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(Subversion, Großbritannien, 1996) Die revolutionäre Alternative zur linken Politik

Gefunden auf libcom, die Übersetzung ist von uns. Hier handelt es sich um eine Publikation aus Großbritannien, die den Namen „Subversion“ trägt. Dies ist ein Artikel von der Ausgabe Nummer 16 aus dem Jahr 1995, wir haben den Artikel aus zwei Gründen übersetzt, erstens weil wir die Kritik an der (radikalen) Linken des Kapitals teilen und für essentiell halten und dieser Text Punkte hervorbringt die in dieser Hinsicht sehr aktuell noch sind, zweitens, weil wir auf ihn gestoßen sind, als wir „Anarchistischer Antimilitarismus und Mythen über den Krieg in der Ukraine“ übersetzt haben und herausfinden wollten was dieser Text noch für weitere Kritiken übt. Wir werden uns diese Publikation weiterhin genauer anschauen und vielleicht können einige interessante Artikel übersetzt und aus der Vergessenheit gerettet werden. Alle unterstrichenen Stellen wurden so vom Originaltext übernommen, genauso die kursiven.


(Subversion, Großbritannien, 1996) Die revolutionäre Alternative zur linken Politik

Die Linke hat nicht versagt. Und das ist eine der größten Katastrophen, die der Arbeiterklasse je widerfahren ist.

Die meisten Menschen denken, dass die Linke die Bewegung der Arbeiterklasse für den Sozialismus ist (auch wenn sie von Opportunismus und wirren Interpretationen vieler in ihren Reihen zerrissen wird).

Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein.

Wir von Subversion (und die breitere Bewegung, zu der wir gehören) glauben, dass linke Politik einfach eine aktualisierte Version der bourgeoisen demokratischen Politik der französischen Revolution ist, die durch ein staatskapitalistisches ökonomisches Programm ergänzt wird.

Bedenke:

In der französischen Revolution sah sich die aufstrebende kapitalistische Klasse nicht nur mit der alten Ordnung konfrontiert, sondern auch mit einer großen und wachsenden städtischen plebejischen Bevölkerung (die sich bildende Arbeiterklasse, Handwerker, Kleinhändler und dergleichen), die ihre eigenen, wenn auch unzusammenhängenden Bestrebungen nach Freiheit von Unterdrückung hatte.

Die bourgeoise Demokratie war das Mittel, mit dem die kapitalistische Klasse ihr eigenes Streben nach Macht als die Befreiung aller Menschen außerhalb der feudalen Machtstruktur verschleiern konnte.

Der Begriff des Volkes1 (als ob die verschiedenen Klassen, die Ausbeuter und die Ausgebeuteten, auf eine einzige Einheit reduziert werden könnten) wurde so geboren.

Der Begriff der Gleichheit und die Vorstellung von Rechten2, die allen zustehen, vermittelten eine fiktive Vorstellung von der Gesellschaft als einer Masse von beteiligten Individuen, die alle in denselben Beziehungen zum Gesetz stehen – wobei der Unterschied zwischen den Eigentümern und denjenigen, deren Arbeitskraft sie ausbeuten, völlig ignoriert wurde.

Und vor allem der Begriff der Nation – dass die unterdrückte Klasse sich mit denjenigen ihrer Unterdrücker identifizieren sollte, die in demselben geografischen Gebiet leben oder dieselbe Sprache sprechen, und diejenigen unserer Klasse, die sich auf der anderen Seite der „nationalen Grenzen“ befinden, als fremd3 ansehen.

Mit dieser imaginären Sicht auf die Gesellschaft konnte der Kapitalismus das Bewusstsein der sich neu bildenden Arbeiterklasse beherrschen. Die bourgeoise Demokratie ist der größte Betrug der Geschichte.

Bedenke auch:

Als sich der Kapitalismus immer weiter entwickelte, zwang die materielle Lage der Arbeiterklasse sie dazu, trotz ihres bourgeoisen Bewusstseins zu kämpfen – so konnte dieses Bewusstsein untergraben werden.

Die bestehenden kapitalistischen Regime wurden oft verhasst. Es bestand also Bedarf an einer radikaleren Version der bourgeoisen Demokratie mit einem spezifischeren Bild der Arbeiterklasse. Die linke Politik erfüllte diese Rolle im 19. und 20. Jahrhundert, zunächst in Form der Sozialdemokratie oder des Labourismus und dann in Form des Bolschewismus: Beide Varianten schafften es, die Unterstützung für den Kapitalismus in die Sprache der Arbeiterklasse zu kleiden, und wurden zu wichtigen Akteuren bei der vollen Entfaltung des Kapitalismus (das galt besonders für Russland, wo der von den Bolschewiki, einer angeblichen Arbeiterpartei, eingeführte Staatskapitalismus die einzige Möglichkeit war, den Kapitalismus zu entwickeln).

Worin besteht also der Linkstum4?

Auf den ersten Blick scheint es darum zu gehen, den Kampf der Arbeiter zu unterstützen, aber wenn du genauer hinsiehst, befindet sich alles auf dem Terrain der kapitalistischen Politik. Die wichtigsten Merkmale des Linkstums sind:

Unterstützung für radikale kapitalistische Parteien

Wie die Labour Party in diesem Land und der ANC in Südafrika (gerade weil ihr Ziel die Ausweitung der bourgeoisen Demokratie ist – das Wahlrecht usw.), und die Unterstützung des Parlaments. Einige „revolutionäre“ Gruppen, die die Labour Party nicht unterstützen, befürworten dennoch die Teilnahme am Parlament – und tragen damit in der Praxis zur Aufrechterhaltung der Ideologie der bourgeoisen Demokratie bei.

Unterstützung für den Staatskapitalismus

Wie bereits erwähnt, sammelt der Staatskapitalismus (ein Begriff mit verschiedenen Bedeutungen, aber hier meinen wir die Gesellschaftsform, die sich in Russland und seinen Nachahmern entwickelt hat) alles Eigentum in den Händen des Staates. Und das ist ein kapitalistischer Staat, kein „Arbeiterstaat“, denn es gibt immer noch kapitalistische Eigentumsverhältnisse – Lohnarbeit, Geld, den Markt – und natürlich kontrollieren die Arbeiter den Staat nicht. Der Staat steht den Arbeitern vielmehr als „kollektiver Kapitalist“ gegenüber und entzieht ihnen den Mehrwert für die herrschenden Bürokraten, die selbst die „kollektive Bourgeoisie“ sind.

Wir müssen uns darüber im Klaren sein: Der Kapitalismus kann nur dann zerlegt werden, wenn die Arbeiterklasse das Geld und den Markt sofort abschafft und die Güter nach Bedarf verteilt (auch wenn die knappen Güter notfalls eine Zeit lang rationiert werden). Diejenigen, die argumentieren, dass dies nicht sofort möglich ist, plädieren in Wirklichkeit für die Beibehaltung des Kerns der kapitalistischen sozialen Beziehungen – wenn das geschieht, ist die Revolution so gut wie tot.

Die Vorstellung, dass Staatskapitalismus kein Kapitalismus ist, rechtfertigt nicht nur die Unterstützung arbeiterfeindlicher Diktaturen wie in Russland, China, Kuba usw., sondern birgt auch die reale Gefahr, dass eine solche Gesellschaft in einer zukünftigen Revolution geschaffen wird.

Unterstützung des Nationalismus in seiner „radikalen“ Form

Linke Gruppen befürworten regelmäßig die Unterstützung schwächerer Nationalstaaten, z. B. der „Dritten Welt“, d. h. der Regierungen von Nationalstaaten, gegen stärkere Staaten (Irak im Golfkrieg usw.). Dies wird als Antiimperialismus(!) bezeichnet, als ob der Sieg des schwächeren Landes die Rangfolge der Staaten in der imperialistischen Hackordnung nur geringfügig verändern würde. Der Imperialismus ist ein historisches Stadium des Kapitalismus, und ihn zu bekämpfen, ist im Gegensatz zum Kampf gegen den Kapitalismus selbst durch eine Revolution der Arbeiterklasse bedeutungslos.

Die häufigste Form dieses „radikalen“ Nationalismus sind sogenannte „nationale Befreiungsbewegungen“ wie die IRA, die noch keine Staatsmacht haben. Sobald sie an die Macht kommen, zerschlagen sie immer die Arbeiterklasse – das liegt natürlich in der Natur der bourgeoisen Staatsmacht.

Oft wird behauptet, dass, auch wenn man den Nationalismus missbilligt, die Nationen dennoch ein Recht auf Selbstbestimmung haben und man ihre Rechte unterstützen muss. Ein reineres Beispiel für bourgeoise demokratische Doppelzüngigkeit kann man sich nicht vorstellen: Rechte sind nicht etwas, was tatsächlich existiert, sondern eine bourgeoise Mystifikation (siehe oben). Die Arbeiterklasse sollte nicht über ihre Rechte sprechen, sondern über ihr Klasseninteresse. Von einem Recht auf nationale „Selbstbestimmung“ zu sprechen (als ob eine geografische Gruppierung antagonistischer Klassen ein „Selbst“ sein kann!) ist so, als würde man sagen, dass Arbeiter ein „Recht“ haben, Sklaven zu sein, wenn sie wollen, oder ein „Recht“, sich mit einem Hammer auf den Kopf zu schlagen, wenn sie wollen. Jeder, der das „Recht“ auf etwas unterstützt, das gegen die Arbeiterklasse gerichtet ist, trägt in Wirklichkeit dazu bei, es zu befürworten, egal wie geschwollen es sich ausdrückt.

Wer sich auf die Seite der Arbeiterklasse gegen alle kapitalistischen Fraktionen stellt, muss sich auch gegen jede Form von Nationalismus wenden. Jedes Wanken in dieser Frage wird die Arbeiterklasse erneut in die Niederlage führen.

Unterstützung für die Gewerkschafts-, Syndikatsbewegung

Die Gewerkschafts-, Syndikatsbewegung ist scheinbar die Aktivität der Arbeiterklasse schlechthin und zielt vor allem darauf ab, die Arbeiter mit dem Kapitalismus zu versöhnen. Ihr erklärtes Ziel ist es, den Arbeiterinnen und Arbeitern den besten Deal innerhalb des Kapitalismus zu verschaffen, aber nicht einmal das ist es:

Die Masse der Arbeiterinnen und Arbeiter hat ein bourgeoises Bewusstsein, aber weil der Kapitalismus sie zum Kampf zwingt, können sie trotz dieses Bewusstseins Widerstand leisten und damit beginnen, dieses Bewusstsein zu verändern.

Die Kämpfe der Arbeiterklasse sind die Saat des revolutionären Wandels. Da sich die Gewerkschaften/Syndikate jedoch aus der Masse der Arbeiterinnen und Arbeiter (mit bourgeoisem Bewusstsein) zusammensetzen und die ganze Zeit existieren – d.h. wenn es keinen Klassenkampf gibt (und obwohl das tägliche Leben der Arbeiterinnen und Arbeiter durchaus als Kampf bezeichnet werden kann, sprechen wir natürlich von einem kollektiven Kampf) – scheitern die besagten Gewerkschaften/Syndikate zwangsläufig daran, den Kapitalismus herauszufordern, und werden darüber hinaus von einer Clique von Bürokraten beherrscht, die sich über die passive Masse der Arbeiterinnen und Arbeiter erheben. Diese Bürokraten leben innerhalb der alltäglichen Existenz im Kapitalismus, der Gewerkschafts-, Sydinkatsbewegung. Sie sind also materiell mit ihm verbunden. Deshalb sabotiert der Gewerkschafts-, Syndikatsapparat jeden Kampf und fällt den Arbeiterinnen und Arbeitern in alter Tradition in den Rücken. Das wird immer der Fall sein – die Arbeiterinnen und Arbeiter können die Gewerkschaften/Syndikate niemals übernehmen. Es liegt in der Natur des Gewerkschafts-, Syndikatswesens, dass die bürokratische Kontrolle gegen die Arbeiterklasse gerichtet ist.

Wir glauben, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter neue, von unten kontrollierte Strukturen schaffen müssen, um jeden Kampf außerhalb und gegen die Gewerkschaften zu führen, wenn der Kampf vorankommen soll. Die Unterstützung der Gewerkschaften durch linke Gruppen ist nur eine weitere Möglichkeit, die Arbeiterklasse an den Kapitalismus zu fesseln.

Und zu guter Letzt: die Befürwortung der Führung der „Revolutionäre“ über die Arbeiterklasse

Diese Spaltung zwischen einer Masse von Anhängern und einer Führungselite spiegelt die Kluft zwischen Herrschern und Beherrschten im Mainstream-Kapitalismus (und in allen Formen der Klassengesellschaft) wider und dient dem Projekt des Aufbaus eines Staatskapitalismus nach der zukünftigen Revolution.

Das bedeutet nicht, dass alle Arbeiterinnen und Arbeiter gleichzeitig zu revolutionären Ideen kommen werden, denn zunächst wird nur eine Minderheit revolutionär sein, aber ihre Aufgabe ist es, mit den übrigen Arbeiterinnen und Arbeitern auf Augenhöhe zu argumentieren.

Was die Linke jedoch tut, ist, die schafsähnliche Mentalität, die Arbeiterinnen und Arbeiter im Kapitalismus erlernen, aufrechtzuerhalten und sie für ihr Ziel, nach der Revolution das Sagen zu haben, nutzbar zu machen. Wir sagen, dass es der Arbeiterklasse nicht besser gehen wird als in Russland, China und all den anderen Ländern, wenn irgendjemand das Sagen hat, wenn die Arbeiterklasse nicht selbst die Führung übernimmt und bewusst eine neue Gesellschaft aufbaut.

Wir glauben, dass alle linken Gruppen, ob Stalinisten oder Trotzkisten (oder Maoisten oder Anarchisten oder wie auch immer sie sich nennen), lediglich radikale kapitalistische Organisationen sind, die, wenn sie jemals an die Macht kämen, neue staatskapitalistische Diktaturen im Namen genau der Arbeiterklasse errichten würden, die sie dann zerschlagen würden.

Dabei geht es nicht um die subjektiven Absichten ihrer Mitglieder, deren Aufrichtigkeit wir hier nicht in Frage stellen, sondern um das objektive Ergebnis ihrer Politik.

Aus diesem Grund ist die Linke nicht gescheitert. Ihr Ziel war es immer, den Kapitalismus zu retten, indem sie ihn als etwas tarnte, das er nicht war – so wie es die ursprüngliche Form der bourgeoisen Demokratie in einem früheren Zeitalter tat.

Gegen die Linke gibt es eine politische Bewegung, die aus Gruppen und Einzelpersonen besteht, von denen sich einige als Kommunisten und andere als Anarchisten bezeichnen (die marxistisch-anarchistische Spaltung ist eine überholte historische Trennung, die nichts mit der wirklichen Klassenlinie zu tun hat, die sie durchschneidet), die sich aber alle gemeinsam gegen den Scheinradikalismus der Linken und für eine wirklich kommunistische Alternative einsetzen. Wir von SUBVERSION sind ein Teil dieser Bewegung.

Was ist die Alternative?

Wir glauben, dass die Arbeiterklasse trotz der Hindernisse, die ihr von der Rechten und der Linken in den Weg gelegt werden, die Macht hat, den Kapitalismus wirklich zu zerstören und eine Gesellschaft ohne Klassen, ohne Staat, nationale Grenzen, Unterdrückung und Ungleichheit zu schaffen. Eine Gesellschaft, die nicht auf Geld oder anderen Formen des Tauschs basiert, sondern auf dem kollektiven Besitz aller gesellschaftlichen Güter und dem freien Zugang der gesamten Menschheit zu diesen.

Diese Gesellschaft, die wir abwechselnd Kommunismus, Sozialismus oder Anarchismus nennen, wird die erste wirklich freie Gesellschaft sein, die es je gab.

Die soziale Bewegung, die diese Gesellschaft schaffen wird, wird aus den bestehenden Kämpfen der Arbeiterklasse erwachsen. Als Teil dieses Prozesses muss unsere Klasse die Hindernisse überwinden, die ihr von der bürgerlichen Ideologie, einschließlich der linken Ideologie, in den Weg gelegt werden. Unsere Aufgabe in SUBVERSION besteht nicht darin, Anführer zu sein (siehe oben), sondern Teil des Entstehungsprozesses einer revolutionären Arbeiterbewegung zu sein, die der langen Geschichte der Unterdrückung und Ausbeutung in unserer Welt ein Ende setzen und die lange Geschichte der freien, weltweiten menschlichen Gemeinschaft beginnen wird.


1A.d.Ü., in der englischen Fassung ist die Rede von people, für uns hat sich auf dieser Stelle aber der Begriff von Volk als richtig erwiesen, weil er genau die Kriterien erfüllt, im negativen Sinne, aus dem was der Text sagt. Ein klassenübergreifender Begriff der den Antagonismus der Klassengesellschaft verschleiert und innerhalb einer imaginären Gemeinschaft eine Einheit erschafft.

2A.d.Ü., gemeint ist der juristische Begriff, z.B., Menschenrechte, Tierrechte, usw. und nicht eine politische Richtung.

3A.d.Ü., hier aber im Sinne der Entfremdung, entfremdet im Originaltext ist die Rede von alien.

4A.d.Ü., im Deutschen, sowie im deutschsprachigem Raum gibt es keinen allgemeingültigen Begriff der das gesamte Wesen einer politischen Linken umfasst, vor allem als Einzelwort der auch eine kritische Konnotation innehat. Sowie auf Englisch die Rede von Leftism, auf Spanisch die Rede von Izquierdismo, auf Französisch die Rede von Gauchisme usw. ist, wird meistens im deutschsprachigen Raum entweder über die politische Linke oder einer Linken gesprochen. Diese beiden Begriffe sind aber zu vage in der Hinsicht, daher der Begriff Linkstum. Weiter dazu in kommender Zukunft.

(Argelaga) Über die Schuppen im libertären Milieu

Gefunden auf der Seite der gleichnamigen Publikation Argelaga. Argelaga war eine anarchistische Publikation im spanischen Staat, sie existierte bis zum Jahr 2016, die Hauptthemen mit denen sich diese Publikation beschäftigte waren vor allem die Kritik an Technologie und Fortschritt, auch in seiner grünen Form, sowie die Verteidigung und Verbreitung der Kämpfe gegen die Zerstörung der Umwelt, aber nicht nur. Einer der bekanntesten Autoren war Miguel Amoròs, der in der französischen Publikation „Encyclopédie des Nuisances“ teilnahm, die von Jaime Semprún vorangetrieben wurde.

Dieser Artikel ist eine Kritik an der Ideologie des/der Staatsbürger-Staatsbürgerschaft (Ciudadano-Ciudadanismo) sowie an dem Plattformismus. Eigentlich handelt es sich um Staatsbürgerschaftismus, was für ein fürchterlicher Neologismus. Es bedarf einer Erklärung für die Lesenden, um die Kritik und Auseinandersetzung komplett zu verstehen. Denn in diesem Falle gehen beide Ideologie Hand in Hand hervor, daher eine Kritik an beide, die durch die Ereignisse im spanischen Staat, die in die Geschichte eingegangen sind als 15M, oder „Movimiento de los Indignados“. Diese fanden im Jahr 2011 statt; zur Erinnerung, es handelte sich um eine Protestbewegung die durch die Finanzkrise entstand, anfangs, ganz ganz ganz kurz, von anarchistischen Gruppen und radikalen Parolen bestimmt, welches aber kurz darauf von reformistischen und staatsbürgerlichen Machenschaften rekuperiert wurde. Ab dem Moment wurde unter anderem das Zwei-Parteien System kritisiert, genauso wie das Bankwesen, für eine reale Demokratie plädiert sowie für andere Forderungen die nie den demokratischen Rahmen verlassen haben und verlassen werden, was am Ende bedeutet den Kapitalismus nicht in Frage zu stellen zu wollen und zu können. Solch ein Phänomen, im eigentliche Sinne Ideologie, bekannt als Staatsbürgerschaft-Ciudadanismo-Citoyennisme-Citizenism fand einen Höhepunkt im Verlauf des 15M, durch die Gründung der Partei „Podemos“ unter anderem. Wie erwähnten es schon oben, diese Ideologie sieht die Demokratie als den einzigen Rahmen für gesellschaftliche Veränderungen. Da ihrer Meinung es keine Klassen mehr gibt, die Zentralität des Klassenkampfes nicht mehr existiert, auch durch die schwindende Kraft von Organisationen von Arbeiterinnen und Arbeitern, egal ob Parteien oder Gewerkschaften/Syndikate, kann nur noch das Subjekt des Staatsbürgers in und durch die Demokratie die Welt zu einem bessern Ort machen.

Die Konsequenz daraus die die plattformistische Organisation „Apoyo Mutuo“ gezogen hatte, war zu sagen dass die anarchistische Bewegung nicht im Stande ist zu handeln, wir nehmen hier nicht alles vorweg, der Artikel soll ja gelesen werden, weil sie keine einheitliche, populäre, demokratische und strafe Organisation anzubieten hat, ganz im Sinne der Waren.

Wir haben alle Themen, Kritik an den Plattformismus, Kritik an der Staatsbürgerschaft(-ismus), an den 15M, schon in mehreren Artikeln/Übersetzungen angerissen, werden uns, versprochen, intensiver mit all denen beschäftigen. Wobei gesagt werden muss, dass die beiden letzteren zusammenfließen, da der 15M die höchste, oder einer der höchsten, Emanationen dieses Phänomens, zumindest im spanischen Staat, gewesen ist. Die radikale Linke des Kapitals in Deutschland träumt so sehr davon, sowie Prometheus nach dem Feuer welches er den Göttern stahl, wobei das Ziel ist es nicht wie die Götter des Olympus zu leben, sondern sie alle zu guillotinieren.

Soligruppe für Gefangene, September-Oktober 2022


Über die Schuppen im libertären Milieu1 (A.d.Ü., oder, Über das Schäbige im libertären Milieu)

Argelaga Nummer 7, 20.06.2015

„Raus aus dem Ghetto“ ist ein häufig gesungenes Lied im libertären Milieu, was angesichts der verworrenen und verwässerten Situation, in der sich die ohnehin schon marginalisierten sozialen Kämpfe entfalten, nichts anderes bedeutet, als dass diejenigen, die es singen, bereit sind, der Wahrheit der Dinge um einer Überdosis Aktivismus willen den Rücken zu kehren. Sich in einen kurzsichtigen Veganismus, einen rein grammatikalischen Feminismus, die Lektüre von Foucault oder Punk zu flüchten, ist nichts weiter als eine harmlose Anpassung an die traurige Realität, aber blinder Voluntarismus oder organische Militanz2 sind nicht besser. Das führt zu nichts; es ist Brot für heute und Hunger für morgen. Es sind Zeiten des Zerfalls, in denen es kaum Mobilisierungen gibt, in denen es keine klaren und wütenden Mehrheiten gibt, und es bleibt nichts anderes übrig, als die Gegenwart gut zu analysieren und die Widersprüche aufzuzeigen, die die Risse im System vergrößern und die Revolte fördern können. Die Krise folgt ihrem eigenen Rhythmus, langsam und verzweifelt, offen für alle falschen Illusionen, die einzigen, die derzeit in der Lage sind, Mehrheiten zu finden. Aber die Augen vor den Erfahrungen der Vergangenheit zu verschließen und eklatanten Unsinn in Kauf zu nehmen, um in Gesellschaft zu sein und einen Handlungsersatz zu genießen, löst das Problem nicht, sondern verschlimmert es. Die populäre Weisheit ist in diesem Punkt falsch: wir lachen deshalb nicht mehr, nur weil wir viele sind3.

Wir sind der festen Überzeugung, dass die Anwesenheit von widerspenstigen Anarchisten in sozialen Bewegungen zu deren Radikalisierung beiträgt. Wenn sie sich darüber hinaus in Affinitätsgruppen organisieren und sich mehr oder weniger formell zusammenschließen (A.d.Ü., auch verstanden im Sinne eine Föderation), umso besser. Sie setzen eine historische Tradition fort, die sich bewährt hat. Die selbstverwalteten Räume, die Genossenschaften ohne Angestellte oder Arbeiter und die Nachbarschaftsvollversammlungen sind notwendige Instrumente des Kampfes. Aber wenn Teruel existiert4, dann existiert auch der rechte Anarchismus. Es muss anerkannt werden, dass die Ergebnisse der Kommunalwahlen vom 24. Mai das Vertrauen breiter Bevölkerungsschichten in die Institutionen wiederhergestellt haben, die während des 15M der Politik eher misstrauisch gegenüberstanden. Der aufbauende Anarchismus ist in bestimmten alternativen Milieus nicht mehr in Mode. Ein beträchtlicher Teil der politisch korrekten Libertären ist so gut wie traumatisiert, als sie mit ansehen mussten, wie ihre natürliche Umgebung, die verarmte und informatisierte Mittelschicht, die Studenten und die Nachbarschaftsbürokratie in andere Sümpfe abwanderten. Ihre Reaktion ließ nicht lange auf sich warten: in einer Vielzahl von Versammlungen schreien diejenigen, die auf den Erfolg der anderen neidisch sind, gegen „Kurzsichtigkeit“ an; die Generäle ohne Truppen rufen zu einem „sozialen und organisierten Anarchismus“ mit einer „Berufung der Mehrheiten“ auf; und die Originellsten schließlich verspüren das Bedürfnis nach „einer großen sozialen Initiative“, die uns dazu bringen wird, „gemeinsam eine wahre Demokratie zu erobern“. Dies ist der Fall bei den Verfassern des Manifests „Ein starkes Volk aufbauen, um eine andere Welt möglich zu machen – Construir un pueblo fuerte para posibilitar otro mundo5“, ein wahres Staatsbürgerplagiat6, das Hunderte von Unterzeichnern geblendet hat.

Was die Phantasie und das Handwerk angeht, kann man nicht sagen, dass die Autoren zu viel haben, aber im Zeitalter der flüssigen Moderne7 kommt es darauf an, sich mit SMS und Whatsapp auszukennen und nicht zu wissen, wie man Sätze von mehr als einer Zeile schreibt. Der Titel spielt auf den Slogan „eine andere Welt ist möglich” der Globalisierungsgegner an, aber man darf nicht vergessen, dass sie sich auf eine andere Globalisierung, einen anderen Kapitalismus bezogen, nicht auf ein „rupturistisches Modell“8, mit dem wir „uns als freie und souveräne Gesellschaft“ durch eine „libertäre Demokratie der Personen, nicht der Märkte“ „wiederaufbauen“ können. Die Analyse des „Übergangs“ ist so einfach wie das „Es war einmal“ in den Märchen: von einer Bilanz am weitesten entfernt. „Demokratie“ ist ein Wort, das ad nauseam (A.d.Ü., bis zum Überdruss) wiederholt wird, eine klare Anspielung auf die Indignados von 15M, die mit „unseren Rechten“ und „der Verteidigung unserer Freiheiten und Gemeingüter“ gegenüber einer „Elite“, die „uns nicht vertritt“, in Verbindung gebracht werden. Welche Freiheiten und welche Güter? Worte wie „Bourgeoisie“, „Proletariat“, „Klassenbewusstsein“, „herrschende Klasse“, „Ausbeutung“, „Elend“, „Revolution“, „Anarchie“ oder „Selbstverwaltung“ fehlen völlig, was normal ist, wenn man bedenkt, dass sich das Manifest an die Lumpenbourgeoisie in ihrer eigenen Sprache richtet, von der ein Teil es vorgezogen hat, für die „Gefährten“ zu stimmen, die „den institutionellen Weg wählen“. Dies ist ein Versuch, eine anarchistische „Marke“ zu schaffen, die der Mittelklasse gefällt, weshalb die verwendete Sprache von Begriffen befreit wurde, die sie als störend und gewalttätig empfinden. Der coole Anarchismus der liquiden Zeit tritt nicht als theoretischer Ausdruck des Klassenkampfes, der städtischen Revolte oder der Verteidigung des Territoriums auf, sondern als Ideologie der friedlichen Konfrontation „auf den Straßen und Plätzen“ zwischen abstrakten Entitäten wie „dem Volk“, „der Gesellschaft“ oder „der Mehrheit“ (was ihre politischen „Gefährten“ als „Staatsbürgerschaft“9 bezeichnen) und der bösen „Elite“ oder „den 1%“. Langfristig gesehen steht die Staatsbürgerschaft überhaupt nicht im Widerspruch zu der anderen, da sie nur versucht, die „Unabhängigkeit des Volkes zu fördern“, d. h. den Raum zu besetzen, den die ersteren aufgegeben haben, indem sie sich auf Wahlwege begeben haben.

Gut. Da wir schon genug über den Eintopf gesprochen haben, wollen wir nun über die Köche sprechen, denn sie sind nicht gerade Jungfrauen in der libertären Szene. Die Initiatoren des Manifests von Apoyo Mutuo (A.d.Ü., Gegenseitige Hilfe) sind Militante unterschiedlicher Herkunft, ebenso wie die Unterzeichner. In gewisser Weise repräsentiert Apoyo Mutuo im spanischen Staat den Plattformismus, die rückschrittlichste Strömung des Anarchismus, die vor allem durch den Fetischismus der Organisation, den heiligen Gral des „Programms“ und den grenzenlosen Opportunismus seiner Praxis gekennzeichnet ist. Obwohl dieses Phänomen auf Bakunin zurückgeht, wurde es vor fünfzehn Jahren in Chile geboren und brachte das Thema der zentralisierten, hierarchischen und disziplinierten „anarchistischen Partei“ mit einem einzigen Programm aus der Mottenkiste hervor. Ein „Exekutivkomitee“ war damit beauftragt, die Massen von außen zu „erwecken“, damit sie dank einer „korrekten“ Führung, die nicht zögerte, sich in politische Abenteuer zu verstricken, Formen der „Volksmacht“10 entfachten. Linkstum11 mit leninistischen Reminiszenzen, das ein hohes Maß an Sektierertum und Halluzinationen benötigt, um in einem bürokratisch-vanguardistischen Sinne eine Realität umzudeuten, die weit von den autoritären Wahnvorstellungen der Plattform entfernt ist. Es handelt sich also um ein Produkt des kulturellen, politischen, ökonomischen und sozialen Zerfalls des Kapitalismus, das dem egalitären Traum des Geschichtenerzählens wahrlich feindlich gegenübersteht und typisch für die mit der Verwaltung verbundenen Klassenfragmente ist, die das System in seinem rasanten Vorwärtsdrang vertreibt.

Der Plattformismus ist die einzige Strömung innerhalb des Anarchismus, die von „Macht“ spricht und ungeniert die eiserne Notwendigkeit einer vermittelnden Bürokratie rechtfertigt. Die spanische Version ist light und postmoderner, wie es in ihrem coolen Lexikon12 zum Ausdruck kommt, und ihr Avantgardismus ist besser in einem „Netzwerk von Militanten“ und einem flexiblen „Fahrplan“ (A.d.Ü., auch Marschplan) getarnt. Wie seine Mentoren betrachtet Apoyo Mutuo die Desorganisation als das schlimmste aller Übel und die Spontanisten als den großen Feind. Alle anderen Überlegungen außer Acht lassend, sind alle Übel im Lande auf mangelnde Organisation zurückzuführen, und schlimmer noch, auf das Fehlen eines „gemeinsamen Programms“, das ein „gemeinsames Handeln“ verhindert. Es ist notwendig, „der organisatorischen Zersplitterung ein Ende zu setzen“ und dank einer ausgeklügelten Trennung zwischen Teilzielen und Endzielen „die Strategien und Taktiken zu entwickeln, die für angemessen erachtet werden“, was sich in reformistischen und kämpferischen Praktiken gewerkschaftlicher/syndikalistischer, kommunaler, assoziierter oder parainstitutioneller Art niederschlagen wird. Apoyo Mutuo postuliert die Notwendigkeit einer führenden Bürokratie, die er als „organisiertes Volk“ bezeichnet, um die „Volksmacht“ zu verwalten. Sie hat in den anarchistischen Galionsfiguren, die die Revolution während des letzten Bürgerkriegs verraten haben, gute Lehrer gehabt; deshalb müssen sie für die Rehabilitierung der libertären Kaste sein, die auf alles verzichtet hat, nur nicht auf den Sieg ihres Verzichts. Ein notwendiger historiographischer Revisionismus für die Mythisierung einer Vergangenheit mit ihrem Elend in Verwahrung: die Partei der Wahrheit wird zur Parteiwahrheit. Das Manifest vermittelt eine klare Botschaft: die gute libertäre Sozialdemokratie ist da, um zu bleiben, und die undarstellbaren Kritiker des Organischen und die orientierungslosen Ghettobewohner sollen sich darauf einstellen: nichts außerhalb der „Organisation“, alles für sie! Nieder mit dem libertären Kommunismus! Es lebe die „ökonomische und politische Demokratie“!


1A.d.Ü., der Originaltext heißt, De la caspa en el medio libertario, was wir wortwörtlich als „Über die Schuppen im libertären Milieu“ übersetzt haben, dies wollen wir aber nicht unkommentiert lassen. Caspa bedeutet auf Spanisch „Schuppen“, es hat aber weitere Bedeutungen. Wie z.B., schäbig, von schlechten Geschmack, ekelig, abstoßend, ranzig und weitere ähnlichere Bedeutungen. Dieser Text wurde in der Ausgabe Nummer 55 von der anarchistischen Publikation Gai Dao unter dem Titel Von den Irrungen im libertären Lager, Eine Kritik der plattformistischen Bestrebungen in Spanien“ übersetzt und veröffentlicht. Die Übersetzung des Titels ist in dieser Form falsch, trotzdem großen Lob für die damalige Veröffentlichung, denn es handelt sich nicht um „Irrungen“. Deswegen haben wir in Klammern die sinngemäße Bedeutung geschrieben, aber um „Irrungen“ handelt es sich wie gesagt nicht. Wir haben diesen Text nicht von der Gai Dao übernommen, sondern nochmals selbst übersetzt, es aber mit der Übersetzung von der Gai Dao verglichen die trotzdem sehr gut war, auch einige Fehler vorkommen.

2A.d.Ü., militancia orgánica, dieser Begriff der eine klare Anspielung auf die CNT Bürokratie und deren eigenes Vokabular, sprich Idiosynkrasie, ist, ist eine Kritik an der sinnlosen Praxis die man macht, weil sie getan werden muss. Die Organisation ist alles, auch wenn dass was aus ihr vorgeht eine absolute Null ist, steht man trotzdem hinter ihr. Es handelt sich also um eine Kritik an Organisationsfetichismus, um es verständlicher zu machen ein Beispiel. Man betreibt einen Laden, soziales Zentrum, Bibliothek, usw., sei dieser der CNT, der FAU, schlicht anarchistisch und Aderweiten ist egal. Es wird mit preußischer Disziplin immer aufgemacht, aber niemand kommt, kein Mensch außerhalb des Ghettos, der eigenen Sekte benutzt den Raum. Diese Haltung nennt man im spanischen Raum als Kritik, Militanz.

3A.d.Ü., no por ser muchos reiremos más, diesen Spruch hätte man auf verschiedene Arten übersetzen können, wir präsentieren hier ein paar Alternativen: man lacht nicht deshalb mehr, weil es viele von uns gibt; nur weil wir viele sind, lachen, wir deswegen nicht häufiger.

4A.d.Ü., Teruel existe, (Teruel existiert) ist eine Partei im spanischen Staat, diese setzt sich angeblich für die Interessen die die Provinz von Teruel besiedeln, welches sich in der Autonomie (nicht gleich wie ein Bundesland, aber so würde man es hier nennen) von Aragón befindet. Teruel ist eine der Regionen in Spanien die sehr sehr dünn besiedelt sind. Daher ist der Fokus aller Regierungen, ob auf Staats-, Landes-, oder Regionalebene minimal, dass heißt keine Investitionen in Infrastrukturen, Arbeitsplätzen, usw. gibt, daher auch der Name, ein Appell oder eine Erinnerung an ihre Existenz, weil nicht nur wenige Menschen dort leben, sondern weil es dort wenige Stimmen zu hohlen gibt. Nun setzt sich diese Partei genau dafür, dass ihre Sitze im Parlament dafür ausgenutzt wird um bei entscheidenden Wahlen sie die fehlende Stimmen sind und soviel wie möglich für ihre Region rausholen können. Daher handelt es sich bei diesem Satz um einen Wortspiel, wenn die vergessene Region von Teruel existiert, dann existiert der rechte Anarchismus genauso. Anders formuliert, wenn Teruel nur noch durch die Partei existiert, dann der rechte Anarchismus auch als Partei.

5A.d.Ü., hier auf Spanisch zu lesen.

6A.d.Ü., im Originaltext wird der Begriff Pastiche, auf Deutsch ebenso, was bedeutet die im Sinne der Nachahmung des Stiles und der Ideen eines Autors.

7A.d.Ü., der Begriff der stammt aus dem polnischen Philosophen Zygmunt Baumann, dieser meint damit dass in den gegenwärtigen modernen Gesellschaften, das Leben dadurch charakterisiert ist, dass es keinen bestimmten Kurs im Leben gibt, da dieser sich in einer Gesellschaft entwickelt, in diesem Sinne flüssig, weil diese nicht lange dieselbe Form innehält. Dies ist dass was unsere Leben durch die konstante Prekarität und Ungewissheit bestimmt. So eine kurze Fassung dieses Konzeptes, welches von Baumann weitaus ausgeprägter dargestellt wird.

8A.d.Ü., Ruptur, was hier die Bedeutung von Bruch hat. Anders formuliert ein Modell des Bruchs.

10A.d.Ü., der Begriff Poder Popular (Volksmacht), sowie sein englischsprachiger Namensvetter Power to the People (Alle Macht dem Volke) können und sollten als anfängliche Rülpsen der Ideologie der Staatsbürgerschaft verstanden werden. Doch befassen wir uns nur mit erstem, in Kurzfassung besagt dieser Begriff dass das Volk und nicht das Proletariat oder die Bauern die Subjekte der sozialen Revolution sind, sondern eine dubiose und diffuse Masse die nicht nur klassenübergreifend ist, sondern durch die nationale Frage vereint. Unser Wissen nach fand der Ursprung des Konzeptes des Poder Popular und der Movimientos Popular, sowie alle andere Kombination mit dem Begriff Popular zum Schluss, in Lateinamerika in den 1950er statt. Von dort aus wurde der Begriff weltweit durch diverse Linke Parteien und Organisationen bekannt, die durch die chilenische MIR z.B., und wurde über die restliche Welt in diesem Sinne bekannt. Im spanischen Staat ein sehr weit verbreiteter Begriff unter reformistischen und konterrevolutionären Gruppen. Im deutschsprachigen Raum verwenden die Lakaien des Plattformismus, sowie andere Verfechter dieses Begriffes, in der Regel stalinistische Sekten Couleur, nicht diesen Begriff, sondern einen für den deutschsprachigen Raum abgeänderten, hier redet man über Gegenmacht.

11A.d.Ü., als Linkstum, auf Spanisch Izquierdismo werden alle Ideologien der Linken des Kapitals gemeint.

12A.d.Ü., auf Spanisch wird der Begriff buenrollista verwendet, abgeleitet vom Spruch buen rollo. Dieser steht für gute Laune, cool sein, gut drauf, usw. aber es bedeutet im diesen Sinne auch komplett unfähig für jede Art von Konflikt zu sein. Eigentlich sowas wie ein Hippie zu sein.

[Chile] «Wir haben nichts verloren»

Gefunden auf panfletos subversivos, die Übersetzung ist von uns, mehr zum Thema Chile und dem Plebiszit. [Chile] «Wir haben nichts verloren» von Luther Blisset 5. September 2022, Chile Wir haben nichts verloren, denn nichts in diesem Prozess gehörte uns: Es ging nur darum, dass die Oligarchie und ihre Lakaien versuchten, das Spiel neu zu ordnen, um ihre Herrschaft über die Mehrheit aufrechtzuerhalten. Als bei der Volksabstimmung über die Entscheidung für den Apruebo (A.d.Ü., hier handelte es sich um die Wahl die eine Abstimmung für eine neue Verfassung stimmte) mit 80 % der Stimmen siegte, feierte niemand: Es war eine düstere Nacht, denn alle wussten, dass das, was verabschiedet wurde, der am wenigsten schlimme Schwindel war, den die Reichen mit Staatsterrorismus und Masseneinkerkerung durchgesetzt hatten. Was danach kam, die Terrorkampagne, mit der sie Boric gewinnen ließen, und das jüngste hysterische Tohuwabohu der Apruebo-Kampagne, war nichts anderes als die verstärkte Auswirkung des Wahns der Bourgeoisie, die gezwungen war, wütend an ihre eigenen Lügen zu glauben. Sie sind so sehr in ihre eigene ideologische Flüssigkeit eingetaucht, dass sie zu der Überzeugung gelangt sind, dass sie gewinnen würden, wenn sie alle zum Wählen zwingen würden. Wenn heute jemand gesiegt hat, dann waren es die mehr als 2 Millionen Menschen, die trotz der Drohungen nicht zur Wahl gegangen sind. Nimmt man die ungültigen und leeren Stimmen hinzu – viermal so viele wie bei dem ersten Plebiszit -, so zeigt sich, dass 16 % der registrierten Personen, d. h. etwa 2,5 Millionen Menschen, sich entweder weigerten, auf den pharisäerhaften Verhör der politischen Kaste zu antworten, oder mit würdevollem Schweigen antworteten. Diese elementare Rebellion, diese Bereitschaft, aus der bourgeoisen Politik zu desertieren, ist die Mindestvoraussetzung für jede emanzipatorische Ambition. Wer behauptet, revolutionär oder antikapitalistisch zu sein, muss damit beginnen, diese Flucht zu fördern und zu verstärken. Diese Flucht, die derjenigen, die furchtlos das Drehkreuz des Systems der bourgeoisen politischen Repräsentation überspringen, war und bleibt unsere primäre Geste der Rebellion und ist die Voraussetzung für jede von den ausgebeuteten Klassen unabhängige Politik.

(Oveja Negra, Argentinien) DER CHILENISCHE WEG DES PROGRESSIVISMUS

Gefunden auf oveja negra, die Übersetzung ist von uns. Das Thema der sogenannten Niederlage bei der Abstimmung zu einer neuen Verfassung in Chile, ist eins, was uns sehr interessiert. Wir werden die nächsten Tage mehrere Artikel aus Chile, der hier stammt aber aus Argentinien, veröffentlichen, die sich damit kritisch auseinandersetzen. Das Phänomen ist weitaus interessanter, wie dass, als ob es sich um eine bloße Wahlniederlage handeln würde, sondern ein weiterer Versuch der radikalen Linken das Kapitals den revolutionären Kampf, im Falle von Chile die Insurrektion die im Oktober 2019 begann, nicht nur zu rekuperieren, sondern auszuschalten. Dies funktioniert nicht nur mit Repression, man darf nicht vergessen es sitzen immer noch hunderte in den Knästen und tausende weitere warten auf ihre Urteile, sondern vor allem damit ihren revolutionären Charakter zu entleeren. Alle linken Medien des Kapitals in Deutschland (Junge Welt, Jungle World, TAZ, lower class magazine, Neues Deutschland, …) bedauern diese Niederlage, die klar auch die Ihre ist, weil sie eine Stütze für das System selbst sind, weil sie daran glauben, im Sinne des Glaubens, dass man die Herrschaft des Kapitals auch von innen ändern kann, was unmöglich ist. Nun die folgenden Artikel zu der Thematik werden uns weitaus andere Positionen vorlegen, die vor allem den Reformismus, die Postmoderne, die Demokratie und den Kapitalismus angreifen.

Mittwoch, 14. September 2022

DER CHILENISCHE WEG DES PROGRESSIVISMUS

Am 4. September fand in Chile eine Volksabstimmung über den Vorschlag zur Reform der politischen Verfassung der Republik statt, der von einer Verfassungskonvention ausgearbeitet worden war. Um dem „Erbe Pinochets“, wie sie sagten, ein Ende zu setzen. Mit mehr als 13 Millionen Wählern war es die Wahl mit der höchsten Wahlbeteiligung in der Geschichte Chiles. Der Vorschlag wurde schließlich mit mehr als 60 % der abgegebenen gültigen Stimmen abgelehnt.

Wir möchten einige Überlegungen mitteilen die aus beiden Seiten der Gebirgskette (A.d.Ü., der Artikel stammt aus Argentinien und beide Länder werden von den Anden getrennt) durchgeführt wurden.

Die neue Regierung, so fortschrittlich sie auch sein mag, kann nicht auf die Forderungen der Revolte von vor drei Jahren eingehen. Das kann sie nicht, denn sie ist die Verwaltung des Kapitals.

Es gibt viele Möglichkeiten, eine Revolte zu unterdrücken. Die Bourgeoisie greift nicht um des Blutvergießens willen zu physischer Repression, sondern weil sie sich in die Enge getrieben fühlt. Es gibt eine weitere Unterdrückung, die institutionelle, die demokratische Integration. Das Ziel ist die Aufrechterhaltung der Normalität, koste es, was es wolle.

Sowohl die neue Regierung von Boric und Co. als auch dieser verfassungsgebende Versuch sind die Krönung der zumindest vorläufigen Niederschlagung der Revolte, die im Oktober 2019 begann. Dort war das unmittelbare Ziel die Absetzung der Regierung Piñera, die zum „Abkommen für Frieden und die neue Verfassung“ und zu langfristigen Wahlprozessen führte: Plebiszit, Wahl der Mitglieder der verfassungsgebenden Versammlung, Präsidentschaftswahlen, „Austritts-plebiszit“. In der Hitze der Revolte wurden eine Reihe sozialer Fragen in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Renten auf den Tisch gelegt, von denen einige sehr konkret formuliert wurden, wie z. B. die Abschaffung von Universitätskrediten und die Streichung bestehender Schulden oder die Abschaffung der Verwalter von Rentenfonds. Angesichts des brutalen Vorgehens der chilenischen Streitkräfte und der Tausenden von Gefangenen der Revolte wurden auch Fragen der Repression wichtig.

Nichts davon wurde von der Regierung wirklich angegangen, abgesehen von der ökonomischen Anpassung, der Inflation und der allgemeinen Verschlechterung der Lebensbedingungen als Folge der Rezession der letzten Jahre.

In Chile haben wir in Rekordzeit eine besondere Reproduktion der Prozesse der Institutionalisierung des Kampfes erlebt, die wir in verschiedenen lateinamerikanischen Ländern nach den Ausbrüchen der Revolte in den letzten Jahrzehnten gesehen haben. Die Verwalter des chilenischen Kapitals schienen von ihren Nachbarn gelernt zu haben, denn sie schlugen rasch Lösungen durch Wahlen und einen Reformplan vor. Aber sie scheinen die Hauptprobleme des Progressivismus nicht zur Kenntnis genommen zu haben, der nach der Erschöpfung seiner zaghaften Verteilungspolitik, die auf der vorangegangenen Zerstörung der Löhne und einem günstigen Kontext für die Erhöhung der Einnahmen aus der Kontinuität und Vertiefung des vorangegangenen Produktionssystems beruhte, versucht hat, sich in der Politik der „Ausweitung der Rechte“ zu halten, die weitgehend auf die Anerkennung der Identität (in vielen Fällen von Minderheiten) ausgerichtet ist und die großen sozialen Probleme der Mehrheit außer Acht lässt. Dies führte zu Wahlniederlagen, zum Wechsel zwischen Regierung und Opposition mit einer stärkeren Betonung der Anpassung, was letztlich die Anpassung beider Regierungen und der Bourgeoisie als Ganzes ermöglichte und den sozialen Frieden und die Institutionalität vorerst aufrechterhielt. Auf diese Weise verliert der postmoderne Progressivismus zumindest in Argentinien an Einfluss auf die politische Agenda. Wir weisen schon seit einiger Zeit darauf hin, dass es anscheinend nicht mehr viel mehr zu verteilen gibt als Diskurs und Ideologie, die an ihre Grenzen stoßen.

In Chile hat die neue fortschrittliche Regierung zumindest vorläufig keine konkreten Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen und ökonomischen Situation des Proletariats ergriffen, und der verfassungsgebende Prozess war durch eine starke diskursive Prägung gekennzeichnet, die sich im Text des Verfassungsprojekts niederschlug, der einem großen Teil der Bevölkerung fremd war. Bestimmte Debatten, die an den Universitäten geführt wurden, gelangten in die Parlamente, und es wurde versucht, sie auf die übrige Bevölkerung zu übertragen: Rechte der Natur statt Zugang zu Wasser, Identitäten statt der Möglichkeit, zu arbeiten oder zu leben. Sie wurde weithin als ökologische, plurinationale und feministische Verfassung angepriesen, die für viele internationale Analysten ein „Modell“ darstellte, aber den Wählern gefiel sie nicht. Die Ablehnung wiederum bedeutet auch eine Ablehnung der kurzen Amtszeit der Regierung und des nach dem Friedensabkommen eingeleiteten verfassungsgebenden Prozesses.

Dieses Szenario könnte zu dem führen, was wir auf lokaler Ebene bereits gesehen haben: eine Stärkung der oppositionellen Sektoren und eine Verschiebung des gesamten politischen Spektrums hin zu einer Politik der Anpassung und sozialen Kontrolle. In dieser kritischen Situation hat die Institutionalisierung des Kampfes vielleicht nicht genügend Wurzeln geschlagen, um den sozialen Ausbruch zu unterstützen. Etwas davon schien am Tag nach der Volksabstimmung mit neuen Studentenprotesten zu beobachten zu sein.

Eine Produktionsweise kann nicht per Dekret oder per Gesetz abgeschafft werden. Was auch immer die Magna Carta sein mag, sie wird niemanden von der mühsamen Aufgabe der Abschaffung des Kapitalismus befreien. Weder kurz-, mittel- oder langfristig, weder taktisch noch strategisch, weder materiell noch symbolisch stellt sie eine Verbesserung oder einen Vorteil dar, auch nicht in Bezug auf die unmittelbaren Lebensbedingungen oder die elementaren Kampffähigkeiten des Proletariats.

Obwohl das Wort Plebiszit in seiner lateinischen Wurzel die souveräne Entscheidung der Plebs bezeichnet, bezieht sich seine moderne Verwendung auf etwas ganz anderes. Heutzutage ist ein Plebiszit, wie alle Wahlakte in modernen Demokratien, nichts anderes als eine einfache Befragung: ein einseitiger Akt, bei dem die Herrschenden die regierten Massen auffordern, sich zu einem von ihnen aufgeworfenen Thema zu äußern.

In manchen Fällen ist die Weigerung der Regierten, auf Befragungen zu antworten (Chile erreichte vor einigen Jahren mit 58 % Wahlenthaltung den weltweit höchsten Wert), ein Symptom für eine tiefer liegende Disziplinlosigkeit, die in offene Rebellion umschlagen kann, wie es 2019 der Fall war. Das und nichts anderes ist ein Plebiszit: ein Akt, der fiktiv die Souveränität des Plebs repräsentiert, in Wirklichkeit aber die unangefochtene Souveränität der Herrschenden vor Augen führt, die in der Lage ist, die soziale Frage auf ein harmloses „Ja“ oder „Nein“ im Angesicht der Herrschaft zu reduzieren, während die Freiheit, „Nein“ zu sagen, fast vollständig auf das Plebiszit selbst beschränkt wird.

Das Plebiszit hat, da es eine Befragung ist, keine andere Funktion als die Überlegenheit derjenigen zu bestätigen, die die Fragen stellen. Und diejenigen, die diese Fragen stellen, sind nicht mehr und nicht weniger als diejenigen, die die Gefangenen der Revolte gefangen halten, diejenigen, die die Mapuche im Kampf für den Diebstahl von Holz verurteilen, nachdem sie sie ihres Territoriums beraubt haben. Sie sind der Staat, diejenigen, die bei den Protesten Augen und Hände ausgerissen haben, diejenigen, die töten und den geordneten Alltag der Ausbeutung aufrechterhalten.