchte er Kontakte innerhalb des anarchistischem Milieues von Prato. Er landete zwei mal im Gefängnis. Das zweite mal wird ihm Amnestie gewährt und er beschliesst 1896 in die Vereinigten Staaten auszuwandern. Er lässt sich in New York nieder. 1898 bricht in Milano aufgrund von Preiserhöhungen eine Revolte aus. Der General Bava Beccaris lässt die Soldaten mit Kanonen auf die Massen schiessen und entfesselt nach der Niederschlagung der Revolte eine blutige Repression. Anschliessend an diese Ereignissen wird der General Beccaris vom König Umberto I mit einem Orden ausgezeichnet. In diesem Moment beschliesst Bresci zur Rache überzugehen. Er kehrt nach Italien zurück und tötet den König Umberto I am 29. Juli 1900 mit drei Revolverschüssen. Er wird festgenommen und am 29. August in Milano zu lebenslänglicher Zwangsarbeit in Santo Stefano verurteilt. Am 22. Mai 1901 wird er in seiner Zelle aufgehängt vorgefunden, mit grosser Wahrscheinlichkeit wurde er ermordet.
4 – Sante Geronimo Caserio (1873 – 1894) – Caserio wird in eine Bauernfamilie geboren. Als er zehn jahre alt war, stirbt sein Vater an der zu einseitigen Maisernährung. Er wollte seiner Mutter und seinen Brüdern und Schwestern nicht länger zur Last fallen und zog nach Milano, wo er Bäckerslehrling wird. Sehr schnell geriet er in Kontakt mit den anarchistischen Milieues. Er stellte selbst einen kleinen anarchistischen Kreis auf die Beine, „A Pè“ [frei übersetzt „auf nackten Füssen“, auf die Armut verweisend]. Ab einem gewissen Punkt gerät er in das Visier der Polizei und ist gezwungen zu flüchten, zuerst in die Schweiz und dann nach Frankreich. Während einer öffentlichen Zeremonie in Lyon am 24. Juni 1894 tötete er den Französischen Präsidenten Carnot. Er bohrte seinen Dolch mit rot-schwarzem Griff in das Herz des Präsidenten. Er versuchte nicht zu flüchten, sondern begann um den Zeremoniewagen zu laufen und «lang lebe die Anarchie» zu rufen. Am 2. und 3. August 1894 wird er verurteilt, am 16. August wird er auf der Guillotine umgebracht. Kurz vor seiner Exekution rief er: «Habt Mut Freunde! Es lebe die Anarchie!». Während seines Prozesses zeigte er keine Reue, bat nicht um Gnade und weigerte sich, die Namen seiner Komplizen preiszugeben.
5 – François Claudius Koëningstein alias Ravachol (1859 – 1892) – Ravachol erlebte eine schwere Kindheit. Schon mit acht Jahren irrt er durch die dunklen Gässchen der Gesellschaft. Er arbeitet, um Mutter, Schwester, Bruder und Neffen zu unterhalten, während er Sonntags in Saint-Etienne Akkordeon spielt. Sehr bald eignet sich Ravachol anarchistische Ideen an. Am 1. Mai 1891 findet in Fourmies eine Demonstration für den Achtstundentag statt. Es brechen Ausschreitungen aus und die Polizei schiesst auf die Demonstranten. Neun Demonstranten (Männer, Frauen und Kinder) werden getötet. Am selben Tag findet in Clichy eine Demonstration statt, woran sich auch die Anarchisten beteiligen. Es kommt zu schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei. Nach einer kurzen Schiesserei, wobei einige Beamte getroffen wurden, werden drei Anarchisten ins Kommisariat von Clichy abgeführt. Dort wurden sie verhört und geschlagen. Es folgt ein Prozess: Decamps wird zu 5 Jahren und Dardare zu 3 Jahren verurteilt, Léveillé wird freigesprochen. Bulot, der öffentliche Ankläger forderte die Todesstrafe. Ravachol (flüchtig mit einer Anklage für Verleumdung) und einige andere Kameraden entscheiden sich ein paar Anschläge zu organisieren. Am 7. März 1892 misslingt ein Anschlag auf das Komissariat von Clichy. Am 11. März 1892 explodiert das Haus des Rechtsanwaltes Benoit (Vorsitzender des Assisenhofes, der sich um die Sache von Clichy kümmert). Am 27. März ist das Haus des öffentliche Anklägers Bulot an der Reihe. Am 30. März wird Ravachol nach einem Anschlag auf das Bourgeoisierestaurant Véry in Paris verhaftet. Erst wird er zu lebenslanger Haft verurteilt, doch in einem zweiten Prozess bekommt er die Todesstrafe. Am 11. Juli 1892 wird er mit der Guillotine getötet.
6 – Émile Henry (1872 – 1894) – Nach der Kommune von Paris 1871 muss die Familie von Henry nach Spanien flüchten, um der Todesstrafe zu entkommen. Dort werden Émile und sein Brude geborden. Nach dem Waffenstillstand von 1882 kehrten sie nach Frankreich zurück. Henry schloss mit Glanz sein Studium als Buchhalter ab. Erst vom Sozialismus angezogen, kehrt er sich um 1891 von dieser Strömung ab. « Ich hielt zu viel von der Freiheit, hatte zu viel Respekt für individuelle Initiativen, zu viel Abneigung für Konformismus, um mir ein Nümmerchen für die geordnete Armee des vierten Staates zu ziehen. » Henry kam in Kontakt mit den anarchistischen und individualistischen Milieues um die Jahrhundertwende. Am 8. November 1892 platzierte er eine Bombe beim Büro des Minenunternehmens Carmaux. Der Hausmeister des Gebäudes findet sie und bringt sie ins Polizeikommisariat in der Rue des Bons Enfants. Dort explodiert die Bombe. Fünf Polizisten sterben und ein sechster erleidet an einem Herzanfall. Am 12. Februar 1894 betritt er um 9 Uhr Morgens das bourgeoise Café Terminus in Paris. Er wirft einen metallenen Kessel voller Sprengstoff in die Luft und die Bombe explodiert. Zwanzig Menschen werden verwundet und einer stirbt anschliessend aufgrund seiner Verletzungen. Das Café selbst ist eine Ruine. Am 21. Mai 1894 wird Henry (zu dieser Zeit 21 Jahre alt) auf der Guillotine umgebracht.
7 – Severino Di Giovanni (1901 – 1931) – Di Giovanni wird in Italien geboren. Seine Rebellion begann mit sehr jungen Jahren. 1921 schloss er sich der anarchistischen Bewegung an. Als Mussolini 1922 an die Macht kam, entschied er sich nach Argentinien zu ziehen. Dort brachte er ab 1925 die italienischsprachige Zeitschrift Culmine heraus, womit er nicht nur agitierte, sondern auch Verbindungen zwischen verschiedenen anarchistischen Gruppen in der Region und der ganzen Welt schloss. Di Giovanni propagierte die Notwendigkeit vom Gebrauch revolutionärer Gewalt. Er verübt verschiedene Bombenanschläge und plante Überfälle, um das Herausbringen von Büchern und von Culmine zu finanzieren. Er beteiligte sich auch an der Solidaritätsbewegung gegen die Exekution von Sacco und Vanzetti. Bei einige Aktionen fielen Tote, worauf ihn ein Teil der anarchistischen Bewegung abschrieb. Nach einem Schusswechsel mit der Polizei wird Di Giovanni verhaftet. 24 Stunden später, am 1. Februar 1931 wird er hingerichtet.
Siehe Severino Di Giovanni, Elephant Editions, London
8 – Buenaventura Durruti (1896 – 1936) – Durruti wird in Spanien in eine Arbeiterfamilie geboren. Ab 1913 arbeitet er an der Drehbank und schliesst sich der Metallarbeitergewerkschaft an. Ein Jahr später wird er als Eisenbahnarbeiter eingestellt. 1917 ruft die UGT (allgemeine Arbeitergewerkschaft) zu einem Generalstreik auf. Die spanische Regierung setzt die Armee ein, um den Streik zu brechen. 500 Arbeiter werden getötet oder verwundet, 2000 Streikende werden ins Gefängnis gesperrt. Durruti nahm an dem Streik als junger Saboteur und Brandstifter aktiv teil. Die Gewerkschaft brach jegliche Verbindung mit ihm und anderen Kameraden ab, worauf sie herausgeworfen werden. Er wird gesucht und flüchtet nach Frankreich bis er 1920 nach Barcelona zurückkehrt. Zusammen mit García Oliver, Francisco Ascaso und anderen Anarchisten gründen sie die Gruppe Los Solidarios, die unteranderem Vergeltungsmassnahmen gegen Bosse und Angriffe auf Banken organisierten. Erfolgslos versuchen Leute dieser Gruppe den spanischen König Alphonso XIII zu töten. 1923 wird der Kardinal von Saragossa Juan Soldevilla y Romero getötet, als Antwort auf den Mord an dem Kameraden Salvador Seguí. Los Solidarios waren hierbei beteiligt. Durruti und Oliver tauchen in Argentinien unter, wo er zusammen mit anderen Kameraden unteranderem verschiedene Banken überfällt um die anarchistische Bewegung zu finanzieren. Durruti kehrt nach Barcelona zurück und schliesst sich der CNT (anarcho-syndikalistische Gewerkschaft) und der FAI (Iberische anarchistische Föderation) an. Während der spanischen Revolution spielte er eine wichtige Rolle, was die Koordination des Kampfes gegen General Franco betrifft. Im Novamber 1936 lässt sich Durruti dafür überzeugen, Madrid zu befreien. Durruti stirbt im Verlaufe dieses Gefechts an einer Kugel. Es ist noch immer nicht klar wie er getötet wurde, vielleicht von Stalinisten, durch einen technischen Defekt, durch eine verirrte Kugel…
Für Durrutis Beteiligung an der spanischen Revolution siehe Miguel Amorós, Durruti dans le labyrinthe, Encyclopédie des Nuisances, Paris, 2006.
9- Franciso Ascaso Budría (1901 – 1936) – Als Bäcker und Kelner schloss sich Ascaso der spanischen FAI (Iberische anarchistische Föderation) und einer ihrer bewaffneten Gruppen, Los Justicieros, an. 1922 ging er nach Barcelona und zusammen mit unteranderem Buenaventura Durruti und García Oliver formte er die Gruppe Los Solidarios (siehe Anmerkung 8). 1923 flüchtete er zusammen mit Durruti nach Südamerika, wo sie zusammen in der anarchistischen Bewegung aktiv waren und unter anderem Banküberfälle durchführten. Als er nach Frankreich zurückkehrt, wird er (zusammen mit den anderen) angeschuldigt, einen Mordversuch am König Alphonso XIII geplant zu haben. Mangels Beweisen wird er freigesprochen und aus dem Land verwiesen. Ascaso bleibt weiterhin klandestin in Frankreich. 1931 kehrt er nach Spanien zurück und organisiert die Gruppe Nosotros (anarchistische Gruppe am Rande der FAI). Die ersten fünf Jahre der Zweiten Spanischen Republik werden von anarchistischen Aufständen gezeichnet, woran er sich aktiv beteiligt. 1932 wird er verhaftet und erst nach Bata, dann auf die kanarischen Inseln deportiert. Kurz darauf taucht er in Sevilla wieder auf, wo er erneut verhaftet wird. Während der ersten Tagen des Kampfes in Barcelona (bei der Atarazanakaserne) nach dem Misslungenen Coup von Franco wird er niedergeschossen.
10 – The Angry Brigade – Zwischen 1970 und 1972 wird eine ganze Reihe von bewaffneten Angriffen in Grossbritanien mit diesem Namen Unterzeichnet. Die Angriffe richteten sich vorallem gegen Banken, Botschaften und die Häuser von konservativen Parlamentsleuten. Nur einmal gerieten Personen durch einen Angriff der Angry Brigade ans Licht. Am 6. Dezember 1972 werden vier Kameraden zu 10 Jahren Haft für ihre Beteiligung an der Angry Brigade verurteilt.
11 – ETA Euskadi Ta Askatasuna [Baskenland und Freiheit] – Eine 1959 gegründete bewaffnete Gruppierung. Mit revolutionär marxistischen Ideen vermischt mit Baskischem Nationalismus gingen sie den Kampf gegen das Franco-Regime an. 1974 teilte sich die ETA entzwei: die militärische ETA und die politisch-militärische ETA. Die Spaltung hat underanderem, aber bestimmt nicht ausschliesslich, mit durch Anschläge getroffenen Zielen und Methoden, die angewendet wurden, um Geld zu beschaffen zu tun. 1982 löst sich die politisch-militärische ETA auf, während sich die militärische ETA immer mehr auf ausschliesslich nationalistisches Terrain begiebt.
12 – Am 25 April 1997 explodiert beim Palazzo Marino in Milano eine Bombe. Der Haupteingang wurde beschädigt und einige Fenster entglast. Die Presse und das Gericht sprechen von Versuchtem Todschlag. Die Azione Revoluzionaria Anarchica [revolutionäre anarchistische Aktion] bekennt sich zur Verantwortung. In den folgenden Tagen zirkuliert ein unscharfes Foto mit einem Bild von einer Überwachungskamera, die die Umgebung um das Lokal der kommunistischen Radiostation Radio Populare filmt. Auf dem Foto ist eine „Postfrau“ zu sehen, die ein Brief deponiert, worin sich zum Anschlag bekannt wird. Es wird eine Belohnung von 10 Millionen Liren für denjenigen ausgeschrieben, der die Frau erkennen kann. Am 29. Juni 1997 wird die Anarchistin Patrizia Cadeddu verhaftet und angeschuldigt diese „Postfrau“ zu sein. Ihr Prozess folgte ein Jahr später.
13 – ARA, siehe Anmerkung 12
14 – 5C – Unter dem Namen Cinque C, „Contro il Capitale, il Carcere, i Carcerieri e le loro Celle“ [Gegen das Kapital, das Gefängnis, die Wärter und ihre Zellen] werden im Dezember 2002 und Juni 2003 in Italien verschiedene Aktionen unteranderem bei Spanischen Zielen gegen das FIES-Isolationsregime durchgeführt (Briefbomben und Sprengstoffanschläge).
15 – Benjamin Tucker (1854 – 1939) – Tucker war durch seine Beiträge als Herausgeber und Schreiber einer der bekanntesten Amerikanischen Träger des individualistischen Anarchismus. Er brachte unter anderem die anarchistische Zeitschrift „Liberty“ heraus, worin verschiedene individualistische Denker zu Wort kamen, des weiteren übersetzte er die englischsprachige Ausgabe von „Was ist Eigentum“ von Proudhon und „Der Einzige und sein Eigentum“ von Max Stirner. Schliesslich kommt es zu einem Bruch zwischen dem von Stirner inspirierten Individualismus und der alten Garde von Jusnaturalisten unter Einfluss von Lysander Spooner. Beide Tendenzen waren sich darüber einig, Autorität, Gesetzgebung und die Vorstellung eines „Gesellschaftsvertrages“ zu verwerfen. Sie unterschieden sich in diesem Sinne, dass die Jusnaturalisten ein Leben ohne zwang als ein natürliches individuelles Recht betrachten, während beim individualistischen Anarchismus von Stirner die Entscheidung für den Individualismus eher pragmatisch ist, als die beste Art und Weise gegenüber sich selbst und der Gesellschaft zu stehen.
16 – John Henry Mackay (1864 – 1933) – als Anhänger von Stirner schrieb dieser individualistische Anarchist den Roman „Die Anarchisten“, welchem Ende des 19. Jahrhunderts ein grosser Einfluss zukam.
17 – Luigi Galleani (1861 – 1931) – Während seines Rechtsstudiums in Turin (das er nicht abschloss) kam Galleani in Kontakt mit anarchistischen Ideen. Er widmete sich der anarchistischen Propaganda und muss nach Frankreich flüchten. Auch dort wird er ausgewiesen. Er landete in der Schweiz wo er erneut für seine Angitation ausgewiesen wird. Zurück in Italien wird er für Verschwörung zu 5 Jahren Haft verurteilt. 1900 brach er aus dem Gefängnis Pantelleria aus und flüchtete nach Egypten, Londen und schliesslich in die Vereinigten Staaten. Etwas später wird er schon wieder für Aufstand und Anstiftung zur Gewalt nach Kanada ausgewiesen (wo er erneut deportiert wird). Zurück in den Vereinigten Staaten wurde er bekannt als ein Verteidiger der „Propaganda der Tat“. Er gab die italienischsprachige Zeitschrift Cronaca Sovversiva (Subversive Chronik) heraus. 1918, nach 15 Jahren publikation, wird die Zeitschrift durch den Sedition Act verboten. Die Cronaca Sovversiva umfasst neben Darlegungen von anarchistischen Ideen auch oft eine Liste mit Adressen und detaillierten Beziehungen der Kapitalisten, Geschäftsleute, Streikbrecher,… Viele Anarchisten umgaben Galleani, darunter Nicola Sacco und Cartolomeo Vanzetti, die 1927 hingerichtet werden. Die Gruppe machte viel propaganda durch die Cronaca und besonders bekannt wurden sie durch die Herausgabe von La Salute è in voi! [Gesundheit sitzt in dir], eine Anleitung zum Herstellen von Bomben. Ab 1914 folgen die Anschläge in den Vereinigten Staaten in einem rasenden Tempo aufeinander. Duzende Bombenanschläge gegen die Polizei, Richter, Gerichte, Geschäftsleute, Gefängnisse,… 1917 zieht die Gruppe nach Mexiko um sich an der langerwarteten Revolution zu beteiligen. Desillusioniert kehren sie Ende 1917 in die USA zurück, um ihre Agitation fortzusetzen. Es folgen erneut verschiedene Bombenanschläge. Aufgrund des Mangels an konkreten Beweisen greift die amarikanische Regierung zum Anarchist Act, der die Deportation von Anarchisten und Subversiven ermöglicht. Ende April 1919 werden ungefähr 30 Briefbomben an verschiedene Politiker, Richter und Bankiers verschickt. Die Meisten Packete wurden im voraus entdeckt. Ein Dienstmädchen des Senator Hardwick (ein Unterstützer des Anarchist Act) verlor beide Hände als sie das Packet öffnete. Die Bombenanschläge gehen unvermindert weiter, die Antwort waren jene hunderte von Deportationen, die später als Palmer Raids bekannt wurden. 1919 wird auch Galleani nach Italien abgeschoben, wo er auf eine Insel vor der Küste verbannt wird. Als Mussolini an die Macht kam wird Galleani unter permanente Überwachung gestellt. Galleani stirbt 1931 mit 70 Jahren an einem Herzanfall.
Carol Ehrlich: Widerwillige Patriarchen (1975)
»Und so forderten die stolzen, starken und unabhängigen Runden Menschen die Götter heraus. Und Zeus bestrafte sie, indem er sie in zwei teilte. Nun konnte jede halbe Person nicht mehr mit ihren vier Armen und vier Beinen umherrollen, sondern musste aufrecht auf zwei Beinen gehen und ihr einziges Gesicht in demütigem Gebet zu den Göttern… Continue reading Carol Ehrlich: Widerwillige Patriarchen (1975)
In offener Feindschaft mit dem Bestehenden seinen Verteidigern und seinen falschen Kritikern
Vor langer Zeit veröffentlicht, ist nach wie vor „Ai ferri corti con l‘Esistente, i suoi difensori e i suoi falsi critici“, so der Titel im Original, ein wichtiger Beitrag für die Debatte unter anarchistischen Gruppen und Individuen. Wir graben den Text wieder aus, da der Anarchismus so viele Feinde innerhalb wie außerhalb seiner Reihen hat und wir diesen bald auch brauchen werden.
In offener Feindschaft mit dem Bestehenden seinen Verteidigern und seinen falschen Kritikern
I
« Jeder kann dem Umherirren in der Sklaverei dessen, was er nicht kennt, ein Ende setzen – und, das Angebot leerer Worte zurückweisend, in offener Feindschaft dem Leben entgegentreten. »
C. Michelstaedter
Das Leben ist nichts anderes, als eine beständige Suche nach etwas, woran man sich festhalten kann. Man steht morgens auf, um sich ein paar Stunden später wieder ins Bett zu legen, wie traurige Pendler zwischen Lustlosigkeit und Müdigkeit. Die Zeit vergeht und treibt uns mit Sporen an, die immer weniger lästig scheinen. Auch die Last der sozialen Pflichten scheint uns nicht mehr den Rücken zu brechen, so dass wir sie überall mit uns tragen. Wir gehorchen, ohne uns noch die Mühe zu machen, ‘Ja‘ zu sagen. Der Tod wird durch das Leben gesühnt, schrieb der Dichter aus einem anderen Schützengraben.
Wir können ohne Leidenschaft und ohne Träume leben – dies ist die grosse Freiheit, die uns diese Gesellschaft bietet. Wir können ungehemmt sprechen, vor allem über all die Dinge, von denen wir nichts verstehen. Wir können alle Meinungen der Welt vertreten, selbst die gewagtesten, und hinter dem Gewirr von Stimmen verschwinden. Wir können unseren Lieblingskandidaten wählen und im Gegenzug das Recht einfordern, uns beschweren zu dürfen. Wir können jederzeit den Kanal wechseln, falls er uns dogmatisch zu werden scheint. Wir können uns zu festgelegten Zeiten amüsieren und mit immer höherer Geschwindigkeit traurig identische Landschaften durchqueren. Wir können uns wie junge Hitzköpfe aufführen, bevor wir eimerweise eiskalten, gesunden Menschenverstand verabreicht bekommen. Wir können nach belieben heiraten; so heilig ist die Ehe. Wir können uns sinnvoll betätigen und, falls wir wirklich kein Schreibtalent haben, Journalisten werden. Wir können auf tausend Arten Politik machen und sogar von exotischen Guerillas sprechen. In der Karriere sowie im Gefühlsleben können wir uns, falls wir es nicht schaffen, selbst zu befehligen, noch immer durch Gehorsamkeit profilieren. Auch durch Gehorsamkeit können wir zum Märtyrer werden, denn allem Anschein zum trotz, benötigt diese Gesellschaft noch immer Helden.
Unsere Dummheit wird bestimmt nicht grösser als jene der Anderen erscheinen. Falls wir nicht fähig sind, uns zu entscheiden, kein Problem, dann lassen wir eben die Anderen wählen. Anschliessend werden wir Position beziehen, wie man im Jargon der Politik und des Spektakels sagt. An Rechtfertigungen mangelt es nie, besonders nicht in einer Welt, die sie alle schluckt.
Auf diesem grossen Jahrmarkt der Rollen haben wir alle einen loyalen Verbündeten: das Geld. Demokratisch par excellence, schaut es niemandem ins Gesicht. In seiner Begleitschaft kann uns keine Ware und keine Dienstleistung dieser Welt verwehrt werden. Wer auch immer sein Besitzer ist, er fordert mit der Kraft einer ganzen Gesellschaft. Natürlich, dieser Verbündete gibt nie genug von sich selbst und vor allem gibt er sich auch nicht allen. Doch seine besondere Hierarchie vereinigt in ihren Werten das, was sich in den Lebensbedingungen entgegensteht. Wenn man es besitzt, hat man allen Grund dazu, wenn es mangelt, hat man nicht weniger Milderungsgründe.
Mit etwas Übung könnten wir ganze Tage ohne die geringste Idee verbringen. Die tägliche Routine übernimmt das Denken für uns. Von der Arbeit bis zur “Freizeit” dreht sich alles um den Erhalt des Überlebens. Es gibt immer irgendetwas, woran wir uns festhalten können. Im Grunde liegt die erstaunlichste Eigenschaft der heutigen Gesellschaft darin, die “kleinen Alltagskomforte” und die zum greifen nahe Katastrophe nebeneinander existieren zu lassen. Parallel zur technologischen Verwaltung des Bestehenden, schreitet auch die Ökonomie mit der verantwortungslosesten Unkontrollierbarkeit voran; man wechselt von Unterhaltung zu Massenmassakern mit der disziplinierten Leichtfertigkeit von vorberechneten Gesten. Der Kauf und Verkauf des Todes erstreckt sich über den gesamten Raum und die gesamte Zeit. Risiko und gewagter Aufwand existieren nicht mehr; es bleibt nur noch die Sicherheit oder das Desaster, die Routine oder die Katastrophe. Überlebende oder Untergehende. Lebende, niemals.
Mit etwas Übung könnten wir mit geschlossenen Augen von Zuhause zur Schule, vom Büro zum Supermarkt oder von der Bank zur Diskothek gehen. Langsam begreifen wir die ganze Weisheit jener Worte eines alten Griechens: « Auch die Schlafenden halten die Ordnung der Welt aufrecht. »
Es ist Zeit mit diesem Wir zu brechen, mit dieser Wiederspiegelung der einzigen Gemeinschaft, die gegenwärtig existiert, jener der Autorität und der Waren.
Ein Teil dieser Gesellschaft hat alles Interesse daran, dass die Herrschaft dieser Ordnung fortbesteht, der andere daran, dass alles so bald wie möglich kollabiert. Sich für eine Seite zu entscheiden, ist der erste Schritt. Doch überall herrschen die Resignierten – die wirkliche Basis zur Übereinkunft beider Seiten –, die Verbesserer des Bestehenden und dessen falsche Kritiker. Überall, auch in unserem Leben – dem echten Ort des sozialen Krieges –, unseren Träumen und unserer Entschlossenheit, sowie in unseren kleinen, alltäglichen Unterwerfungen.
All dem muss in offener Feindschaft entgegengetreten werden, um endlich das Leben selbst herauszufordern.
II
« Die Dinge, die notwendigerweise gelernt sein müssen, um sie zu tun, erlernen wir, indem wir sie tun. »
Aristoteles
Das Geheimnis liegt darin, wirklich zu beginnen.
Die gegenwärtige soziale Organisation schiebt nicht nur jegliches Ausleben der Freiheit hinaus, sondern verhindert und verdirbt es auch. Um zu erfahren, was Freiheit ist, gibt es keinen anderen Weg, als mit ihr zu experimentieren. Und um mit ihr zu experimentieren, braucht man den nötigen Raum und die nötige Zeit.
Die wichtigste Grundlage einer freien Handlung ist der Dialog. Nun, ein wirklich gemeinsamer Diskurs muss in sich zwei Voraussetzungen vereinen: Ein reelles Interesse der Individuen an den Fragen, die in der Diskussion aufgeworfen werden (das Problem des Inhalts) und eine freie Suche nach möglichen Antworten (das Problem der Methode). Diese beiden Bedingungen müssen gleichzeitig erfüllt sein, da der Inhalt die Methode bestimmt und umgekehrt. Von Freiheit kann nur in Freiheit geredet werden. Was nützen die Fragen, wenn wir nicht frei darauf antworten können? Was nützt es zu Antworten, wenn die Fragen falsch sind? Der Dialog existiert nur, wenn die Individuen ohne Mediation miteinander sprechen können, das heisst, wenn ihre Beziehung auf Gegenseitigkeit beruht. Wenn der Diskurs einseitig geführt wird, ist eine Kommunikation unmöglich. Wenn jemand die Macht besitzt, die Fragen zu bestimmen, wird deren Inhalt genau seinen Zwecken entsprechen (und die Antworten werden in ihrer Methode die Zeichen der Unterwerfung tragen). Einem Untertan können ausschliesslich Fragen gestellt werden, deren Antworten seine Rolle als Untertan bestätigen, und aus eben dieser Rolle entnimmt der Herrscher die zukünftigen Fragen. Die Versklavung besteht also darin, weiterhin zu antworten, denn die Fragen der Herrschenden enthalten in sich selbst bereits die Antwort.
In diesem Sinne sind Marktforschungen identisch mit Wahlen. Die Souveränität des Wählers entspricht der Souveränität des Konsumenten und umgekehrt. Wenn die Passivität des Fernsehens eine Rechtfertigung braucht, spricht man von Audienz; wenn der Staat eine Legitimierung für seine eigene Macht braucht, spricht man vom souveränen Volk. In beiden Fällen sind die Individuen bloss Geiseln eines Mechanismus, der ihnen das Recht zu Reden zugesteht, nachdem er ihnen die Möglichkeit, es zu tun entzogen hat. Wo bleibt der Dialog, wenn man bloss zwischen dem einen oder anderen Kandidaten wählen kann? Wo bleibt die Kommunikation, wenn man bloss zwischen unterschiedlich identischen Waren und Fernsehprogrammen wählen kann? Der Inhalt der Fragen wird bedeutungslos, denn die Methode ist falsch.
« Nichts gleicht einem Repräsentanten der Bourgeoisie mehr, als ein Repräsentant des Proletariats », schrieb Sorel 1907. Das, was sie einander gleich machte, war die schlichte Tatsache, ein Repräsentant zu sein. Heute dasselbe über rechte oder linke Wahlkandidaten zu sagen, ist nicht mehr und nicht weniger als eine Banalität. Die Politiker brauchen nicht originell zu sein (darum kümmern sich die Werbefachleute), es reicht, wenn sie diese Banalitäten zu verwalten wissen. Die schreckliche Ironie ist, dass die Massenmedien als Kommunikations-Mittel definiert werden und der Abstimmungszirkus als Wahl (was im ursprünglichen Sinn des Wortes für eine freie und bewusste Entscheidung steht).
Der Punkt ist, dass die Macht keine andere Handhabung zulässt. Selbst wenn man es wollte (womit wir uns bereits inmitten der “Utopie” befänden, um mit den Worten der Realisten zu sprechen), könnte nichts Bedeutendes von den Wählern verlangt werden, denn die einzige, freie Handlung – die einzige, wirkliche Wahl – die sie vollbringen könnten, wäre mit dem Wählen aufzuhören. Jemand, der sich an Wahlen beteiligt, kann sich gar nichts anderes als belanglose Fragen stellen, denn authentische Fragen lassen Passivität und Delegation nicht zu. Lasst uns das genauer erklären.
Nehmen wir an, der Kapitalismus soll durch ein Referendum abgeschafft werden (ungeachtet der Tatsache, dass eine solche Forderung innerhalb der heutigen, sozialen Verhältnisse unmöglich ist). Bestimmt würden die meisten Wähler für den Kapitalismus stimmen, und zwar aus dem schlichten Grund, dass man sich, während man gerade gemütlich das Haus, das Büro oder den Supermarkt verlässt, gar keine Welt ohne Waren und ohne Geld vorstellen kann. Doch selbst wenn dagegen gestimmt würde, würde sich nichts ändern, denn eine solche Forderung muss die Wähler ausschliessen, um authentisch zu sein. Eine ganze Gesellschaft kann nicht per Anordnung umgewälzt werden.
Dieselbe Überlegung kann auch auf weniger radikale Fragen angewandt werden. Nehmen wir das Beispiel eines Wohnviertel: Was wäre (wir befinden uns wieder inmitten der “Utopie” ), wenn sich die Bewohner über die Organisation ihrer Lebensräume (Häuser, Strassen, Plätze, usw.) aussprechen könnten? Lasst uns gleich klarstellen: Die Wahl der Bewohner wäre von Anfang an und unvermeidlich eine begrenzte; die Viertel sind das Ergebnis einer Verlagerung und Konzentrierung der Bevölkerung zugunsten der ökonomischen Anforderungen und der sozialen Kontrolle. Versuchen wir uns trotzdem eine andere Organisation dieser Ghettos vorzustellen. Ohne Furcht widerlegt zu werden, könnte man behaupten, dass die Mehrheit der Bevölkerung diesbezüglich dieselben Ideen wie die Polizei haben würde. Und falls dem nicht so wäre (wenn eine Praxis des Dialogs, wenn auch eine begrenzte, das Verlangen nach einer neuen Umgebung entstehen liesse), dann würde man die Ghettos explodieren sehen. Wie versöhnt man in der heutigen sozialen Ordnung das Interesse des Autoherstellers mit dem Willen der Bevölkerung zu atmen; das freie Umherziehen der Individuen und die Angst der Besitzer von Luxusgeschäften; die Kinderspielplätze und den Beton von Parkplätzen, Banken und Einkaufszentren? Und all die leeren und verlassenen Häuser in den Händen von Spekulanten? Und die Wohnblöcke, die den Kasernen so schrecklich ähneln, die den Schulen so schrecklich ähneln, die den Krankenhäusern so schrecklich ähneln, die den psychiatrischen Kliniken so schrecklich ähneln? Das Verschieben einer kleinen Mauer in diesem Schreckenslabyrinth, bedeutet das ganze Projekt in Frage zu stellen. Je weiter wir uns von einer polizeilichen Betrachtung der Umwelt entfernen, desto näher rückt eine Konfrontation mit der Polizei.
« Wie kann man im Schatten einer Kapelle frei denken? », schrieb während des Pariser Mai eine anonyme Hand auf die heilige Stätte der Sorbonne. Diese einwandfreie Frage ist von umfassender Bedeutung. Jede wirtschaftlich und religiös gedachte Umgebung kann nichts anderes als wirtschaftliche und religiöse Wünsche auferlegen. Eine geschlossene Kirche wird weiterhin das Haus Gottes bleiben. In einem verlassenen Einkaufszentrum werden die Waren weiter quasseln. Der Hof einer unbenutzten Kaserne enthält noch immer den Marschschritt der Soldaten. In diesem Sinne hatten diejenigen Recht, die sagten, dass die Zerstörung der Bastille ein sozialpsychologischer Akt war. Keine Bastille kann auf eine andere Art genutzt werden, denn die Mauern würden weiterhin die Geschichte von gefangenen Körpern und Sehnsüchten erzählen.
Die Zeit der Leistungen, der Verpflichtungen und der Langeweile vermählt sich mit den Räumen der Konsumption in einer ununterbrochenen Trauerhochzeit. Die Arbeit reproduziert das soziale Umfeld, welches die Resignation bei der Arbeit reproduziert. Man liebt die Abende vor dem Fernseher, weil man den ganzen Tag im Geschäft und in der U-Bahn verbracht hat. Das Schweigen in der Fabrik lässt das Geschrei im Stadion wie versprochenes Glück erscheinen. Die Schuldgefühle in der Schule sind ein Bekenntnis für die idiotische Verantwortungslosigkeit des Samstagabends in der Disco. Die Werbung des Club Med lässt nur die Augen von Mc Donald’s Besuchern träumen. Et cetera.
Man muss mit der Freiheit zu experimentieren wissen, um frei zu sein. Man muss sich befreien, um mit der Freiheit experimentieren zu können. Innerhalb der gegenwärtigen sozialen Ordnung verhindern Zeit und Raum das Experimentieren mit der Freiheit, weil sie die Freiheit zu experimentieren unterdrücken.
III
« Die Tiger der Wut sind weiser als die Pferde der Belehrung. »
W. Blake
Nur durch den Umsturz der Imperative von Zeit und sozialem Raum können neue Beziehungen und neue Umgebungen gedacht werden. Ein alter Philosoph sagte einmal, dass man nur ausgehend von dem, was man kennt, begehren kann. Die Begierden können sich nur ändern, wenn sich das Leben ändert, das sie entstehen lässt. Um es deutlich auszudrücken, der Aufstand gegen die Zeiten und Orte der Macht ist eine materielle und gleichzeitig eine psychologische Notwendigkeit.
Bakunin sagte, Revolutionen werden aus drei Vierteln Fantasie und einem Viertel Realität gemacht. Das Wichtige ist, zu verstehen, woher diese Fantasie entspringt, die die generalisierte Revolte losbrechen lässt. Die Entfesselung aller bösen Leidenschaften, wie ein russischer Revolutionär sagte, ist die unwiderstehliche Kraft der Transformation. Auch wenn all dies die Resignierten oder die kalten Analytiker der historischen Bewegungen des Kapitals zum lächeln bringen mag, könnten wir behaupten – wenn uns ein solcher Jargon nicht anwidern würde –, dass eine solche Vorstellung der Revolution äusserst modern ist. Die Leidenschaften sind böse*, da sie gefangen sind, erstickt von der Normalität, diesem kältesten aller eisigen Monster. Doch sie sind auch böse, weil sich der Wille zu Leben, anstatt unter der Last der Pflichten und Masken unterzugehen, in das genaue Gegenteil verwandelt. Unter dem Zwang der alltäglichen Leistungen verleugnet sich das Leben und erscheint in der Rolle des Dieners wieder; verzweifelt nach Raum suchend, wird es zu traumartiger Anwesenheit, physischer Angespanntheit, nervösen Ticks und idiotischer Gruppengewalt. Wird der unerträgliche Charakter der aktuellen Lebensbedingungen angesichts der massiven Verbreitung von Psychopharmakas (dieser neuen Intervention des Sozialstaates) nicht offensichtlich? Die Herrschaft verwaltet überall die Gefangenschaft und rechtfertigt dies durch das, was wiederum ihr eigenes Produkt ist: die Boshaftigkeit. Der Aufstand stellt sich beidem entgegen.
Wenn man sich selbst und den Anderen nicht etwas vormachen will, kann kein Individuum, das für die Zerstörung der gegenwärtigen sozialen Struktur kämpft verbergen, dass die Subversion ein wildes und barbarisches Kräftespiel ist. Der Eine nannte sie Kosaken, ein anderer die Kanaille, in Wirklichkeit sind es all die Individuen, denen der soziale Frieden nicht die Wut genommen hat.
Doch wie erschafft man aus Wut eine neue Gemeinschaft? Lasst uns ein für alle mal mit den Illusionen der Dialektik Schluss machen. Die Ausgebeuteten sind nicht Träger irgendeines positiven Projektes, im Sinne einer klassenlosen Gesellschaft (all dies sieht dem produktiven Muster allzu ähnlich). Ihre einzige Gemeinschaft ist das Kapital, dem sie sich nur entziehen können, indem sie alles zerstören, was sie zu Ausgebeuteten macht: den Lohn, die Waren, die Rollen und die Hierarchien. Der Kapitalismus präparierte nicht die Grundlage seiner eigenen Überwindung durch den Kommunismus – die berühmte Bourgeoisie, die “die Waffen ihres eigenen Untergangs schmiedet” – sondern jene, einer Welt des Schreckens.
Die Ausgebeuteten haben nichts selbstzuverwalten, ausser die eigene Negation als Ausgebeutete. Nur so werden ihre Bosse, ihre Führer und ihre Verfechter zusammen mit ihnen verschwinden. In dieser “immensen Arbeit dringender Zerstörung” müssen wir so schnell wie möglich Freude finden.
Bei den Griechen bezeichnete das Wort “Barbar” nicht nur den Fremden, sondern auch den “Stotterer”, wie man diejenigen mit Verachtung bezeichnete, die die Sprache der Polis nicht korrekt beherrschten. Sprache und Territorium sind zwei untrennbare Realitäten. Das Gesetz legt die Grenzen fest, denen die Ordnung der Benennung Achtung verschafft. Jede Machtstruktur hat seine Barbaren und jeder demokratische Diskurs hat seine Stotterer. Die Warengesellschaft will deren hartnäckige Präsenz – durch Ausschluss und Verschweigen – verbannen, als ob Nichts wäre. In eben diesem Nichts begründet sich die Rebellion. Keine Ideologie des Dialogs und der Partizipation wird jemals einem jeden die Ausgrenzung und die internen Kolonien verhüllen können. Wenn die alltägliche Gewalt des Staates und der Wirtschaft die böse Seite zum explodieren bringt, braucht man sich nicht wundern, wenn manche die Füsse auf den Tisch legen und sich weigern zu diskutieren. Nur durch Leidenschaften kann eine Welt des Todes verjagt werden. Die Barbaren lauern um die Ecke.
IV
« Wir müssen alle Modelle verlassen und
unsere Möglichkeiten studieren »
E. A. Poe
Notwendigkeit des Aufstands. Notwendigkeit, natürlich nicht im Sinne von etwas unabwendbarem (ein Ereignis, das früher oder später eintreten muss), sondern im Sinne der konkreten Voraussetzung einer Möglichkeit. Notwendigkeit des Möglichen. Das Geld ist notwendig in dieser Gesellschaft. Ein Leben ohne Geld ist möglich. Um mit diesem Möglichen zu experimentieren, ist es notwendig, diese Gesellschaft zu zerstören. Heute können wir nur mit dem experimentieren, was in sozialer Hinsicht notwendig ist.
Seltsamerweise sprechen die Leute, die den Aufstand als tragischen Fehler (oder je nach Geschmack, als unrealisierbaren, romantischen Traum) betrachten oft von sozialer Aktion und von dem Experimentieren mit Räumen der Freiheit. Dennoch reicht es aus, etwas an der Oberfläche solcher Argumente zu kratzen, um ihnen den ganzen Saft rauszulassen. Um frei zu handeln, ist es, wie bereits gesagt, notwendig, ohne Mediation miteinander sprechen zu können. Und nun sage uns jemand: Wie, wann und wo kann man heutzutage Dialoge führen?
Um frei zu diskutieren, muss man den sozialen Zwängen Zeit und Raum entreissen. In einem Wort, der Dialog ist nicht vom Kampf zu trennen. Er kann nicht separiert werden, sowohl materiell (um miteinander zu sprechen, muss man sich der auferlegten Zeit entziehen und die möglichen Räume ergreifen) als auch psychologisch (die Individuen sprechen gerne über das, was sie tun, denn nur so verändern die Worte die Realität.)
Was man vergisst, ist, dass wir alle in einem Ghetto leben, selbst wenn wir keine Miete bezahlen oder der Kalender viele Sonntage zählt. Wenn es uns nicht gelingt, dieses Ghetto zu zerstören, reduziert sich die Freiheit des Experimentierens auf eine ziemlich magere Sache.
Zahlreiche Libertäre denken, dass die soziale Veränderung stufenweise, ohne unerwarteten Bruch geschehen kann und muss. So sprechen sie von “nicht-staatlichen Sphären der Öffentlichkeit”, worin neue Ideen und Praktiken ausgearbeitet werden sollen. Lassen wir die wahrhaft komischen Aspekte der Frage beiseite (Wo ist der Staat abwesend? Wie soll man ihn ausklammern?). Man kann feststellen, dass die ideale Referenz dieser Diskurse die selbstverwaltende und föderalistische Methode ist, mit der Subversive zu gewissen historischen Momenten experimentierten (die Kommune von Paris, das revolutionäre Spanien, die Kommune von Budapest, usw.). Eine Banalität, die ausser Acht gelassen wird, ist, dass sich die Rebellen die Möglichkeit miteinander zu sprechen und die Realität zu verändern mit Waffen genommen haben. Man vergisst schlicht ein kleines Detail: den Aufstand. Man kann eine Methode (Quartiersversammlungen, direkte Entscheidungen, horizontale Verbindungen, usw.) nicht vom Kontext, der sie ermöglicht loslösen, und noch viel weniger, für die eine und gegen die andere Position ergreifen (mit Begründungen wie: « Es führt zu nichts, den Staat anzugreifen, wir müssen uns selbstorganisieren und die Utopie konkretisieren »). Noch bevor man in Betracht zieht, was beispielsweise die Arbeiterräte bedeuteten – und was sie heute bedeuten könnten –, ist es notwendig, sich die Bedingungen ins Bewusstsein zu rufen, unter denen sie geboren wurden (1905 in Russland, 1918-21 in Deutschland und Italien, usw.). Es handelte sich um aufständische Momente. Möge uns jemand erklären, wie es den Ausgebeuteten heute möglich sein soll, in ihrem eigenen Namen über Fragen von einer gewissen Wichtigkeit zu entscheiden, ohne gewaltsam die soziale Normalität zu durchbrechen; danach könnten wir von Selbstverwaltung und Föderalismus sprechen. Noch bevor man darüber diskutiert, was es hiesse, “nach der Revolution” die gegenwärtigen Produktionsstrukturen selbstzuverwalten, muss eine Basisbanalität hervorgehoben werden: die Bosse und die Polizei wären damit nicht einverstanden. Man kann nicht über eine Möglichkeit diskutieren, während die Bedingungen, die sie ermöglichen, ausser Acht gelassen werden. Jegliche Befreiungshypothese ist an einen Bruch mit der aktuellen Gesellschaft gebunden.
Nehmen wir uns einem letzten Beispiel an. Auch in libertären Kreisen wird von direkter Demokratie gesprochen. Man kann sofort erwidern, dass die anarchistische Utopie der Methode des Mehrheitsentscheides entgegengestellt ist. Sehr richtig. Doch Tatsache ist, dass niemend konkret von direkter Demokratie spricht. Lassen wir diejenigen beiseite, die als direkte Demokratie ihr exaktes Gegenteil durchgehen lassen, das heisst, die Erstellung von Bürgerlisten und die Beteiligung an Gemeindewahlen, und nehmen wir diejenigen, die sich wirkliche Bürgerversammlungen vorstellen, in denen man ohne Mediation miteinander sprechen kann. Worüber sollten sich die wohlgenannten Bürger aussprechen? Wie könnten sie anders antworten, ohne gleichzeitig auch die Fragen zu ändern? Wie soll die Trennung zwischen einer angeblichen, politischen Freiheit und den aktuellen ökonomischen, sozialen und technologischen Verhältnissen aufrechterhalten werden? Kurzum, wie man es auch dreht, das Problem der Zerstörung bleibt bestehen. Es sei denn, man ist der Meinung, dass nur eine technologisch zentralisierte Gesellschaft gleichzeitig föderalistisch sein kann; oder, dass die generalisierte Selbstverwaltung in diesen wahrhaften Gefängnissen, die die heutigen Städte darstellen existieren kann. Zu sagen, dass sich all dies stufenweise ändern wird, läuft bloss darauf hinaus, die Angelegenheit zu verschleiern. Ohne verbreitete Revolte kann überhaupt keine Veränderung begonnen werden. Der Aufstand ist die Gesamtheit der sozialen Beziehungen, die sich, wenn die Maske der Spezialisierungen des Kapitals einmal gefallen ist, dem Abenteuer der Freiheit öffnet. Es stimmt, der Aufstand alleine bringt keine Antworten mit sich, er beginnt bloss, Fragen zu stellen. Die Frage ist also nicht, schrittweise oder abenteuerlich zu Handeln. Die Frage ist, zu handeln oder davon zu träumen, es zu tun.
Die Kritik der direkten Demokratie (um bei diesem Beispiel zu bleiben) muss diese letztere in ihrer konkreten Dimension in Betracht ziehen. Nur so kann sie weiter gehen, indem man darüber nachdenkt, was die sozialen Grundlagen der individuellen Autonomie sind. Nur so kann sich dieses Darüberhinausgehen unmittelbar in eine Methodes des Kampfes verwandeln. Die Subversiven befinden sich heute wieder in der Situation, die Hypothesen anderer kritisieren zu müssen, indem sie diese auf eine korrektere Weise definieren, als es ihre eigenen Verteidiger tun.
Um die eigenen Messer nachzuschleifen.
V
« Es ist eine axiomatische Wahrheit, eine Lapalie, dass die Revolution nur gemacht werden kann, wenn es ausreichend Kräfte gibt, um sie zu machen. Doch es ist eine historische Wahrheit, dass sich die Kräfte, die den Wandel und die sozialen Revolutionen bestimmen, nicht durch Volkszählungen messen lassen. »
E. Malatesta
Die Idee eines sozialen Wandels ist heute ausser Mode. Die “Massen”, so sagt man, sind völlig eingeschläfert und in die sozialen Normen integriert. Aus einer solchen Feststellung kann man mindestens zwei Schlussfolgerungen ziehen: Die Revolte ist nicht möglich; die Revolte ist nur mit wenigen möglich. Die erste Schlussfolgerung kann ihrerseits entweder in einen offen institutionellen Diskurs (Notwendigkeit zu Wählen, legale Eroberungen) oder in den sozialen Reformismus (syndikalistische Selbstorganisation, Kämpfe für kollektive Rechte, usw.) auseinanderfallen. Gleichermassen kann die zweite Schlussfolgerung entweder einen klassisch avantgardistischen Diskurs begründen, oder einen anti-autoritären Diskurs der permanenten Agitation.
Als Einleitung kann angemerkt werden, dass die scheinbar entgegengesetzten Hypothesen im Verlaufe der Geschichte eine gemeinsame Ausgangslage hatten.
Wenn man beispielsweise den Gegensatz zwischen Sozialdemokratie und Bolschewismus betrachtet, wird ersichtlich, dass sie beide von der Voraussetzung ausgehen, dass die Massen kein revolutionäres Bewusstsein besitzen und folglich geführt werden müssen. Sozialdemokraten und Bolschewisten unterscheiden sich nur in der Methode – reformistische Partei oder revolutionäre Partei, parlamentarische Strategie oder gewaltsame Machtergreifung –, womit sie dasselbe Programm durchsetzen: Von Ausserhalb den Ausgebeuteten ein Bewusstsein zu verleihen.
Nehmen wir die Hypothese einer “minoritären”, subversiven Praxis, die das leninistische Modell ablehnt. In einer libertären Perspektive verlässt man entweder jeglichen aufständischen Diskurs (zugunsten einer offen abgesonderten Revolte), oder man muss sich früher oder später dem Problem der sozialen Wirkungskraft der eigenen Ideen und Praktiken stellen. Wenn wir die Frage nicht im Rahmen linguistischer Wendungen einschliessen wollen (indem man beispielsweise sagt, dass die Thesen, die wir unterstützen, bereits in den Köpfen der Ausgebeuteten sind, oder, dass die eigene Rebellion bereits zu einer verbreiteten Bedingung gehört), drängt sich eine Tatsache auf: Wir sind isoliert – Um nicht zu sagen: Wir sind wenige.
Sich mit wenigen zu bewegen stellt nicht nur keine Grenze dar, es bedeutet auch, die soziale Veränderung auf eine andere Weise zu denken. Die Libertären sind die Einzigen, die sich eine Dimension des kollektiven Lebens vorstellen, das nicht der Existenz von Machtzentren untergeordnet ist. Die wirkliche, föderalistische Hypothese ist eben die Idee, die Abmachungen unter den freien Vereinigungen von Individuen ermöglicht. Die Affinitätsbeziehungen sind eine Art und Weise, die Vereinigung nicht mehr auf Basis von Ideologien und quantitativem Anhang zu verstehen, sondern im Gegenteil, ausgehen von der gegenseitigen Kenntnis, dem Vertrauen und dem Teilen von Leidenschaften in einem Projekt. Die Affinität innerhalb der Projekte und die Autonomie der individuellen Handlung bleiben jedoch tote Buchstaben, wenn es nicht gelingt, sie auszuweiten, ohne dass sie für angeblich übergeordnete Notwendigkeiten aufgeopfert werden. Die horizontale Verbindung ist das, was jegliche libertäre Praxis konkret werden lässt: eine informelle, tatsächliche Verbindung, die im Stande ist, mit jeglicher Repräsentation zu brechen. Eine zentralisierte Gesellschaft kommt ohne polizeiliche Kontrolle und ohne einen tödlichen technologischen Apparat nicht aus. Deshalb haben jene, die sich keine Gemeinschaft ohne staatliche Autorität vorstellen können, keine Mittel, um die Ökonomie, die den Planeten am zerstören ist, zu kritisieren; und jene, die sich keine Gemeinschaft von Einzigen denken können, haben keine Waffen gegen die politische Mediation. Die Idee des freien Experimentierens und der Vereinigung unter Gleichgesinnten [affini] als Grundlage für neue Beziehungen, macht hingegen eine komplette soziale Umwälzung möglich. Nur durch das Verlassen jeglicher Idee eines Zentrums (die Eroberung des Winterpalastes, oder, um mit der Epoche schrittzuhalten, des Staatsfernsehens), können wir ein Leben ohne Zwang und ohne Geld aufbauen. Somit ist die Methode des diffusen Angriffs eine Kampfform, die bereits eine andere Welt in sich trägt. Handeln, während alle das Warten predigen, während man nicht auf viel Unterstützung zählen kann, während man im Voraus nicht weiss, ob man Resultate erzielen wird – handeln bedeutet so, bereits das zu bekräftigen, wofür man kämpft: Eine Gesellschaft ohne Mass. Und hier enthält das Handeln in kleinen Gruppen von Gleichgesinnten seine wichtigste Qualität – jene, nicht ein schlichter, taktischer Ausweg zu sein, sondern gleichzeitig das eigene Ziel zu realisieren. Die Lüge der Übergangsperiode zu liquidieren (die Diktatur vor dem Kommunismus, die Macht vor der Freiheit, der Lohn vor der Plünderung, die Gewissheit von Resultaten vor der Handlung, die Finanzierungsanfragen vor der Enteignung, die “ethischen Banken” vor der Anarchie, usw.), bedeutet, aus der Revolte selbst ein anderes Mittel zu machen, die Beziehungen wahrzunehmen. Unmittelbar die technologische Hydra anzugreifen, bedeutet, sich ein Leben ohne Bullen in weissen Hemden zu denken (was heisst: ohne die ökonomische und wissenschaftliche Organisation, die sie notwendig macht); unmittelbar die Instrumente der medialen Domestizierung anzugreifen, bedeutet, von Bildern befreite Beziehungen aufzubauen (was heisst: von der alltäglichen Passivität befreit, die sie fabriziert). Jene, die schreien, dass es nicht mehr – oder noch nicht – Zeit ist, um zu rebellieren, enthüllen uns im Voraus, welcherart die Gesellschaft ist, für die sie kämpfen.
Das Verteidigen der Notwendigkeit eines sozialen Aufstands – einer unbezwingbaren Umwälzung, die mit der historischen Zeit bricht, um das Mögliche an die Oberfläche treten zu lassen – bedeutet hingegen eine einfache Sache zu sagen: wir wollen keine Führer. Heute ist der einzige konkrete Föderalismus die generalisierte Rebellion.
Um jegliche Form von Zentralisierung zurückzuweisen, ist es notwendig, die quantitative Idee des Kampfes zurückzulassen, das heisst, die Idee, die Ausgebeuteten aufzurufen, sich für einen frontalen Konflikt mit der Macht zu versammeln. Es ist notwendig, ein anderes Konzept von Stärke zu denken – um die Volkszählungszettel zu verbrennen und die Realität zu verändern.
« Regel Nummer Eins: Nicht in Massen bewegen. Aktionen zu dritt oder höchstens zu viert ausführen. Die Zahl der kleinen Gruppen muss so gross wie möglich sein und jede von ihnen muss lernen, schnell anzugreifen und zu verschwinden. Die Polizei kann eine Masse von tausend Personen mit einer einzigen Gruppe von hundert Kosaken niederschlagen. Es ist einfacher hundert Menschen zu besiegen als einen einzelnen, vor allem wenn er überaschend zuschlägt und mysteriös verschwindet. Die Polizei und die Armee sind machtlos, wenn Moskau von diesen kleinen, unangreifbaren Splittergruppen übersäht ist. […] Besetzt keine Festungen. Die Truppen werden sie stets erobern, oder schlicht mit ihrer Artillerie zerstören können. Unsere Stärken sollen Innenplätze sein, und alle Orte, von wo man leicht zuschlagen und einfach abhauen kann. Würden sie diese Orte einnehmen wollen, dann werden sie dort niemanden finden und hätten zahlreiche Männer verloren. Für sie ist es unmöglich, sie alle einzunehmen, denn, um dies zu tun, müssten sie jedes Haus mit Kosaken füllen. »
Anweisungen an die Aufständischen, Moskau
11.Dezember 1905
VI
« Die Poesie besteht darin, die Dinge ungesetzlich
zu vermählen und zu scheiden »
F. Bacon
Ein anderes Konzept von Stärke denken. Vielleicht liegt gerade darin die neue Poesie. Was ist im Grunde die soziale Revolte, wenn nicht ein generalisiertes Spiel von ungesetzlichen Vermählungen und Scheidungen zwischen den Dingen?
Die revolutionäre Stärke ist keine Stärke, die jener der Macht gleicht und ihr gegenübersteht. Wenn dies so wäre, wären wir schon im Voraus geschlagen, da jede Veränderung eine ewige Rückkehr des Zwangs bedeuten würde. Alles würde sich auf eine militärische Konfrontation reduzieren, auf einen makaberen Tanz von Bannern. Doch die wirklichen Bewegungen entziehen sich stets dem quantitativen Blick.
Staat und Kapital verfügen über die ausgefeiltesten Kontroll- und Repressionssysteme. Wie sich diesem Moloch engegensetzen? Das Geheimnis liegt in der Kunst des Zerlegens und wieder Zusammenfügens. Die Bewegung der Intelligenz ist ein fortwährendes Spiel von Brüchen und Korrespondenzen. Dasselbe gilt für die subversive Praxis. Die Technologie zu kritisieren, zum Beispiel, bedeutet, ihr allgemeines Ausmass zu begreifen, sie nicht als schlichte Gesamtheit von Maschinen zu betrachten, sondern als soziale Beziehung, als System; dies bedeutet, zu verstehen, dass ein technologisches Instrument die Gesellschaft widerspiegelt, die es produziert hat, und, dass seine Einführung die Beziehungen zwischen den Individuen verändert. Technologie zu kritisieren, heisst, die Unterordnung aller menschlichen Tätigkeiten unter die Zeit des Profits zu verweigern. Andernfalls würden wir uns selbst etwas vormachen, was ihre Auswirkung, ihre angebliche Neutralität und die Umkehrbarkeit ihrer Tragweite betrifft. Doch gleich darauf sollte man die Technologie in ihre tausend Verästelungen zerlegen; in ihre konkreten Realisierungen, die uns mit jedem Tag etwas mehr verstümmeln. Man muss verstehen, dass die Verbreitung der von ihr ermöglichten Produktions- und Kontrollstrukturen, die Sabotage einfacher machen. Ansonsten wäre es unmöglich, die Technologie anzugreifen. Dasselbe gilt für die Schule, die Kasernen und die Büros. Es handelt sich um Realitäten, die von den allgemeinen hierarchischen Verhältnissen und Warenbeziehungen nicht zu trennen sind, sich jedoch in präzisen Orten und Menschen konkretisieren.
Wie können wir – so wenig, wie wir sind – für Studenten, Arbeiter und Arbeitslose sichtbar werden? Wenn wir von Konsens und Bildern sprechen (eben, sich sichtbar machen), liegt die Antwort auf der Hand: Die Gewerkschaften und gewitzten Politiker sind stärker als wir. Woran es wiederum mangelt, ist die Fähigkeit, zusammenzufügen und voneinander zu scheiden. Der Reformismus nimmt sich der Details an und dies auf quantitative Weise: Er mobilisiert grosse Zahlen, um bestimmte Teilbereiche der Macht zu verändern. Eine globale Kritik der Gesellschaft hingegen kann eine qualitative Betrachtung der Aktion hervortreten lassen. Eben weil es keine revolutionären Zentren oder Subjekte gibt, denen man seine eigenen Projekte unterordnen könnte, verweist jeder Aspekt der sozialen Wirklichkeit auf die Gesamtheit, von der sie Teil ausmacht. Ob es sich um Umweltverschmutzung, das Gefängnis oder den Urbanismus handelt, ein wirklich subversiver Diskurs endet damit, alles in Frage zu stellen. Heute mehr denn je kann sich ein quantitatives Projekt (In permanenten Organisationen mit einem spezifischen Programm Studenten, Arbeiter oder Arbeitslose zu versammeln) bloss um ein Detail drehen, während es die Aktion ihrer wichtigsten Stärke beraubt – der Stärke, Fragen zu stellen, die nicht in kategorische Unterteilungen einzugrenzen sind (Studenten, Arbeiter, Migrant, Homosexueller, usw.). Dies gilt umso mehr, da der Reformismus immer unfähiger ist, auch nur irgendetwas zu reformieren (Man denke an die Arbeitslosigkeit, fälschlicherweise als – lösbarer – Fehler der ökonomischen Rationalität präsentiert). Irgendjemand sagte einmal, dass sogar das Bedürfnis nach unvergiftetem Essen bereits ein revolutionäres Projekt geworden ist, da es für dessen Befriedigung notwendig ist, alle sozialen Beziehungen zu verändern. Jegliche, an einen präzisen Verhandlungspartner gerichtete Forderung trägt ihr eigenes Scheitern bereits in sich, und sei es bloss, weil keine einzige Autorität – auch wenn sie es wollte – ein Problem von allgemeiner Bedeutung zu lösen vermag. An wen soll man sich wenden, um gegen die Luftverschmutzung anzukämpfen?
Die Arbeiter, die während eines Generalstreiks ein Transparent mit der Aufschrift Wir fordern nichts trugen, hatten verstanden, dass das Scheitern in der Forderung selbst liegt (“Gegen den Feind ist die Forderung unendlich” heisst es in einem der Zwölftafelgesetze). Es bleibt der Revolte überlassen, sich allem zu entledigen. Wie Stirner sagte: « Egal wieviel ihr ihnen abgebt, sie würden stets nach mehr fragen, denn was sie wollen, ist nichts geringeres als das Ende von jeglichem Zugeständnis ».
Und nun? Nun können wir daran denken, mit wenigen zu handeln ohne isoliert zu handeln, im Bewusstsein, dass ein paar gute Kontakte in explosiven Situationen zu mehr dienen, als grosse Zahlen. Die traurig fordernden, sozialen Kämpfe entwickeln sehr oft Methoden, die interessanter sind als ihre Ziele (eine Gruppe Arbeitsloser, zum Beispiel, die Arbeit fordert und schlussendlich ein Stellenvermittlungsbüro niederbrennt). Gewiss, wir können uns Abseits halten und sagen, dass Arbeit nicht gefordert sondern zerstört werden muss. Oder wir könnten versuchen, eine Verbindung zwischen der Kritik an der Ökonomie und dem leidenschaftlich abgebrannten Büro, oder der Kritik an Gewerkschaften und einem Diskurs über Sabotage zu machen. Jegliches spezifische Kampfziel enthält in sich, zum explodieren bereit, die Gewalt aller sozialen Beziehungen. Wie wir wissen, ist die Banalität ihres unmittelbaren Anlasses, die Visitenkarte der Revolten im Verlaufe der Geschichte.
Was könnte eine Gruppe von entschlossenen Gefährten in solchen Situationen tun? Nicht viel, wenn sie (beispielsweise) noch nicht darüber nachdachten, wie sie ein Flugblatt verteilen, oder an welchen Orte der Stadt sie eine Blockade ausbreiten könnten; und etwas mehr, wenn eine freudige und aufrührerische Intelligenz sie die grossen Zahlen und die grossen organisatorischen Strukturen vergessen lässt.
Ohne die Absicht, die Mythologie des Generalstreiks als den Aufstand entfesselnde Bedingung wiederzubeleben, ist es ziemlich klar, dass die Unterbrechung der sozialen Aktivität ein entscheidender Punkt bleibt. Was auch immer der Grund des aufständischen Konfliktes ist, die subversive Aktion muss auf eben diese Lähmung der Normalität abziehlen. Solange die Studenten weiterhin studieren, die Arbeiter – jene, die übrigbleiben – und die Angestellten weiterhin arbeiten und die Arbeitslosen weiterhin mit dem Suchen nach einer Arbeitsstelle beschäftigt sind, ist keine Veränderung möglich. Die revolutionäre Praxis bliebe den Leuten stets aufgesetzt. Eine von den sozialen Kämpfen getrennte Organisation nützt weder dazu, die Revolte zu entfesseln, noch ihre Wirkungskraft zu verbreitern und zu verteidigen. Wenn es stimmt, dass sich die Ausgebeuteten um diejenigen sammeln, die im Verlaufe des Kampfes die grössten, ökonomischen Vorteile garantieren können – wenn es also stimmt, dass jeder fordernde Kampf notwendigerweise einen reformistischen Charakter hat –, dann sind es die Libertären, die durch ihre Methoden (individuelle Autonomie, direkte Aktion, permanente Konfliktualität) danach drängen können, den Rahmen der Forderung zu übersteigen und alle sozialen Identitäten (Professor, Angestelter, Arbeiter, usw.) zu negieren. Eine spezifische, permanente Organisation von Libertären, die Forderungen stellt, würde abseits der Kämpfe bleiben (nur einige Ausgebeutete könnten sich entscheiden, an ihr teilzunehmen), oder die eigenen, libertären Charakterzüge verlieren (im Rahmen der syndikalistischen Kämpfe, sind die Syndikalisten die professionellsten). Eine von Revolutionären und Ausgebeuteten gebildete, organisatorische Struktur kann nur konfliktuell bleiben, wenn sie auf die Zeitlichkeit eines Kampfes, auf ein spezifisches Ziel und auf die Perspektive des Angriffs abgestimmt ist; schliesslich nur, wenn sie eine handelnde Kritik an Syndikaten und der Kollaboration mit den Bossen ist.
Im Moment kann man nicht sagen, dass die Kapazität der Subversiven, soziale Kämpfe (anti-militaristisch, gegen Umweltverschmutzung, usw.) zu lancieren bemerkenswert ist. Es bleibt noch immer die andere Hypothese (für all jene, wohlverstanden, die sich nicht ständig widerholen, dass “die Menschen mitschuldig und resigniert sind”, und gute Nacht den Träumern), jene einer autonomen Intervention in die Kämpfe – oder in die mehr oder weniger breiten Revolten –, die spontan entstehen. Falls man klare Diskurse über die Gesellschaft, für die die Ausgebeuteten kämpfen sucht (wie es ein raffinierter Theoretiker angesichts einer kürzlichen Streikwelle beabsichtigte), dann kann man in Ruhe Zuhause bleiben. Und falls man sich darauf beschränkt, “kritisch zuzustimmen” – was im Grunde nicht viel anders ist –, dann stellt man seine roten und schwarzen Flaggen schlicht neben jene der Parteien und Syndikate. Noch einmal, die Kritik des Details nimmt sich dem quantitativen Modell an. Wenn man denkt, man müsse während die Arbeitslosen vom Recht auf Arbeit sprechen, dies ebenso tun (mit der unerlässlichen Unterscheidung zwischen Lohnarbeit und “sozial nützlicher Aktivität”), dann wird der mit Demonstranten gefüllte Platz der einzige Handlungsort sein. Wie der alte Aristoteles wusste, gibt es keine mögliche Repräsentation ohne Einheit von Zeit und Ort.
Doch wer hat gesagt, dass wir – indem wir es praktizieren – zu den Arbeitslosen nicht von Sabotage, von der Abschaffung des Rechts oder der Weigerung den Anwalt zu bezahlen sprechen können? Wer hat gesagt, dass die Ökonomie im Verlauf eines Streiks auf der Strasse nicht woanders kritisiert werden darf? Das zu sagen, worauf der Feind nicht gefasst ist und da zu sein, wo er uns nicht erwartet.
Dies ist die neue Poesie.
VI
« Wir sind zu jung, wir können nicht länger warten. »
Wandgraffiti in Paris
Die Stärke eines Aufstands ist sozial, nicht militärisch. Das Mass, um die Auswirkung einer generalisierten Revolte abzuschätzen, ist nicht die bewaffnete Konfrontation, sondern vielmehr, in welchem Umfang die Ökonomie lahmgelegt und Produktions- und Distributionsstätten eingenommen wurden, das freie Geben jegliche Berechnung versengte und von den Pflichten und sozialen Rollen desertiert wurde; in einem Wort: die Umwälzung des Lebens.
Keine Guerilla, wie effektiv sie auch sein mag, kann diese überwältigende Bewegung der Zerstörung und Umformung ersetzen. Der Aufstand ist das anmutige Zutagetreten einer Banalität: Keine Macht kann herrschen, ohne die freiwillige Knechtschaft jener, die sie ertragen. Nichts bringt besser als die Revolte ans Licht, dass es die Ausgebeuteten selbst sind, die die mordende Ausbeutungsmaschine am Laufen halten. Die verbreitete und wilde Unterbrechung der sozialen Aktivität zieht plötzlich den Vorhang der Ideologie weg und lässt die wirklichen Kräfteverhältnisse hervortreten; so zeigt sich der Staat als das, was er ist – die politische Organisation der Passivität. Die Ideologie auf der einen und die schöpferische Fantasie auf der anderen Seite enthüllen nun ihr gesamtes materielles Gewicht. Die Ausgebeuteten entdecken schlicht eine Kraft, die sie schon immer besassen, und brechen mit der Illusion, dass sich die Gesellschaft von selbst reproduziert – oder irgendein Maulwurf ihr den Weg bereitet.
Sie erheben sich gegen ihre eigene, unterwürfige Vergangenheit – das, was eben der Staat** ist –, gegen die Gewohnheit, die zur Verteidigung der alten Welt errichtete wurde. Die Verschwörung von Aufständischen ist die einzige Gelegenheit, bei welcher die “Kollektivität” weder die Nacht ist, die den Flug der Glühwürmchen an die Polizei verrät, noch die Lüge, die aus der Summe der individuellen Unbehagen ein Allgemeingut macht, sondern das Schwarz, dass der Differenz die Stärke der Komplizenschaft verleiht. Das Kapital ist in erster Linie eine Gemeinschaft von Denunzianten, eine Vereinigung, die die Individuen schwächt, ein Zusammensein, das uns getrennt hält. Das soziale Bewusstsein ist eine Stimme in unserem Innern, die wiederholt: “die anderen akzeptieren es”. Die wirkliche Kraft der Ausgebeuteten richtet sich somit gegen sie selbst. Der Aufstand ist der Prozess, der diese Kraft befreit und sie auf die Seite der Lebensfreude und Autonomie trägt; es ist der Moment, in dem man gegenseitig denkt, dass die beste Sache, die man für die Anderen tun kann, ist, sich selbst zu befreien. In diesem Sinne ist er “eine kollektive Bewegung individueller Realisierung”.
Die Normalität der Arbeit und der “Freizeit”, der Familie und des Konsums tötet jede böse Leidenschaft für die Freiheit. (Selbst in diesem Moment, während wir diese Zeilen schreiben, sind wir von unseren Mitmenschen getrennt, und diese Trennung erleichtert den Staat um die Last, uns das Schreiben zu verbieten). Ohne einen gewaltsamen Bruch mit der Gewohnheit, ist keine Veränderung möglich. Doch Revolte ist stets das Werk von Minoritäten. Um sie herum gibt es die Masse, bereit sich zum Instrument der Herrschaft zu machen (für den rebellierenden Sklaven besteht die Macht zugleich aus der Gewalt des Meisters und aus der Unterwerfung der anderen Sklaven), oder durch Untätigkeit, die im Gange befindliche Veränderung hinzunehmen. An dem grössten, wilden Streik der Geschichte – jenem des Mai 68 – beteiligte sich bloss ein Fünftel der Bevölkerung eines einzigen Staates. Die einzige aus all dem zu ziehende Schlussfolgerung ist weder, die Macht an sich zu reissen, um die Massen zu führen, noch, dass es notwendig ist, sich als das Bewusstsein des Proletariats zu präsentieren; sondern schlichtwegs, dass es keinen Sprung von der heutigen Gesellschaft in die Freiheit geben kann. Die unterwürfige, passive Haltung ist keine Angelegenheit, die sich in einigen Tagen oder Monaten auflösen wird. Doch ihr Gegenteil muss sich Raum verschaffen und sich eigene Zeit nehmen. Die soziale Umwälzung ist bloss die Voraussetzung zum Aufbruch.
Die Verachtung der “Masse” ist nicht qualitativ, vielmehr ideologisch, also den herrschenden Vorstellungen unterworfen. Das Volk des Kapitals existiert, gewiss, aber es hat keine präzisen Konturen. Denn das Unbekannte und der Wille zu leben treten meuternd aus der anonymen Masse hervor. Zu sagen, wir seien die einzigen Rebellen in einem Meer aus Unterwerfung, ist im Grunde genommen beruhigend, denn es beendet das Spiel schon im Voraus. Wir sagen bloss, dass wir nicht wissen, wer unsere Komplizen sind, und dass es eines sozialen Sturmes bedarf, um diese aufzuspühren. Heute entscheidet jeder von uns darüber, inwiefern die Anderen nicht entscheiden können (indem man sein eigenes Entscheidungsvermögen aufgibt, lässt man eine Welt von Automaten funktionieren). Im Verlaufe des Aufstands vergrössert sich durch die Waffen die Möglichkeit zu Wählen und mit den Waffen gilt es, sie zu verteidigen; denn auf dem Kadaver des Aufstands, keimt die Reaktion. Auch wenn das aufständische Phänomen in seinen aktiven Kräften minoritär ist (doch in Bezug auf welche Masseinheit?), kann es äusserst weitreichende Dimensionen annehmen, und in dieser Hinsicht enthüllt es seine soziale Natur. Je umfangreicher und enthusiastischer die Rebellion ist, desto weniger wird die militärische Konfrontation zu seinem Mass. Mit der Ausbreitung der bewaffneten Selbstorganisation der Ausgebeuteten zeigt sich die ganze Gebrechlichkeit der sozialen Ordnung und verfestigt sich das Bewusstsein, dass die Revolte – ebenso wie die Hierarchien und Warenbeziehungen – überall ist. Wer hingegen an die Revolution als Staatsstreich denkt, hat eine militärische Auffassung der Konfrontation. Jegliche Organisation, die sich als Avantgarde der Ausgebeuteten hinstellt, neigt dazu, die Tatsache zu verbergen, dass die Herrschaft eine soziale Beziehung und nicht ein schlichtes zu eroberndes Hauptquartier ist; denn wie könnte sie sonst ihre Rolle rechtfertigen?
Das Nützlichste, was mit den Waffen getan werden kann, ist, sie so unnütz wie möglich zu machen. Aber das Problem der Waffen bleibt abstrakt, solange es nicht mit der Beziehung zwischen Revolutionären und Ausgebeuteten, zwischen Organisation und reeller Bewegung in Verbindung gebracht wird.
Allzuoft haben die Revolutionäre behauptet, das Bewusstsein der Ausgebeuteten zu sein und den Grad ihrer subversiven Reife zu repräsentieren. So ist die “soziale Bewegung” zur Rechtfertigung der Partei geworden (die in der leninistischen Version zu einer Elite von Berufsrevolutionären wird). Je mehr man von den Ausgebeuteten getrennt ist, desto mehr muss man eine Beziehung repräsentieren, die mangelt; hierin besteht der Teufelskreis. Die Subversion wird somit auf die eigenen Praktiken reduziert, und die Repräsentation wird zur Organisation einer ideologischen Erpressung – die bürokratische Version der kapitalistischen Aneignung. Die revolutionäre Bewegung identifiziert sich also mit ihrem “fortgeschrittensten” Ausdruck, demjenigen, der ihr Konzept realisiert. Die hegelianische Dialektik bietet ein perfektes Gerüst für diese Konstruktion.
Doch es gibt auch eine Kritik der Trennung und der Repräsentation, die das Warten rechtfertigt und der Rolle der Kritiker Wert beimisst. Unter dem Vorwand, sich nicht von der “sozialen Bewegung” zu trennen, endet man damit, jegliche Praxis des Angriffs, als “Flucht nach vorne” oder “bewaffnete Propaganda” anzuprangern. Ein weiteres Mal ist der Revolutionär dazu berufen, die wirklichen Bedingungen der Ausgebeuteten zu “entschleiern”, wenn auch durch seine eigene Untätigkeit. Demnach ist ausserhalb einer sichtbaren, sozialen Bewegung überhaupt keine Revolte möglich. Jene, die zur Tat übergehen, müssen sich also zwangsläufig an die Stelle der Proletarier setzen wollen. Die “radikale Kritik”, die “revolutionäre Erleuchtung” wird so zum einzigen zu verteidigenden Erbe. Das Leben ist ein Elend, man kann also nur das Elend theoretisieren. Die Wahrheit über alles. Auf diese Weise wird die Trennung zwischen den Subversiven und den Ausgebeuteten nicht im Geringsten beseitigt, sie wird bloss verschoben. Wir sind nicht Ausgebeutete an der Seite anderer Ausgebeuteter; unsere Träume, unser Wut und unsere Schwächen sind nicht Teil des Klassenkonfliktes. Wir können nicht handeln, wenn es uns danach ist: Wir haben eine Mission zu erfüllen – auch wenn sie sich selbst nicht so nennt. Es gibt also jene, die sich durch das Handeln für das Proletariat aufopfern und jene, die es durch die Passivität tun.
Diese Welt vergiftet uns, sie zwingt uns zu unnützen und schädlichen Handlungen, sie drängt uns die Notwendigkeit von Geld auf und beraubt uns der leidenschaftlichen Beziehungen. Wir werden alt, inmitten von Männern und Frauen ohne Träume, Fremde in einer Gegenwart, die unserem freizügigsten Elan keinen Platz übriglässt. Wir sind nicht Partisanen irgendeiner Selbstverleugnung. Das Beste was diese Gesellschaft anzubieten hat (eine Karriere, ein Ansehen, ein plötzlicher, grosser Gewinn, die “Liebe”) interessiert uns ganz einfach nicht. Das Erteilen von Befehlen ist uns genauso zuwider wie die Gehorsamkeit. Wir sind Ausgebeutete wie die Anderen und wir wollen unverzüglich mit der Ausbeutung Schluss machen. Die Revolte hat für uns keine weitere Rechtfertigung nötig.
Unser Leben entgleitet uns und jeglicher Klassendiskurs, der dies nicht zum Ausgangspunkt nimmt, ist nichts als eine Lüge. Wir wollen soziale Bewegungen weder dirigieren noch tragen, sondern an den bestehenden in dem Masse teilnehmen, wie wir in ihnen gemeinsame Ansprüche erkennen. In einer masslosen Perspektive der Befreiung gibt es keine übergeordneten Kampfformen. Die Revolte braucht alles, Zeitschriften und Bücher, Waffen und Sprengsätze, Überlegung und Blasphemie, Gifte, Dolche und Brandstiftungen. Die einzige interessante Frage ist, wie sie kombinieren?
VIII
« Es ist leicht ein Vogel zu treffen, der in gerader Linie fliegt. »
B. Gracián
Wir können das Verlangen, das eigene Leben umgehend zu verändern nicht nur verstehen, es stellt auch das einzige Kriterium dar, nach dem wir unsere Komplizen suchen. Dasselbe gilt für das, was man ein Bedürfniss nach Kohärenz nennen könnte. Der Wille seine Ideen auszuleben und die Theorie ausgehend von seinem eigenen Leben zu erschaffen, ist gewiss keine Suche nach Exemplarität (mit ihrer paternalistischen und hierarchischen Kehrseite), sondern im Gegenteil, die Verweigerung jeglicher Ideologie, einschliesslich jener der Freude. Noch bevor wir nachdenken, trennt uns die Art und Weise selbst, die Existenz zu betasten, von denjenigen, die sich mit den Lebensräumen, die sie in dieser Gesellschaft finden – und erhalten – zufriedenstellen können. Doch ebenso fern fühlen wir uns von jenen, die von der alltäglichen Normalität desertieren wollen, um sich der Mythologie der Klandestinität und der bewaffneten Organisation hinzugeben, was heisst, um sich in anderen Käfigen einzuschliessen. Überhaupt keine Rolle, wie gesetzlich Riskant sie auch sei, kann die reelle Veränderung der Beziehungen ersetzen. Es liegt keine Abkürzung zur Hand, es gibt keinen unmittelbaren Sprung ins Anderswo. Die Revolution ist kein Krieg.
Die unheilvolle Ideologie der Waffen hat schon in der Vergangenheit das Bedürfnis nach Kohärenz von einigen in eine Herdenmentalität von vielen verwandelt. Mögen sich die Waffen ein für alle mal gegen die Ideologie wenden.
Wer die Leidenschaft für soziale Umwälzung und eine “persönliche” Vision des Klassenkampfes besitzt, will sofort etwas tun. Wenn er den Wandel des Kapitals und des Staates analysiert, dann um sich für den Angriff zu entscheiden, und gewiss nicht, um mit klareren Ideen schlafen zu gehen. Wenn er die Verbote und Trennungen des herrschenden Gesetzes und der herrschenden Moral nicht verinnerlicht hat, dann mit der Absicht, alle Mittel zur Bestimmung der eigenen Spielregeln zu verwenden. Schreibfeder und Pistole sind für ihn in gleichem Masse Waffen, im Unterschied zum Schriftsteller und zum Soldaten, für welche die Dinge Berufsangelegenheiten und daher eine Warenindentität sind. Der Subversive bleibt subversiv, auch ohne die Feder oder die Pistole, solange er jene Waffe besitzt, die alle anderen enthält: seine Entschlossenheit.
Der “bewaffnete Kampf” ist eine Strategie, die in den Dienst eines beliebigen Projektes gestellt werden kann. Heute wird die Guerilla auch von Organisationen eingesetzt, deren Programm im Wesentlichen sozialdemokratisch ist; sie verteidigen ihre Forderungen schlicht mit einer militanteren Praxis. Politik lässt sich auch mit Waffen machen. In jeglicher Unterhandlung mit der Macht – das heisst, in jeder Beziehung, die sie als Gesprächspartner beibehält, wenn auch als Gegner – müssen sich die Verhandelnden als repräsentative Kraft darstellen. Eine soziale Realität zu repräsentieren, bedeutet aus dieser Sicht, sie auf die eigene Organisation zu reduzieren. Der beabsichtigte bewaffnete Konflikt ist folglich nicht diffus und spontan, sondern an diverse Unterhandlungsphasen gebunden. Die Organisation wird die Ergebnisse verwalten. Die Beziehungen zwischen den Organisationsmitgliedern, und zwischen diesen und dem Rest der Welt spiegeln als Folge das wieder, was ein autoritäres Programm ist; sie tragen die Hierarchie und die Unterwerfung in ihrem Herzen.
Das Problem ist bei denjenigen, die sich die gewalttätige Übernahme der politischen Macht zum Ziel machen nicht viel anders. Es geht ihnen darum, Propaganda für ihre Kraft als Avantgarde zu machen, die fähig ist, die revolutionäre Bewegung zu leiten. Der “bewaffnete Kampf” wird als die höchste Form der sozialen Kämpfe dargestellt. Diejenigen, die militärisch am repräsentativsten sind – dank der spektakulären Wirkung der Aktionen –, bilden folglich die authentische bewaffnete Partei. Die Prozesse und die Volksgerichte sind die konsequente in Szene Setzung von denjenigen, die sich an der Stelle des Staates sehen wollen.
Der Staat seinerseits hat alles Interesse daran, die revolutionäre Bedrohung auf eine Hand voll kämpfender Organisationen zu reduzieren, um so die Subversion in einen Konflikt zwischen zwei Armeen zu verwandeln: die Institutionen auf der einen Seite, die bewaffnete Partei auf der anderen. Wovor sich die Herrschaft wirklich fürchtet, ist die generalisierte und anonyme Revolte. Das mediale Bild des “Terroristen” arbeitet Hand in Hand mit der Polizei zur Verteidigung des sozialen Friedens. Der Bürger applaudiert oder empört sich, bleibt jedoch so oder so ein Bürger, das heisst, ein Zuschauer.
Schliesslich nährt die reformistische Verschönerung des Bestehenden die bewaffnete Mythologie indem sie die falsche Wahl zwischen legaler Politik und klandestiner Politik produziert. Es genügt festzustellen, wie viele aufrechte, linke Demokraten sich von den Guerillas in Mexiko oder Lateinamerika gerührt fühlen. Die Passivität benötigt stets Ratgeber und Spezialisten. Wenn sie von den einen – den traditionellen – enttäuscht wird, schart sie sich um die neuen.
Eine bewaffnete Organisation – mit einem Programm und einem Kennzeichen –, die ausschliesslich aus Revolutionären besteht, kann sicherlich libertäre Charakteristiken enthalten, ebenso wie die soziale Revolution, die zahlreiche Anarchisten wollen, zweifellos auch ein “bewaffneter Kampf” ist. Doch genügt das?
Wenn wir die Notwendigkeit erkennen, die bewaffnete Tat im Laufe der aufständischen Konfrontation zu organisieren; wenn wir von nun an die Möglichkeit verteidigen, die Menschen und Strukturen der Herrschaft anzugreifen; wenn wir schliesslich die horizontale Verbindung zwischen Affinitätsgruppen in den Praktiken der Revolte als entscheidend erachten, dann kritisieren wir im Gegenzug die Perspektive von jenen, die die bewaffneten Aktionen als eine wirkliche Überwindung der Grenzen der sozialen Kämpfe darstellen und somit einer Kampfform eine den anderen übergeordnete Rolle zuschreiben. Darüberhinaus sehen wir in dem Gebrauch von Kennzeichen und Programmen die Schaffung einer Identität, die die Revolutionäre von anderen Ausgebeuteten separiert, während sie sich gleichzeitig für die Augen der Macht sichtbar, das heisst, repräsentierbar macht. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, ist der bewaffnete Angriff nicht mehr eines der zahlreichen Mittel zur eigenen Befreiung, sondern ein Ausdruck, der mit einem symbolischen Wert aufgeladen ist und zur Aneignung der anonymen Rebellion tendiert. Die informelle Organisation als Handlung an den zeitlichen Aspekt der Kämpfe gebunden, wird zur permanenten und formalisierten Entscheidungsstruktur. Was eine Gelegenheit war, sich in seinen Projekten zu treffen, verwandelt sich in ein Projekt an sich. Die Organisation beginnt, genauso wie die reformistischen, quantitativen Strukturen, ihre eigene Reproduktion anzustreben. Daraus folgt unabwendbar die triste Reihe von Bekennerschreiben und programmatischen Dokumenten, in welchen man den Ton anhebt, um sich folglich in der Suche nach einer Identität wiederzufinden, die nur existiert, weil sie deklariert wurde. Angriffsaktionen, die mit anderen, schlicht anonymen Aktionen vergleichbar sind, scheinen somit wer weiss was für einen qualitativen Sprung in der revolutionären Praxis darzustellen. Das Muster der Politik taucht wieder auf und man beginnt in gerader Linie zu fliegen.
Natürlich ist die Notwendigkeit sich zu organisieren etwas, das die Praxis der Subversiven, über die Erfordernisse eines Kampfes hinaus, immer begleiten kann. Doch um sich zu organisieren braucht es lebendige und konkrete Vereinbarungen, nicht ein Bild auf der Suche nach Scheinwerfern.
Das Geheimnis des subversiven Spiels ist die Fähigkeit, die deformierenden Spiegel zu zerschlagen und sich von Angesicht zu Angesicht mit den eigenen Nacktheiten wiederzufinden. Die Organisation ist die reelle Gesamtheit von Projekten, die sie zum Leben erweckt. Alles andere ist eine politische Prothese und nichts anderes.
Der Aufstand ist viel mehr als ein “bewaffneter Kampf”, denn die generalisierte Konfrontation macht aus ihm Eins mit der Umwälzung der sozialen Ordnung. Die alte Welt wird umgestürzt, insofern die aufständischen Ausgebeuteten alle bewaffnet sind. Nur dann sind die Waffen nicht mehr der abgetrennte Ausdruck einer Avantgarde, das Monopol zukünftiger Bosse und Bürokraten, sondern die konkrete Bedingung der revolutionären Fete: die kollektive Möglichkeit, die Umwandlung der sozialen Beziehungen auszuweiten und zu verteidigen. In Abwesenheit des aufständischen Bruchs ist die subversive Praxis noch weniger ein “bewaffneter Kampf”, es sei denn, man will das masslose Feld seiner Leidenschaften einzig auf bestimmte Werkzeuge beschränken. Die Frage ist, ob man sich selbst mit den bereits festgelegten Rollen zufriedengeben will, oder ob man die Kohärenz ausgehend vom entlegendsten Punkt sucht: dem Leben.
So werden wir in der diffusen Revolte, im Gegenlicht eine prächtige Verschwörung von Egos ausmachen können, um eine Gesellschaft ohne Chefs und ohne Schlafende zu erschaffen. Eine Gesellschaft freier und einzigartiger Individuen.
IX
« Frag uns nicht nach der Formel, die dir Welten zu öffnen vermag,
doch irgendeine deformierte Silbe, trochen wie ein Ast.
Heute können wir dir einzig sagen, was wir nicht sind,
was wir nicht wollen. »
E. Montale
Das Leben kann nicht nur etwas sein, woran man sich festhält. Es existiert eine Idee, die jeden zumindestens einmal flüchtig streift. Wir besitzen eine Möglichkeit, die uns freier macht als die Götter: Jene davonzugehen. Es ist eine Idee, die in aller Fülle auszukosten ist. Nichts und Niemand verpflichtet uns zu leben. Nicht einmal der Tod. Darum ist unser Leben eine tabula rasa; eine noch unbeschriebene Tafel, die folglich alle möglichen Worte enthält. Mit einer solchen Freiheit können wir nicht als Sklaven leben. Sklaverei ist für jene gemacht, die zum Leben verdammt sind, jene, die bis in die Unendlichkeit gezwungen sind, nicht für uns. Für uns gibt es das Unbekannte.
Das Unbekannte von Stimmungen, in denen es sich zu verlieren gilt, von nie erforschten Gedanken, von Gewissheiten, die in Luft aufgehen, von perfekten Fremden, denen wir das Leben anzubieten haben. Das Unbekannte einer Welt, der wir endlich den Überfluss an Selbstliebe geben können. Und auch das Risiko. Das Risiko von Brutalität und Angst. Das Risiko schliesslich dem Lebensschmerz ins Gesicht zu blicken. All dies betrifft jene, die mit dem Beruf des Existierens Schluss machen wollen.
Unsere Zeitgenossen scheinen beruflich zu leben. Sie schlagen keuchend mit tausend Verpflichtungen um sich, selbst mit der tristesten – jener, sich zu amüsieren. Sie verhüllen die Unfähigkeit, über ihr eigenes Leben zu bestimmen, mit detaillierten und hektischen Aktivitäten, mit einer Geschwindigkeit, die täglich passivere Verhaltensweisen verwaltet. Sie kennen die Leichtigkeit des Negativen nicht.
Wir können uns entscheiden, nicht zu leben. Dies ist der schönste Grund, um sich mit Stolz dem Leben zu öffnen. « Es ist noch immer Zeit, die Tür hinter sich zuzuschlagen; wir können also ebensogut rebellieren und spielen » – so spricht der Materialismus der Freude.
Wir können uns entscheiden, nichts zu tun. Dies ist der schönste Grund, um zu handeln. Wenn wir die Kraft aller Taten, zu denen wir fähig sind in uns versammeln, dann wird uns kein Boss jemals die Möglichkeit zu Verweigern entreissen. Was wir sind und was wir wollen beginnt mit einem Nein. Daraus gehen die einzigen Gründe hervor, sich Morgens zu erheben. Daraus gehen die einzigen Gründe hervor, um bewaffnet zum Angriff auf eine Ordnung überzugehen, die uns erstickt.
Auf der einen Seite gibt es das Bestehende, mit seinen Gewohnheiten und seinen Sicherheiten. Und an Sicherheiten, diesem sozialen Gift, kann man sterben.
Auf der anderen Seite gibt es den Aufstand, das Unbekannte, das im Leben eines jeden hervorbricht. Der mögliche Beginn einer exzessiven Praxis der Freiheit.
Anmerkungen des Übersetzers
* “schlecht/böse” und “gefangen” fallen im italienischen Wort cattivo zusammen. Daher das Wortspiel mit cattività (Gefangenschaft) und cattiveria (Bosheit).
** Wortspiel zwischen “Staat” und “gewesen”, was im Italienischen beides stato heisst.
Der Fotzenknecht – Männermagazin gegen Patriarchat und kritische Männlichkeit Jg. 1 / Nr. 1
Ein neues anarchistisches Magazin hat im Januar 2023 das Licht der Welt erblickt. Es nennt sich „Der Fotzenknecht“ und setzt sich zum Ziel, ausgehend von einer Kritik an einigen derzeit zu beobachtenden Ansätzen Kritischer Männlichkeit eine Analyse des Patriarchats aus Männersicht oder zumindest auch aus Männersicht zu entwickeln. Ein must read für alle, Männer wie Frauen (und queere Geister), die nicht beim ersten Anzeichen von political incorrectness die Nerven verlieren.
Das Magazin kann per E-Mail an fotzenknecht@riseup.net bestellt werden.
Inhalt
- Editorial
- Ich bin privilegiert, und du?
- Widerwillige Patriarchen
- Vergewaltigungskultur reloaded
- Die Awareness-Mafia
- Das Chamäleon des Frauenwahlrechts
- Männliche Zurichtung und Desertation aus der patriarchalen Ordnung
- Notizen zu einer neuen Analyse der Institutionen der Herrschaft
- Antipatriarchale Kämpfe gegen die Kathedralen der Männlichkeit
- Anhang: „Gibt es politisch korrekten Sex …“?
Editorial
Ahoi ihr Männer!
– und natürlich auch Ahoi ihr Frauen, die ihr hier heimlich mitlest; und natürlich auch Ahoi ihr queeren Geister, die ihr selbstverständlich auf die eine oder andere Art immer mitgemeint seid –
Ich habe das Gefühl, wir müssen uns mal unterhalten. Über Patriarchat, über unsere Rolle darin, die Männerrolle, und darüber, wie wir dieser nicht bloß entfliehen, sondern dabei auch einen radikalen Kampf gegen das Patriarchat selbst führen können. Denn das wollen wir doch, das Patriarchat zerstören, oder?
Tatsächlich muss ich sagen, ich habe nicht den Eindruck, dass das Patriarchat zerstören tatsächlich eine allgemeine und aufrichtig gemeinte Perspektive selbst unter anarchistischen Männern ist, auch wenn es heutzutage sozusagen zum guten Ton gehört, allzeit ein paar radikale Phrasen (auch) in diese Richtung zu dreschen. Aber wie erklärt es sich sonst, dass heute weniger noch, als vor bald einem halben Jahrhundert und obwohl wieder eine bestimmte Form seperatistischer Organisierung vorherrschend zu sein scheint, gerade wenn es thematisch spezifisch um Patriarchat geht, kaum eine belastbare Analyse des Patriarchats aus Männersicht existiert? Wie erklärt es sich, dass diejenigen, die sich etwa mit ihrer Männlichkeit auseinandersetzen, die kritischen Männer unter uns sozusagen, so gut wie ausschließlich einen selbstmitleidigen Täterdiskurs zu führen scheinen und selbst was die spezifische Zurichtung von Männern im Patriarchat betrifft, Feministinnen das vorbeten müssen, was dann in den Echokammern der kritischen Männlichkeit bis zum Erbrechen wiederholt wird. Natürlich ist das eine zugespitzte Polemik, aber gibt es wirklich jemanden, der das Gesagte grundsätzlich anzweifeln würde?
Die Position der kritischen Männer ist also mehr oder weniger das, was der Volksmund so treffend einen Fotzenknecht zu nennen pflegt. Eine Position also, in der das eigene Denken an der Gaderobe abgegeben wird und – oft auf eine vollkommen banalisierte und verstümmelte Art und Weise – die Denke der Frauen, in diesem Fall die der Feministinnen, nachgeplappert wird. Und tatsächlich scheint mit dabei durchaus nicht selten auch jene sexuelle Komponente vorzuherrschen, die der Volksmund mit dieser Bezeichnung unterstellt; dass nämlich die kritischen Männer vorrangig vorzugeben scheinen, sich gebessert zu haben, um nicht als Chauvischweine vom Fleischmarkt der Lust und der Liebe gänzlich verdrängt zu werden. Zumindest sagen das böse Zungen so …
Meiner Meinung nach sind es drei wesentliche Einflüsse, die sämtliche Anstrengungen dessen, was heute unter kritischer Männlichkeit firmiert, derart vergiften, dass dabei bestenfalls eine Wischi-Waschi-Analyse männlicher Privilegien und schlechtestenfalls eben jene vordergründige Anpassung an den herrschenden Style des kritischen Mannes herauskommt:
- Die Privilegientheorie, also die Theorie, dass Männer, Weiße, heterosexuelle, cis-geschlechtliche, able-bodied Menschen, usw. im allgemeinen privilegiert gegenüber den ihnen jeweils gegenübergestellten Kategorien, also Frauen/FLINTA*, Schwarze/PoC, homosexuelle/bisexuelle, trans-geschlechtliche/queere, be_hinderte Menschen, usw. wären, hat sich ausgehend von einem Werkzeug zum Verständnis von Diskriminierung(en) in den Gefilden der Privilegierten selbst, der Akademie, zu einer universellen und exklusiven Analysemethode von Herrschaft entwickelt und ist als solche auch in das Denken von (anarchistischen) kritischen Männern tief eingeschrieben. Als solche dient diese Theorie jedoch vielmehr der Verschleierung von Herrschaftsverhältnissen, als zu deren Verständnis beizutragen. Denn während die mithilfe der Privilegientheorie aufgedeckten Vorteile davon, zu einer der privilegierten Kategorien zu gehören, vielleicht sehr wohl die (heimliche) Komplizenschaft einiger Handlanger mit der Herrschaft zu erklären vermag, muss sie schließlich daran scheitern, die tatsächlichen materiellen und repressiven Prozesse greifbar zu machen, die sämtliche auf die eine oder andere Art und Weise unterdrückten Subjektivitäten hervorbringen und die Menschen in diese hineinzwängen, ebenso wie sie in dem Moment, in dem Menschen den ihnen zwangsweise zugewiesenen Kategorien entfliehen, jegliches analytische Potential zunichte macht, indem sie mehr oder weniger darauf beharrt, dass diese Menschen diese kategoriale Rollen weiterhin mit sich herumtragen würden, selbst wenn dies ganz offensichtlich nicht so ist.
- Der therapeutische Ansatz, der im Zuge von kritischer Männlichkeit vorzuherrschen scheint, erklärt sich möglicherweise zu einem bestimmten Teil aus einer solchen Sichtweise. Denn wenn es keine Möglichkeit gibt, dem Mannsein, also der männlichen Rolle, wie sie von der Herrschaft konstituiert wird, auf einer materiellen Ebene zu entfliehen – was natürlich nicht stimmt –, so verspricht einzig die psychische, bzw. vielmehr psychologische Kurierung dieser Krankheit einen Ausweg. Ein anderer Faktor, der diesen therapeutischen Ansatz erklären mag, könnte in einem Missverständnis von Domestizierung (bzw. Sozialisierung) begründet sein: In Tradition Freuds wird dieser Prozess häufig als eine einmalig durchgeführte und schließlich abgeschlossene Sache betrachtet, die folgerichtig hauptsächlich in der Kindheit stattfindet. Natürlich wurden wir auch in unserer Kindheit zu Männern im Sinne eines patriarchalen Rollenverständnisses abgerichtet, das heißt jedoch nicht, dass wir deshalb nun grundlegend verdorben wären und nicht auch beständig weiter als Männer zugerichtet werden müssten. Natürlich macht es Sinn, den Ursachen von männlichen Verhaltensweisen auf den Grund zu gehen, allerdings wäre es absurd dazu eben jene Kaste an Leuten zu Hilfe oder deren Theorien zum Vorbild zu nehmen, die sich vielmehr darauf konzentrieren, diese Verhaltensweisen zu naturalisieren und/oder im Sinne des Patriarchats herzustellen. Dies ist jedoch genau die Tendenz des therapeutischen Ansatzes, der die patriarchalen Verhaltensweisen von Männern auf irgendwelche Kindheitstraumata zurückführen und somit als natürliche Reaktionen zu entschuldigen versucht.
- Vermutlich aus beidem resultierend: (angestrebte) antipatriarchale Kämpfe von Männern verfolgen kein Eigeninteresse mehr. Während Männer von der kritischen Männlichkeit so gut wie ausschließlich als Frauen unterdrückende Subjekte, die von diesem Prozess profitieren (Privilegien gewinnen), begriffen werden, richtet sich der therapeutische Versuch die eigene Männlichkeit wegzutherapieren (eine Art Exorzismus) folgerichtig gegen das eigene Ich der kritischen Männer. Das heißt jedoch, das die kritischen Männer anstatt gegen die materiellen, repressiven Verhältnisse, die sie in ihre patriarchale männliche Identität zwängen, vielmehr einen Kampf gegen sich selbst führen. Einen Kampf der, so er überhaupt ernst gemeint ist, ausschließlich zugunsten der Frauen/FLINTA geführt wird und gar nicht anders begriffen werden kann. Es ist also, selbst wenn sich dieser Kampf auf die Bekämpfung des eigenen, männlichen Ichs richtet, ein bevormundender Kampf im Namen einer fremden, unterdrückten Subjektivität. Das erklärt vermutlich die zahlreichen Phänomene, dass es gerade die kritischen Exemplare unter den Männern sind, die Frauen oft als bloße Opfer männlichen Handelns begreifen.
Ausgehend von diesen Kritikpunkten an kritischer Männlichkeit, so wie ich sie wahrnehme, widmen sich die folgenden Seiten der Frage danach, was die männliche Rolle innerhalb heutiger patriarchaler Gesellschaft ist und wie antipatriarchale Kämpfe, die sich spezifisch um diese männliche Rolle drehen, stattdessen aussehen (könnten). Auch wenn nicht als zusammenhängender Text verfasst, bilden die versammelten Texte dabei in ihrer Anordnung einen gewissen Spannungsbogen und es macht durchaus Sinn, sie im Zusammenhang zu lesen. Ein Großteil der Texte wurde dabei speziell für dieses Projekt verfasst, ergänzt wird das Ganze jedoch auch durch eine Reihe an Übersetzungen aus anderen Kontexten und Perioden.
Mir ist natürlich bewusst, dass vieles hier Präsentierte eine ganze Reihe weiterführender Fragen aufwirft und auch, dass es wahrscheinlich auch im Hinblick auf die ausgeführten Kritiken eine Menge Diskussionsbedarf geben wird. Für derlei Diskussionen, ebenso wie Vertiefungen von sich herauskristallisierenden Fragen werden mögliche zukünftige Ausgaben dieses Magazins selbstverständlich zur Verfügung stehen. Ihr erreicht mich – sofern wir uns nicht ohnehin kennen – dazu auch per E-Mail an fotzenknecht@riseup.net.
Ingrid Strobl: Die Angst vor den Frösten der Freiheit (1990)
Kreon: Wenn sie sich ungestraft das leisten darf, Bin ich kein Mann mehr, dann ist sie der Mann! (…) Drum gilt’s, das Ordnung-Schaffende zu schützen Und ja nicht einem Weibe sich zu beugen! Wenn’s sein muß, besser, mich verdrängt ein Mann, Dann heißt es nicht, ich lasse Weiber herrschen. – Sophokles: Antigone – So wenig… Continue reading Ingrid Strobl: Die Angst vor den Frösten der Freiheit (1990)
Barbara Ehrenreich, Deidre English: Zur Krankheit gezwungen (1974)
Eine schichtenspezifische Untersuchung der Krankheitsideologie als Instrument zur Unterdrückung der Frau im 19. und 20. Jahrhundert am Beispiel der USA Einführung – Ein Hinweis auf die gesellschaftliche Rolle der Medizin Der medizinische Apparat ist für die Befreiung der Frauen strategisch wichtig. Er überwacht den technischen Bereich der Fortpflanzung – Geburtenkontrolle, Abtreibung und die technischen Hilfsmittel… Continue reading Barbara Ehrenreich, Deidre English: Zur Krankheit gezwungen (1974)
Emma Goldman: Das Trauerspiel der Frauenemanzipation (1911)
Ich beginne mit einem Eingeständnis: Ungeachtet aller politischen und ökonomischen Theorien, die sich mit den grundlegenden Unterschieden zwischen verschiedenen Gruppen der Menschheit beschäftigen, ungeachtet aller Klassen- und Rassenunterschiede, ungeachtet aller künstlich gezogenen Grenzen zwischen den Rechten der Frau und den Rechten des Mannes glaube ich, dass es einen Punkt gibt, an dem sich diese Unterschiede… Continue reading Emma Goldman: Das Trauerspiel der Frauenemanzipation (1911)
Antimilitaristische Poster
Gefunden auf der Seite von antimilitarismus, dort findet man die Poster auch auf verschiedenen Sprachen wie tschechisch, englisch, italienisch, ukrainisch, russisch, polnisch, spanisch und deutsch.