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Erneute Razzien gegen Anarchist*innen in München!

Am Donnerstag, den 27. Oktober 2022 razzten die Münchner Bullen wie bereits erwartet erneut zwei Wohnungen. Wieder richteten sich die Razzien gegen Anarchist*innen. Einem von ihnen wird vorgeworfen Mitglied in der bereits bekannten Vereinigung zu sein, die die Bullen rund um das laufende §129-Verfahren gegen Münchner Anarchist*innen konstruieren. Wieder beschlagnahmten die Bullen alles anarchistische und in ihren Augen anarchistisch aussehende Papier. Zum Kontext gibt es dezeit nicht mehr zu sagen als im bereits am Vortag veröffentlichten Text steht (siehe https://de.indymedia.org/node/234473), in dem diese erneute Razzia ja bereits ankündigt wurde. Über weitere Entwicklungen halten wir euch auf dem Laufenden.

Wie immer gilt natürlich auch weiterhin: Keine Spekulationen.

ACAB

 

Neueste Entwicklungen und Hintergründe rund um das 129er Verfahren in München oder: Die Verfolgung von Anarchist*innen und Kippenstummeln im bajuwarisch-christlichen Königreich

Der folgende Text soll einige Hintergründe zu dem laufenden 129er Verfahren in München geben und über neueste Entwicklungen informieren als auch eine generelle Einschätzung zu dem ganzen Komplex liefern. Das Verfahren wurde am 26.04.22 bekannt, als koordinierte Hausdurchsuchungen in vier Wohnungen, der anarchistischen Bibliothek Frevel und einer Druckerei stattfanden. Mehr dazu hier: https://de.indymedia.org/node/188585

Bevor wir chronologisch den uns bekannten Ablauf der stattgefundenen Ermittlungen erläutern, erklären wir hier nochmal die Tatvorwürfe: Das 129er Verfahren wegen krimineller Vereinigung einschließlich dem Vorwurf 15 Straftaten begangen zu haben, die entweder Aufruf zu Straftaten, Billigung von Straftaten oder Bedrohung oder beides lauten, bezieht sich auf den Vorwurf die von Mai 2019 bis September 2021 erschienene anarchistische Zeitung Zündlumpen herausgegeben, verfasst, gedruckt und verbreitet zu haben. Kurz: Die Beschuldigten sollen angeblich die Zündlumpen-Redaktion sein, welche wiederum eine Kriminelle Vereinigung sein soll.

Wie fing alles an?
Dem Zündlumpen wurde die unermessliche Ehre zu Teil, seine erste Anzeige vom bajuwarisch-christlichen Vizekönig zugeteilt zu bekommen und zwar von Dr. Joachim Hermann persönlich. Zur Erläuterung: Seit Anbeginn der Zeitrechnung ist der stramme CSU-Mann Joachim Oberbefehlshaber seiner noch strammeren Exekutive, denn Joachim ist bayrischer Innenminister. Joachim wacht über die nicht für ihre Milde bekannte bayrische Polizei, über die bayrischen Grenzen und den bayrischen Verfassungsschutz. Bei Joachim ist klar, wenn es um Grenzen geht, dann will er sie dicht, wenn es um Flüchtlinge geht, dann will er sie nicht, wenn es um Polizisten geht, dann will er Zehntausende neue, wenn es um „Sicherheit“ geht, dann will Joachim Milliarden Euros investieren, wenn Joachim über einen Schwarzen redet, dann nennt er ihn „einen wunderbaren Neger“ und wenn es um Linksextremismus geht, dann sieht Joachim Jahr für Jahr bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes eine „wachsende Gefahr“. Joachim selbst war es also, die majestätische Hoheit der grünen Armada, der sich plötzlich vom Zündlumpen bedroht fühlte. Als der Zündlumpen mit Bezug auf einige von Joachim über den gefährlichen Zündlumpen getätigten Aussagen grob umrissen meinte, dass man ja historisch und rein theoretisch auf Seite der Königsmörder etc. stehe würde, stellte Joachim Hermann, angeblich wohnhaft im Innenministerium, höchstpersönlich eine Anzeige wegen Bedrohung.

Dass die Repressionsbehörden in Bayern nerven und Anhänger der alten Schule sind, weiß jeder, selbst Dr. Joachims rappender Sohn Jakob alias Jaggy Jackpot: „Viele Jobs, viele Cops, das ist Bayern, Diggah. / Das heißt, ich halt das Ott an meinen Eiern, Diggah.“ Der Zündlumpen hat sich also der Majestätsbeleidigung schuldig gemacht, diesmal in Form von Bedrohung – der Beginn einer groß angelegten Ermittlung, deren politische Motivation mit diesem Auftakt nicht deutlicher und symbolischer sein könnte.
 
Erste Ermittlungen
Nach dieser ersten Anzeige sammelte der Zündlumpen aber weiterhin fleißig Anzeigen: Spätestens nachdem sich ab März 2020 alles nur noch um Corona drehte und der Zündlumpen empfahl, doch am besten im Falle einer Coronainfektion Polizisten anzuspucken, ging ein Beben durch die Socialmedia-Netzwerke der Cops. In Erfurt, Lüneburg und Köln wurden Anzeigen wegen Aufforderung zu Straftaten gestellt und die jeweiligen Staatsanwaltschaften leiteten diese nach München weiter. Etwa zur gleichen Zeit tauchten in München auch Plakate auf, deren Vorlagen im Zündlumpen erschienen waren und dass diese geklebt wurden, entging der Polizei ebenfalls nicht. Einigen hörigen Bürger*innen geriet auch hin und wieder ein Zündlumpen in die Hand oder in den Briefkasten, was diese derart provozierte, dass sie unverzüglich die 110 wählten. Mit der Zeit stapelten sich also die Anzeigen bezüglich des Zündlumpens auf dem Tisch der zuständigen Kriminalpolizisten für Linksextremismus (Staatsschutz).

Erste Schritte der Ermittlungen waren folgende: Die Urheber der Internetadresse des Zündlumpen-Blogs auf noblogs versuchen zu identifizieren. Keine Ergebnisse. Dann versuchte das LKA das Druckbild der erbeuteten Zündlumpen-Ausgaben zu analysieren: Diese wurden anscheinend mit einem Tintenstrahldrucker gedruckt. Dann wurden die gefundenen Zündlumpen-Ausgaben auf DNA hin untersucht, was wiederum keine Ergebnisse brachte.

Ein weiterer Schritt war es dann eine Anzeige gegen den Zündlumpen wegen Anleitung zu Straftaten zu stellen, da dieser in einer folgenden Ausgabe (während der damaligen Ausgangssperre) erklärte, wie man Straßenlaternen ausknipst. Diese Erklärung brachte der Münchner Staatsschutz dann in Zusammenhang mit einigen durchgeknipsten Kabeln an Internet-und Telefonkästen in München. Da Stromkabel durchgeschnitten wurden, welche danach offen lagen, wurde wegen einer staatsgefährdenden Sabotage ermittelt. Zu eben diesen am 31.12.2021 in der Folge unterbrochenen Internet- und Telefonleitungen ermittelte die Polizei ein bisschen herum und kamen zu keinen Ergebnissen. Anscheinend konnten die Cops keinerlei Spuren von den Telefonkästen nehmen, da angesichts der offenen Leitungen immer zuerst ein*e Telekom-Mitarbeiter*in kommen musste, um den Kasten zu reparieren. Die angewandten Ermittlungsstrategien der Cops wie beispielsweise Abfragen bei überregionalen Polizeistellen, ob ähnliches schon mal vorgefallen war, sowie das Aushängen von Zeugenaufrufen oder das Analysieren von möglichen Bewegungsrouten der Täter*innen lieferten keinerlei Indizien. Der Staatsschutz befand sich bezüglich dieser Sache im regen Kontakt mit der Telecom-Security und wollte diesbezüglich dazu anregen, ob es nicht möglich wäre ein Alarmsystem bei Störungen einzuführen, welches unverzüglich die Polizei informieren würde, was die Telecom-Security allerdings ablehnte, da es laut diesen zu allzu vielen Störungen kommen würde.

Zu diesem Zeitpunkt wurden also bereits mehrere Anzeigen und Ermittlungen gegen den Zündlumpen geführt, welche alle zu keinerlei Ergebnis führten. Es wurde die Einstellung der Ermittlungen erwogen… doch dann funkte der Verfassungsschutz dazwischen…
 
Tada!
… und dann liefen die Ermittlungen „plötzlich“ gegen drei Beschuldigte, die die Polizei nach einem Intermezzo mit dem Verfassungsschutz aus dem Hut zauberte. Dass diese Weitergabe von Informationen offensichtlich sehr „ungeregelt“ und „intransparent“ abgelaufen sein dürfte, ist nicht verwunderlich (dass gerade der bayrische VS relativ „intransparent“ arbeitet, ist spätestens seit dem NSU-Komplex kein Geheimnis mehr). Drei Personen sind übrigens die Mindestanzahl um rechtlich eine kriminelle Vereinigung darstellen zu können. Während der Verfassungsschutz einige Analysen von Ideologie (aufständischer Anarchismus), Radikalität und Gewaltnähe sowie Sprache (das Wort Bulle wir so und so oft benutzt) des Zündlumpens nachlieferte, ermittelte der Staatsschutz nun gegen drei Personen wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Der Verfassungsschutz lieferte einige Hintergrundinfos zu den drei Beschuldigten und stellte die Thesen auf, dass diese alle Anarchist*innen seien und dass sie alle Verbindungen zu der Bibliothek Frevel haben sollen (die ohnehin ein ganz gefährlicher und verbrecherischer Ort sei). Zudem wird ersichtlich, dass der VS ein festes Umfeld der Bibliothek Frevel konstruiert, welches ebenso im Fokus von Überwachungsmaßnahmen stand. In diesem Kontext erwähnt der VS ebenso eine Reihe von in München verübten unaufgeklärten Straftaten und Brandstiftungen.

Doch was werfen die Polizisten den jeweiligen Beschuldigten vor bzw. wie sind sie ins Visier der Cops geraten?

„Person 1“ der Ermittlungen wird vorgeworfen, dass er einen Raum angemietet haben soll, in dem angeblich der Zündlumpen produziert worden sein soll (eine sogenannte Ermittlungshypothese, d.h.: eine bloße Vermutung ohne Indizien). Außerdem soll Person 1 polizeibekannt und ein Anarchist sein und zudem andere Anarchist:innen kennen. Von der Existenz dieser Druckerei soll die Polizei durch einen zufälligen Anruf erfahren haben, in Folge dessen Streifenpolizisten wegen Lärmbeschwerde in der Örtlichkeit vorbei fuhren… und andere Polizisten durch eine ein paar Tage später stattgefundene Personenkontrolle herausgefunden haben sollen, dass dort anarchistische Sachen gedruckt werden. Zudem soll ein anderer Polizist Person 1 einmal zufällig im Kontext einer anderen Herumschnüffelei in dem betreffenden Haus gesehen haben, ihn erkannt haben und sich dann beim Vermieter über das Mietverhältnis erkundigt haben.

„Person 2“ wird vorgeworfen, dass er Informatik studiert haben soll, was ein Indiz darauf sein soll, dass er die fachlichen Fähigkeiten besitzen soll, einen Noblogs-Blog zu betreiben, welcher die Informatiker des LKAs vor unüberwindliche Hürden der Entanonymisierung stellte. Zudem soll Person 2 zwei mal Plakate geklebt haben, welche inhaltlich ähnliche Sachen thematisiert haben sollen, wie der Zündlumpen (bspw. IAA). Darüberhinaus schreibt Person 2 in ihren „Betreffs“ von Bankkonto-Überweisungen gelegentlich dumme Sprüche und Ausrufe gegen Polizisten, was der Zündlumpen auch tut. Außerdem sei er ein Anarchist und polizeibekannt.

„Person 3“ wird vorgeworfen, dass sie Französisch spreche. Was nahelegen soll, dass sie Übersetzungen aus dem Französischen für den Zündlumpen angefertigt haben soll. Außerdem soll Person 3 einmal innerhalb einer Kirche von einer Überwachungskamera gefilmt worden sein, wie sie eine einzelne Ausgabe eines Zündlumpens in betreffender Kirche hinterlassen haben soll. Außerdem soll sie von ihrem Konto Dinge bestellt haben, die unter anderem für das Drucken von Sachen benutzt werden könnten.

Dieses Konstrukt diente Polizei, Staatsanwaltschaft und Richtern schließlich dazu Observationen und andere Überwachungsmaßnahmen einzuleiten als auch die bereits zwei Monate im Vorhinein geplanten Hausdurchsuchungen im April 2022 in Gang zu bringen. Auch der Verfassungsschutz erhielt über betreffenden Zeitraum und darüberhinaus die Generalbefugnis für umfassende Überwachungsmaßnahmen. Bei den folgenden Hausdurchsuchungen wurden stets alle Zimmer durchsucht, da behauptet wurde, dass überall Anarchist:innen wohnen würden, die einerseits zu Gewalt bereit seien und andererseits Eigentum untereinander teilen würden. Dass einige Leute in den Wohnungen zu wohnen schienen, die zuvor nicht als Mitbewohner*innen gelistet waren, hielt sie nicht davor ab auch von diesen Laptops, USB-Sticks, persönliche Briefe etc. zu beschlagnahmen und Schriftproben zu nehmen. Ebenfalls lag ein Durchsuchungsbeschluss für die angebliche Lebensgefährtin eines Betroffenen vor, der allerdings nicht umgesetzt wurde.

Ein Kippenstummel – voilá!
Nachdem die Cops in den Privatwohnungen dutzende Kisten mit Zeugs und allen möglichen Zeitungen, Broschüren; kurz: mit allem anarchistisch erscheinenden Papier davon gebraust waren und in der Druckerei alles mitgenommen hatten, was nicht gerade ein Stuhl oder ein Mülleimer war, also Zehntausende Blatt Blanko-Papier, alle Maschinen, tausende Zeitungen und Bücher; machten sie sich daran insbesondere alle Gegenstände aus der Druckerei nach DNA-Spuren zu analysieren, als ob diese ein geheimes Bombenlabor gewesen wäre. Sie nahmen dutzende und aberdutzende von Proben von Druckern und Maschinen… und fanden schließlich eine bekannte DNA-Spur!

Diese DNA-Spur konnte angeblich „Person 4“ zugeordnet werden, während gleichzeitig ausgeschlossen werden konnte, dass irgendeine andere DNA-Spur von Person 4 ist. Person 4 soll also eine Kippe in der Druckerei geraucht haben… und voilá, Person 4 ist nun auch Teil der kriminellen Vereinigung. Denn Person 4 soll auch Anarchist und polizeibekannt sein. Die lächerliche Anschuldigung eine Kippe in einer Druckerei geraucht zu haben, reichte einem Richter einen Durchsuchungsbeschluss zu bewilligen, der bis jetzt noch nicht durchgesetzt wurde… und in welchem es wieder heißt, dass alle anarchistischen Druckerzeugnisse, persönlichen Schriftstücke, Drucker etc. beschlagnahmt werden sollen. Interessant: Die Cops wollen immer die WLAN-Router beschlagnahmen, um die in diesen gespeicherten MAC-Adressen auszuwerten.

Die Absurdität des Ganzen
Die Polizei hat offensichtlich einen enormen politischen Willen, Räume zu zerschlagen, die von Anarchist*innen frequentiert und genutzt werden, was auch ihr Bedrängen und Einschüchtern des Vermieters der anarchistischen Bibliothek Frevel gezeigt hat, welcher in der Folge den Mietvertrag der Bibliothek gekündigt hat. Das Zusammenspiel von Innenministerium, Verfassungsschutz, Staatsschutz und LKA erwirkt, dass es ausreicht ein*e Anarchist*in zu sein, einem Personenkreis zugerechnet zu werden und Leute angeblich zu kennen, um einer kriminellen Organisation angeschuldigt zu werden. Der bayrische Staat schreckt weder davor zurück, das Bild einer Diktatur zu erzeugen, wenn seine Schergen jegliche anarchistische Publikation und jegliches Druckgerät beschlagnahmen, noch Mafia-mäßig Vermieter einzuschüchtern und bei Nicht-Herausgabe von Mietverträgen mit Hausdurchsuchungen zu drohen. Dem Staat geht es offensichtlich darum die Präsenz anarchistischer Ideen, Räume, Beziehungen und Praktiken zu ersticken. Die juristische Ebene dieses Versuches ist bezeichnend: Die Polizei kann zwischen keiner der inzwischen vier beschuldigten Personen einen tatsächlichen Bezug zum Zündlumpen herzustellen, geschweige denn zu dem Verfassen von Artikeln. Hauptanklage: Die Angeklagten sind Anarchist:innen und kennen sich angeblich. Die Ermittlungslinie, die der Staat daraufhin verfolgt ist die, mit DNA-Spuren-Treffern irgendwelche Indizien zu konstruieren! Er versucht DNA-Spuren von Anarchist:innen auf Druckern oder einzelnen Ausgaben des Zündlumpens oder nur irgendwo in einer Druckerei zu finden und dies dann so darzustellen, als wäre man Teil der Redaktion des Zündlumpens. Dieses absurde Herumkonstruieren reicht der Staatsanwaltschaft und Richterschaft jegliche repressive Maßnahme und jede Durchsuchung und Beschlagnahmung durchzuwinken. Diese Ermittlungstaktik hat Relevanz für die gesamte Bundesrepublik: Wenn es den hier tätigen Cops, Richter*innen und Staatsanwält*innen gelingt, die bloße Anschuldigung, dass eine gefundene DNA-Spur, die einer Zeitung, einem Druckgerät oder irgendeinem Gegenstand in einer Druckerei anhaftete, mit einer betreffenden Person übereinstimmen soll, drauf hinaus laufen zu lassen, dass man betreffende Zeitung angeblich gedruckt, verbreitet oder gar die Artikel verfasst hat, dann stellt der Besitz jeder anarchistischen Zeitung ein potentielles Verbrechen dar. Fahrenheit 451 lässt grüßen!

Der Vorstoß das Herausgeben einer Zeitung mit DNA-Spuren begründen zu wollen (wie an Kippenstummeln in einer Druckerei) ist ein repressiver Vorstoß, der uns alle etwas angeht! Der bayrische Staat will nicht nur die Existenz anarchistischer Räume und Publikationen unterdrücken, sondern auch das bloße Besitzen, Lesen und Drucken von anarchistischen Zeitungen.

Diese letzten repressiven Vorstöße in München gehen alle Subversiven, Rebell*innen, Anarchist*innen, Antiautoritären und wilden Herzen etwas an. Denn wenn es ein Verbrechen ist anarchistische Zeitungen zu lesen, dann ist niemand von uns unschuldig!
 
Freiheit für die Druckmaschinen und alle Gefangenen weltweit!
Solidarität und Grüße an alle anderen Betroffenen von 129er Verfahren!
 

Einige anarchistische Bücherwürmer
und Leseratten aus Bavaria

All my friends are bad kids! – über ein (mittlerweile eingestelltes) §129-Verfahren gegen Anarchist:innen in Hamburg und Bremen

Im Folgenden wollen wir euch über ein Verfahren nach §129 in Hamburg und Bremen informieren, den kollektiven Umgang damit beschreiben sowie individuellen Stimmen betroffener Menschen Platz geben.

Im Sommer öffneten einige Menschen in Hamburg und Bremen ihre Briefkästen und da waren sie wieder: Briefe vom Oberstaatsanwalt Schakau der Generalstaatsanwaltschaft in Hamburg. Vom 26.05.2020 bis 25.07.2022 haben Ermittlungen verschiedener Behörden in einem §129-Verfahren gegen Anarchist:innen in Hamburg und Bremen stattgefunden. Es ging um ein Vereinigungs-Konstrukt, dem direkte Aktionen, hauptsächlich in Hamburg, über einen längeren Zeitraum zugeordnet werden sollten. Drei der fünf Menschen gegen die die Ermittlungen hauptsächlich gerichtet waren, wurden bereits 2020 im sogenannten Parkbank-Verfahren verurteilt und waren die drei offiziell Beschuldigten in diesem Verfahren. Im Rahmen der Ermittlungen wurden zwei weitere Menschen als potenzielle Mitglieder der konstruierten Vereinigung ausgewählt, gegen die ähnlich ermittelt wurde.
Alles fängt (für uns) mit einem Bericht des BKA an die Generalbundesanwaltschaft an, in dem ein Verfahren nach §129a (Bildung einer terroristischen Vereinigung) gegen die drei Beschuldigten angeregt wird. Dieses wird jedoch von der Generalbundesanwältin Geilhorn abgelehnt, ebenso wie ein Verfahren nach §129 (Bildung einer kriminellen Vereinigung) auf Bundesebene.
Einen Tag später beginnt ein Verfahren nach §129 in Hamburg, geführt von Oberstaatsanwalt Schakau. Im Zuge dieser Ermittlungen werden gegen alle fünf der Mitgliedschaft Verdächtigten Maßnahmen eingeleitet; diese laufen von Anfang Mai bis Anfang August 2021 und beinhalten Observationen mit Foto- und Videoaufnahmen, Telekommunikationsüberwachung (abhören von Telefon-Gesprächen und Mitlesen von SMS), den Einsatz von IMSI-Catchern und stillen SMS sowie Internet-Überwachung (vor allem das Auslesen aller bekannten und erreichbaren E-Mail-Postfächer).

Im Zuge dessen wurden ein großer Teil der Umfelder der fünf Beschuldigten durchleuchtet und eine große Zahl an Personen war von fast allen Maßnahmen mitbetroffen. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass es mindestens zwei Personen gab, die nicht als (potenzielle) Mitglieder konstruiert wurden, deren Telefone mit hanebüchenen Erklärungen separat abgehört wurden. Auch zu erwähnen ist, dass die Observationen und Abhörmaßnahmen bundeslandübergreifend (Hamburg, Bremen, Berlin, Bayern und Sachsen) und in mehreren Fällen per Amtshilfe auch im europäischen Ausland (Österreich, Belgien und Spanien) stattfanden.
Letztendlich wird das Verfahren am 25.07.2022 eingestellt, offiziell wegen Mangel an Beweisen. „Offiziell“, weil natürlich – wie wir wissen – parallel auch nach anderen Paragraphen Überwachungen gegen einige Beschuldigte stattgefunden haben, auch unter dem Vorzeichen polizeilicher „Gefahrenabwehr“. Eine detailliertere Aufarbeitung der Ermittlungen im Sinne von „Akten für Alle“ wird es an anderer Stelle und zu späterer Zeit geben.
 
Dieses Verfahren und die Ermittlungen richten sich – wie auch die der letzten Jahre – gegen die Praxis der direkten Aktion, gegen revolutionäre Ideen und hier speziell gegen unsere solidarischen und liebevollen Beziehungen. Sie stellen einen Angriff gegen weit mehr als nur die offiziell Beschuldigten oder Verdächtigten dar. Wir haben uns deswegen dazu entschieden einen möglichst kollektiven und transparenten Umgang damit zu suchen. So haben wir die Akten, bevor wir sie selbst gelesen haben, von einer weiteren, in unserem direkten sozialen Umfeld weniger verwurzelten Person lesen lassen um einen sensiblen Umgang mit den darin befindlichen persönlichen Daten und abgehörten Gespräche zu finden. Auch haben wir ein kollektives Treffen vieler in der Akte von Maßnahmen Betroffener organisiert um einen kollektiven Moment des Austausches und der Stärke zu schaffen.
 Im Folgenden wollen wir einige Stimmen zu Wort kommen lassen, denn die Betroffenheit eines so großen An- und Eingriffs in unserer Leben ist nicht homogen und trifft Menschen in verschiedensten Momenten und auf verschiedene Arten und Weisen:
 
„Es ist eine enorm bestärkende Erfahrung, sich im Angesicht eines solchen schamlosen Angriffs und Eingriffs in unser aller Intimsphäre bewusst  und kämpferisch zu unseren Beziehungen zu bekennen – so entsteht ein Raum, in dem unsere Angst und Verunsicherung Platz finden kann und niemand alleine bleibt – aus dem heraus dann aber auch unsere Wut und unser Trotz Ausdruck finden. Unsere Beziehungen zu verteidigen heißt unsere Kämpfe zu verteidigen!“
 
„Wenn Repression, Verfolgungswahn und das Rumgeschnüffel von den Bullen über Jahre Teil des Alltags sind, erscheint es mir umso wichtiger, gemeinsame Momente und Räume zu schaffen um sich darüber auszutauschen und zu empören. Ich will mich damit weder abfinden noch will ich in Bezug auf die Eingriffe in mein Privates und die damit ausgelösten Ängste abstumpfen. Sich gemeinsam und auch öffentlich dazu zu positionieren wirkt den Gefühlen die die Schweine damit auslösen wollen entgegen!“
 
“Die Verletzung des eigenen Sicherheitsgefühls und der eigenen Privatsphäre, die mit der Überwachung von uns einhergeht, hat bei mir immer wieder Ausdruck in ganz verschiedenen Gefühlen gefunden: in Ohnmacht, Wut und natürlich in Paranoia oder Lähmung. Mit diesen verschiedenen Gefühlszuständen immer wieder einen individuellen und kollektiven Umgang zu finden ist scheiße anstrengend. Jedoch zu wissen, dass das was die Bullen erreichen wollen – unsere Beziehungen und Kämpfe angreifen, Ängste auslösen die eine Distanzierung zueinander verursachen – das sie das nicht erreichen können, ist ein wunderbare Sache die es mir erlaubt auch einen ganz anderen Ausdruck zu finden: in Solidarität, Freund*innenschaft und der Überzeugung für unsere Ideen!“
 
„Es überrascht mich nicht. Es ist ekelhaft, absurd, lachhaft; nichts anderes hab ich von ihnen erwartet. Welche SMSen haben wir uns geschrieben, wer hat sich am Telefon darüber unterhalten, dass du mich besuchen kommst. Das alles nachzulesen von Menschen, die das sowas von nichts angeht. Und trotzdem: Was da alles nicht steht, was sie nicht verstehen und nie verstehen werden, weil es so fernab ihrer Lebensrealitäten ist. Wir wissen immer noch am besten was uns mit wem wie stark verbindet, was wir wo wann warum getan haben, wofür wir brennen – egal wieviele TKÜs und Observationen sie durchführen.
Die Verunsicherung und Vereinzelung nicht gewinnen lassen. Es tut gut, euch zu sehen. Ob das schlau ist?
Anerkennen, dass wir uns in dieser Realität diese Fragen stellen müssen, wissend, dass es keine eindeutig richtigen oder falschen Antworten darin gibt. Nur unterschiedliche Entscheidungen. Diese Entscheidung fühlt sich richtig an.
Ich blicke in eure Gesichter, tausche Blicke, ein Lachen, und bin mir sicher: Wir sind da. Zusammen.“

„Der Bulle in meinem Kopf bestimmt durch die Grenzüberschreitung meine Gedanken. Überwacht zu werden ist eine schmerzhafte Erfahrung. Ohnmacht, Angst, Unsicherheit, Zweifel … all das macht das mit mir. In diesem Strudel erstmal zu sein und alles zu hinterfragen kann einen schon aus der Bahn werfen. Mein Selbstbild ist erschüttert!
Kämpferisch und mit Wut im Bäuchlein gegenüber diesen Verhältnissen, die uns kaputt machen sollen. Nein, ich fühle mich klein und mein Selbstbewusstsein ist fast nicht vorhanden. Gläsernd gemacht zu werden hinterlässt im ersten Moment ein ekliges Gefühl. Private Dinge, die nur mich was angehen werden sich maßlos angeguckt. Die Selbstbestimmung über mein Leben wird einfach gebrochen.
Aber, auch wenn es weh tut bin ich auch froh nicht abgestumpft zu sein. Sondern seinen Gefühlen bewusst zu werden und dies auch zu teilen. Und so wird nach einer Weile die Angst die ich spüre und bemerke die Seite wechseln, weil ein kollektiver Umgang damit einem:r nur Lebensenergie geben kann.“

„Ich bin (wir sind) über die Schamlosigkeit nicht erstaunt, aber davon doch sehr angeekelt.“

„Und dann macht es doch einen Unterschied: Schwarz auf weiß zu lesen, was ich in Sms geschrieben habe. Mich auf Fotos zu sehen. Kategorisiert und kommentiert zu werden. Diese Schweine!
In mir ist immer wieder Unruhe, Angst und Unsicherheit. Viele der Gefühle überwältigen mich und es ist manchmal schwer, mich wieder einzukriegen. Nachts wache ich auf, fühle mich allein und hab einfach Schiss. Und manchmal will ich mich aber auch nicht einkriegen oder unter Kontrolle bekommen! Meine Wut zu spüren gibt mir Kraft! Durch die Sorge um uns alle, spüre ich um so mehr den Wert des Vertrauens untereinander.
Mir meiner liebevollen Beziehungen bewusst zu werden, stärkt mich. Mich eben nicht isolieren oder vereinzeln zu lassen, sondern mehr zusammen zu kommen, sich gegenseitig zuzumuten und sich auszutauschen, gibt mir Zuversicht.“ 

„Bei aller Wut auf die Cops, weil sie denken, dass sie uns ausspionieren und alles durchleuchten können – aber statt uns einzuschüchtern und zu brechen, stärken sie nur unser Vertrauen ineinander und das Wissen darum, dass es so vieles gibt, dass sie niemals rauskriegen und erfahren werden.“

 
Aktuell gibt es wieder viele Verfahren nach §129, §129a sowie die eigentlich immer laufenden Verfahren nach §129b gegen revolutionäre Strukturen und Individuen.
An dieser Stelle auch noch ein solidarischer Gruß an alle von solchen Ermittlungen Betroffenen, die sich solidarisch verhalten!
 
Freiheit und Glück!
Von den Maßnahmen betroffene Freund:innen und Mitstreiter:innen

(LE) Ermittlungsverfahren gem. § 129a StGB eingeleitet

Vor wenigen Tagen wurde die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen eine Person in Leipzig wegen des Verdachts auf Bildung, bzw. Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gem. § 129a StGB, sowie versuchter verfassungsfeindlicher Sabotage und versuchter Brandstiftung bekannt gegeben. Ermittelt wird im Zusammenhang mit einem Brandanschlag auf das Dienstgebäude des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs in Leipzig vom 01.01.2019. Geleitet werden die Ermittlungen vom Generalbundesanwalt.

Wegen des Angriffs auf die BGH Außenstelle in Leipzig fanden bereits vor zwei Jahren diverse Maßnahmen in Frankfurt am Main statt, dort gibt es auch einen weiteren Beschuldigten. Im Juni 2022 gab es anlässlich der Aussagen J. Domhövers eine Hausdurchsuchung in Berlin, der Betroffene davon wird nun auch als Beschuldigter im § 129a-Verfahren geführt. Alle Infos stammen von www.129a.info, dort gibt es auch eine detaillierte Chronologie aller bisherigen Geschehnisse in dem Verfahren.

Wie immer gilt: Keine Spekulationen und kein Gerede. Anna und Arthur halten’s Maul ist keine Floskel.

[Deutschland] Thomas Meyer-Falk: „Solidarität mit Rainer Loehnert“

Quelle: indymedia Rainer sitzt nun seit über 36 Jahren in der forensischen Psychiatrie, er mischt sich immer wieder in politische Debatten ein. Aktuell benötigt er unser aller Solidarität. Er soll einen Mitpatienten in der forensischen Psychiatrie in Bedburg-Hau attackiert haben und wurde deshalb isoliert. Manche Leserinnen und Leser erinnern sich vielleicht an Texte, die Ulrike […]

[Chile] Worte des anarchistischen Gefangenen Joaquín García Chanks aus der Gefangenschaft

Quelle: actforfree, übersetzt von abc wien Im Rahmen der Woche der Agitation und Solidarität mit anarchistischen und antiautoritären Gefangenen aller Strömungen teilen wir Worte des anarchistischen Gefangenen und Gefährten Joaquín García aus der Gefangenschaft. In Zeiten, in denen die wohltätige Solidarität in jeden einzelnen Bereich des Kampfes gegen die Gefängnisse eindringt und jeden Ort der […]

[Frankreich] Ein Brief von Ivan, aus dem Gefängnis von Villepinte

Quelle: anarchist news, übersetzt von abc wien Ich schreibe euch, um einige Gedanken mitzuteilen und einige Neuigkeiten zu berichten. Ich möchte mit etwas beginnen, das die Methoden des Rechtssystems sehr gut veranschaulicht. Einige Tage nach meiner Verhaftung schickte die ermittelnde Richterin, Stéphanie Lahaye, zwei Polizisten der SDAT [Unterabteilung Terrorismusbekämpfung der Kriminalpolizei] (darunter den Kriminalpolizisten „RIO […]

[Italien] Operation Bialystok: Update zum Prozess

Quelle: indymedia Am 12. September fand im Großen Sitzungssaal des Römischen Gerichtshofs eine der letzten Anhörungen des Prozesses im Zusammenhang mit der unter dem Namen „Bialystok“ bekannt gewordenen antianarchistischen Repressionsoperation statt. Sechs Anarchist:innen werden verschiedener Straftaten angeklagt, darunter subversive Vereinigung, Gewalttat, Brandstiftung, Anstiftung zu Straftaten sowie verschiedene „geringfügige“ Delikte. Während der Verhandlung wurden die Verteidigungsplädoyers […]

[England] Sam Faulder benötigt dringend ärztliche Hilfe nach einem mutmaßlichen Herzinfarkt

Quelle: abc brighton, übersetzt von abc wien Samantha Faulder ist eine Langzeitgefangene im HMP Eastwood Park. Vor kurzem hat sie ihren Lebensgefährten Taylor verloren. Sie hat nun im Gefängnis einen mutmaßlichen Herzinfarkt erlitten, wurde aber nicht ins Krankenhaus gebracht. Bitte setzt euch mit dem Gefängnis in Verbindung und fordert, dass sie so schnell wie möglich […]

[Deutschland] Thomas Meyer-Falk: „In eigener Sache: Gutachten nach 26 Jahren Haft!“

Quelle: freedom for thomas Im Oktober 2022 jährt sich meine Festnahme zum 26.-mal. Zwecks Vorbereitung für die im späten Frühjahr 2023 anstehende gerichtliche Prüfung über die Fortdauer der Inhaftierung hat das Gericht ein Gutachten in Auftrag gegeben. Der Gutachtenauftrag Das LG (Landgericht) Freiburg beauftragte eine renommierte und erfahrene Psychiaterin und Psychoanalytikerin aus München mit der […]