Erich Mühsam – Idealistisches Manifest

AutorIn: Erich Mühsam
Titel: Idealistisches Manifest
Datum: April 1914
Quelle: Erich Mühsam - Trotz allem Mensch sein. Gedichte und Aufsätze. Hg. Jürgen Schiewe und Hanne Maußner. Philipp Reclam jun. Stuttgart 1984, ISBN 3-15-008238-2, S. 99-105.

Wer mit dem Blick auf zeitlose Weiten neue Moral, neue Gerechtigkeit, neue Menschlichkeit zum Inhalt seines Strebens macht, der weiß aus unzähligen Erfahrungen, daß er mißverstanden wird. Es ist fast notwendiges Schicksal seiner Überredungskunst, selbst bei Menschen von Verstand, Kritik und gutem Willen Kopfschütteln und Achselzucken zu erregen. Denn jede Agitation, deren Absicht nicht zeitlich begrenzt ist, steigt unbekümmert und rücksichtslos über praktische Bedenklichkeiten hin. Für bürgerliche – das heißt gegenwartsbesorgte – Naturen ist das Ziel immer der nächste Schritt. Wer aufs Ideal steuert, „schießt über das Ziel hinaus“. Den Weg zu einem Ziele nicht in jeder Kurve kennen, das Werkzeug zu einem Kampfe nicht auf jede Gefahr erprobt haben, das bewirkt die Zweifel, das Warnen, das Bangemachen und selbst den gewalttätigen Widerstand gegen Tendenzen, gegen deren Ehrlichkeit garnichts eingewandt wird. Aber wer im reinen Gefühl die Wahrheit weiß und in kluger Skepsis von ihr abläßt, den heiße ich einen Lumpen.

Hier ist mein idealer Zweck – da sehe ich das Mittel, ihn zu erfüllen: was kümmert mich die Chamade der Vorsichtigen? Naturwissenschaftler, Volkswirtschaftler, Historiker, Geographen, Politiker und Kaufleute sollen hundertmal recht haben, – mein Gefühl, das seine Wege kennt, können sie nicht widerlegen. Ich will den Völkerfrieden, weil er mich gut dünkt. Ich weiß, er wird sein, wenn die Arbeit der Menschen nicht mehr für den Krieg steuert, wenn die Soldaten sich weigern, ihresgleichen zu töten, wenn der Wille der Völker auf Frieden aus ist. Ich will Sozialismus und Anarchie. Ich weiß sie möglich, wenn Arbeit und Verbrauch auf gerechten Ausgleich gebracht sind, wenn Ordnung und Friedfertigkeit in den Menschen Leben gewonnen haben, wenn Autorität und Gehorsam, Herrschaft und Knechtschaft aus der Gewohnheit der Völker gewichen sind. Sie werden weichen, wenn allenthalben aus der Sehnsucht nach Freiheit der Wille zur Freiheit geworden ist. Ich will Kultur und Kunst Gemeingut der Völker wissen. Sie werden es sein, wenn der Geschmack der Besten sich Allen mitgeteilt hat, wenn die Ethik der Massen sich zum Anstand geformt hat, wenn aus Zwang und Strafe Rechtlichkeit und Verständigung geworden ist.

Aber für den Frieden sind alle Vorbedingungen nicht erfüllt. Die Völker haben ein natürliches Expansionsbedürfnis und bedrohen die Grenzen ihrer Nachbarn. Gehorsamsverweigerung, Generalstreik, Revolution ziehen entsetzliche Strafen nach sich. Der Gedanke, das Raubtier Mensch werde in Ordnung und Verständigkeit miteinander auskommen, der Geschmack der rohen Masse könne umgeformt werden, Freiheit werde jemals etwas anderes sein als eine schöne Phrase, ist absurd und kindlich. Schon die Formulierung deiner Ideale ist ein Beweis, wie unabwendbar und naturgewollt alle die Einrichtungen sind, die du bekämpfst. Bitte: ich fordere nicht auf, – ich bekenne. Und ich suche meine Gefühle, die mir Wahrheiten sind, in das Gefühl der Nebenmenschen zu verpflanzen. Verstandeskühle Einwendungen können richtig oder falsch sein, – an der Erkenntnis dessen, was gut und recht ist, prallen sie ab.

Das also ist das Wesen der Agitation: auszusprechen, was subjektiv wahr ist, die Energie der andern nach der Richtung zu beeinflußen, die zu erstreben ist. Was die stärkste Energie – Weniger oder der Menge – wollen wird, das wird die Zukunft sein. Unmittelbare praktische Wirkungen gelten nicht allzuviel. Sie sind nur wertvoll als Symptome eines neuen Geistes, der unterirdisch im Werden ist. Der neue Geist aber entsteht heimlich und unbeobachtet, langsam und viel später, als sein Same gestreut ist. Wenn er zuerst in einem Gedanken, einer Tat, einem Kunstwerk oder einer Erkenntnis plötzlich aus dem Boden schießt, dann ist sein Ursprung längst nicht mehr zu entdecken, dann hat er gewirkt, als ob er selbstverständlich und ohne Rausch wäre.

Plötzlich ist eine neue Bewegung da, überraschend, scheinbar aus dem Nichts gestampft. Sie zieht Kreise, wächst, wirkt, aber ihre Herkunft ist verschollen. Aller Fortschritt ist diskreter Geburt, denn er stammt vom heiligen Geist, er stammt aus der Sehnsucht und der Bitternis vergangener Idealisten. Freilich sieht jeder Erfolg des Idealismus anders aus als seine Werbung. Was daraus eingeht in das Leben des Menschen, sind Anpassungen an geltende Verhältnisse, sind nichts weiter als Entwicklungsfaktoren. Gerade darum aber müssen die Forderungen an die Welt so schroff wie möglich gestellt werden, muß stets das denkbar Äußerste verlangt werden, ohne Rücksicht auf die Aussichten der Verwirklichung. Nur die ideale Forderung in ihrem weitesten Umfange schafft Fortschritte im engen Kreise. Die Utopie ist die Vorbedingung jeder Entwicklung.

Die Entwicklung hat mit dem Abrollen der Jahre nichts zu tun, nicht nur, weil uns die Irrealität der Zeit bewußt ist, sondern weil uns die Geschichte der Vergangenheit lehrt, daß die vorgeschrittene Jahreszahl keine Gewähr gibt für höhere Kultur und tieferen Menschenwert. Einsichten und Sitten entstehen und verschwinden mit dem Werden und Vergehen der Generationen. Nie wird die Zeit kommen, die keiner Revolution bedürfte. Dennoch wollen wir unser Weltbild gestalten nach dem Ideal der Vollkommenheit, und das können wir, wenn wir den Blick aufs Künftige, und das ist aufs Ewige, gerichtet halten. Und wir wollen uns freuen, wenn irgendwo aus dem Geschehen der Zeit eine Blüte treibt, in der wir verwandelt und verdünnt den Keim unserer Werbung erkennen.

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Max Stirner – Einiges Vorläufige vom Liebesstaat.

AutorIn: Max Stirner
Titel: Einiges Vorläufige vom Liebesstaat.
Datum: 1844
Quelle: Berliner Monatsschrift. Hrsg. v. Ludwig Buhl. Erstes und einziges Heft, Juli 1843. (Selbst-Verlag) Mannheim 1844, pp. 34-49.

Allbekannt ist das sogenannte Sendschreiben des Freiherrn von Stein. Man hat daraus die Meinung gefaßt, daß die später eintretende Reactionsperiode sich den im Sendschreiben ausgesprochenen Grundsätzen entfremdet und einer andern Sinnesart zugewendet habe, so daß der Liberalismus vom Jahre 1808 nach kurzer Dauer in einen bis auf unsere Tage hinausgezogenen Schlaf gesunken sei. An dem angeblichen Verkennen jener Principien läßt sich jedoch zweifeln, und es müßte auch schon äußerlich sehr auffallend erscheinen, daß dieselben kraftvollen Menschen, welche wenige Jahre zuvor unter den stürmischesten Umständen eine freisinnige Ansicht aufstellten, kurz darauf so ohne weiteres von [35] ihr abgefallen sein sollten, um einen entgegengesetzten Weg einzuschlagen. Hat man es doch endlich erkannt, daß die langgehegte Meinung, die französische Revolution sei durch das Umschlagen der Napoleonischen Kaiserherrschaft sich selbst untreu geworden, auf einem Urtheil und oberflächlichen Urtheil beruhe; warum sollte nun nicht zwischen dem Stein’schen Liberalismus und der spätern, sogenannten Reaction ein ähnlicher Zusammenhang stattfinden? Sehen wir das Sendschreiben darauf hin etwas näher an.

Zwei Zielpunkte hat, wie sogleich in die Augen springt, Stein mit der französischen Revolution gemein, nämlich die Gleichheit und Freiheit, und es kommt nur darauf an, wie er die eine und andere bestimmt.

Was zunächst die Gleichheit betrifft, so erkannte er, daß die Uebermacht der um ihres Standes willen Bevorzugten, der Privilegirten, gebrochen werden, und an die Stelle der Vielherrschaft eine vollständige Centralisation treten müsse. Daher sollte diejenige “Erbunterthänigkeit”, welche über die Unterthanen des einen Herrn, des Königs, noch viele kleinere Herren herrschen ließ, [36] ein Ende nehmen; nur die Eine Erbunterthänigkeit Aller sollte bleiben und gerade durch die Entsetzung der vielen Herren gestärkt werden. Gleicher Weise sollte die “Polizeige-walt” Einzelner verschwinden, damit Eine Polizei über alle Unterthanen wache. Die “Patrimonialge-richtsbarkeit”, wenigen durch alte Gerechtsame Bevorzugten gehörig, sollte durch Eine monarchische Justiz abgelöst werden, und die Richter allein “von der höchsten Gewalt abhängen.” Durch diese Centralisation wird das Interesse Aller auf Einen Punkt hingezogen, auf den König: man ist fortan nur ihm unterthan, ohne sonstige Erbunterthänigkeit gegen andere Unterthanen des Königs; man steht nur unter Seiner Polizeigewalt; man empfängt nur von fürstlicher Justiz den Rechtsspruch; man hängt nicht mehr vom Willen der “höher Geborenen” ab, sondern allein von dem der “höher Gestellten” d. h. derer, welche der König um seinen Willen zu vollziehen, an Seiner Statt einsetzt und über diejenigen stellt, für welche sie in Seinem Namen zu sorgen haben, der – Beamten. – Die Lehre von der Gleichheit, wie sie in dem Sendschreiben vorliegt, [37] kommt also darauf hinaus, Alle auf das gleiche Niveau der Unterthänigkeit zu bringen. Kein Unterthan des Königs sei in Zukunft zugleich der Unterthan eines Unterthanen; die Standesdifferenzen der Abhängigkeit seien ausgeglichen, und Eine Abhängigkeit die allgemeine.

Diesen Grunsatz der Gleichheit kann man unmöglich mit dem der französischen Revolution verwechseln. Die letztere verlangte eine Gleichheit der Bürger, die des Sendschreibens eine Gleichheit der Unterthanen, eine gleiche Unterthänigkeit. Einen geeigneten Ausdruck findet jener Unterschied auch darin, daß die im Sendschreiben verlangte “Na-tionalrepräsentation” die “Wünsche” der nivellirten Unterthanen vor den Thron bringen soll, während in Frankreich die Bürger mittelst ihrer Repräsentanten einen “Willen”, freilich nur einen Bürgerwillen, keinen freien, haben. Der “Unterthan” darf mit Recht nur “wünschen.”

Zweitens will aber das Sendschreiben nicht blos die Gleichheit, es will auch die Freiheit Aller. Daher der Aufruf: “Sorget, daß Jeder,” (mit diesem Worte wird die Gleichheit der Unterthanen [38] ausgedrückt) “seine Kräfte frei in moralischer Richtung entwickeln könne.” In moralischer Richtung? Was soll das heißen? Als Gegensatz kann die physische Richtung nicht gedacht werden, da das Sendschreiben ein “physisch und moralisch kräftigeres Geschlecht erzielen will.” Auch die intellectuelle Richtung wollte man wohl schwerlich von der moralischen ausschließen, da man die Wissenschaft ja möglichst begünstigte. Am einfachsten bleibt als Gegensatz der moralischen die unmoralische Richtung übrig. Unmoralisch ist aber ein Unterthan, wenn er aus dem Kreise seiner Unterthanen-Eigenschaften hinausgeht. Ein Unterthan, der im Staatsleben, in der Politik sich einen “Willen” anmaßte, statt des “Wunsches”, der wäre offenbar unmoralisch; denn in der Unterthänigkeit besteht allein der moralische Werth des Unterthanen: im Gehorsam, nicht in der Selbstbestimmung. So scheint also die “moralische Richtung” sich für unvereinbar mit der “spontanen Richtung”, der Richtung auf den freien Willen, auf Selbstständigkeit und Souverainetät des Willens zu erklären, und da das Wort “moralisch” auf die Verpflichtung hindeutet, so wird man [39] wohl eine Erweckung des Pflichtgefühls gewollt und dieß unter “freier Kraftentwicklung” verstanden haben. Ihr seid frei, wenn ihr eure Pflicht thut! ist der Sinn der moralischen Richtung. Worin besteht aber die Pflicht? Das Sendschreiben drückt sie klar und bestimmt mit den zur Devise gewordenen Worten aus: “In der Liebe zu Gott, König und Vaterland!” Frei in moralischer Richtung entwickelt sich, wer sich zu dieser Liebe entwickelt; der Erziehung war dadurch ihr bestimmtes Ziel gesteckt, sie war von Stund’ an eine moralische oder loyale, eine Erziehung des Pflichtgefühls, wohin natürlich auch die religiöse Erziehung gerechnet werden muß, weil auch sie die Pflicht gegen Gott einprägend, nichts anderes als eine moralische Erziehung ist. Und allerdings ist man moralisch frei, sobald man seine Pflicht erfüllt; das Gewissen, diese Gewalt der Moralität über die Immoralität, die Gebieterin des moralischen Menschen, sagt dem pflichtgetreuen Menschen, daß er recht gehandelt habe: “mein Gewissen sagt mirs!” Darüber freilich, ob die befolgte Pflicht wirklich – Pflicht sei, sagt das Gewissen nichts; es spricht nur, [40] wenn das, was für Pflicht gilt, verletzt wird. Daher empfiehlt das Sendschreiben, das Gewissen zu wecken, die Pflicht “gegen Gott, König und Vaterland” einzuschärfen, den religiösen Sinn des Volkes zu beleben und die Erziehung und den Unterricht der Jugend zu pflegen. – Dieß ist die Freiheit, mit welcher nach dem Sendschreiben das Volk beglückt werden soll: die Freiheit in der Pflichterfüllung, die moralische Freiheit.

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Anonym – Wer aber von »Impfdiktatur« nicht reden will, sollte auch von »Coronaleugnern« schweigen.

AutorIn: Anonym
Titel: Wer aber von »Impfdiktatur« nicht reden will, sollte auch von »Coronaleugnern« schweigen.
Datum: 15.07.2021
Quelle: Entnommen am 15.10.2021 von https://giftschrank.noblogs.org/post/2021/07/15/wer-aber-von-impfdiktatur-nicht-reden-will-sollte-auch-von-coronaleugnern-schweigen/

[Bereits vor Monaten geschrieben, (beinahe) veröffentlicht, dann aus irgendwelchen, heute unerfindlichen Gründen wieder zurückgezogen, bevor auch nur ein Exemplar verteilt wurde; und kürzlich aus dem Anlass einer Begegnung mit einem „Antifa“ am Rande einer Demo von Impfgegner*innen wieder gelesen, immer noch für relevant empfunden und daher nun erneut/endgültig veröffentlicht. Eine Abrechnung.]


Vollständige, unbeschwerte Freiheit gibt es nur mit Impfen. Ohne Impfen keine Freiheit – jedenfalls nicht so in der Form, wie wir es uns vorstellen.

Markus Söder, ein Mann, der von Freiheit keine Ahnung hat

Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: „Ich bin der Faschismus.“ Nein, er wird sagen: „Ich bin der Antifaschismus.“

Ignazio Silone, Antifaschist und Kommunist, zitiert nach Francois Bondy

Warum nur, hatte die Antifa noch einmal das Robert-Koch-Institut nicht auf dem Schirm? Hat es ja bis heute nicht, sondern übte und übt sich vielfach sogar in seiner Verteidigung. Eine äußerst rätselhafte Angelegenheit: Schon die Benennung nach dem kolonialen Folterknecht Robert Koch sollte doch eigentlich den*die politisch korrekte Antifaschist*in zumindest auf die Palme bringen und was ist aus antifaschistischer Sicht erst zu einer Organisation zu sagen, die zentral am Holocaust und an den grausamen medizinischen Experimenten in den KZs beteiligt gewesen ist? Nun, wie es scheint, hat man da aus antifaschistischer Sicht entgegen aller Erwartungen doch nicht allzu viel einzuwenden. Wohl aber gegen jene, die dann doch etwas dagegen einzuwenden hatten, als das Dreiergespann aus RKI/WHO, Politik und WEF (ja, jenes World Economic Forum, das uns noch aus der Hochzeit der Antiglobalisierungsbewegung ein Begriff ist) vor über einem Jahr vor die Kameras sensationsgeiler Journalist*innen trat und verkündete, dass der Mensch dem Menschen von nun an ein Virus wäre und man deshalb folgerichtig die ganze Welt in ein Freiluftgefängnis verwandeln würde. »Coronaleugner«, »Schwurbler«, ja sogar »Faschisten« nannte man sogar jene Anarchist*innen, die sich der Sklavenmoral der maskentragenden, daheimgebliebenen, im Virenkrieg zur Abwesenheit mobilisierten Untertanen verwehrten und dabei in Taten und Worten den Vorschlag unterbreiteten, jenes Grenzregime weiter anzugreifen, das seine Checkpoints bis weit ins Landesinnere ausgeweitet hatte und sie dort nicht nur mit Soldat*innen und Polizist*innen, sondern auch mit Gesundheitsbehörden-Bürokrat*innen, Ärzt*innen, Wissenschaftler*innen und Denunziant*innen besetzt hatte.

Diesen Verleumdungen etwas zu entgegnen wäre mit Sicherheit verschwendete Mühe, es ist ja auch nicht so, dass es nicht bereits genügend Entgegnungen auf derart billige Diffamierungsversuche gegeben hätte, von denen meines Wissens nach bislang auf keine einzige jemals wieder geantwortet wurde. Die Zeit der Diskussionen scheint endgültig vorbei zu sein. Auch gut, endlich ist er da, der Bruch mit der Linken, es wurde ja auch Zeit. Und doch kann man nicht umhin überrascht zu sein, dass gerade in jenem Moment, in dem der Faschismus hinter seiner bürgerlichen Maske gewaltiger hervorblinzelt als selbst in Tagen rassistischer Pogrome (so sagt man doch, in der neomarxistischen Terminologie, oder?), jene Antifaschist*innen, die den Antifaschismus – und wer außer irgendwelchen noch verblödeteren Spinnern ist eigentlich nicht Antifaschist*in – zu ihrem Hobby, respektive Beruf erhoben haben, jene die das Antifaschist*in sein zu einer identitären Angelegenheit erhoben haben, jene die dazu neigen, an irgendwelchen Gedenktagen den Schwur von Buchenwald („Nie wieder Krieg – Nie wieder Faschismus“) herunterzubeten, als würden sie einen Rosenkranz aufsagen, sich in die virtuelle Marschordnung der Massen einreihen würden (aber in Zeiten der Massenmedien braucht eine Masse nun einmal nicht physisch zusammenzutreten), während es sogar einige ideologisch dem Nationalsozialismus nahe stehende Individuen dann doch ein wenig gruselt, beim Anblick dessen, was sie da immer als die ihre Sache verfochten hatten. Es wundert dabei vor allem, dass der Faschismus, so sehr er auch Kampfbegriff sein mag, doch soweit nicht begriffen wurde, dass er ein Phänomen der Massen ist, dass selbst wenn all die »Coronaleugner« tatsächlich Faschist*innen wären, was natürlich ein von Staat und Linken gleichermaßen verfochtenes ideologisches Hirngespinst bleibt, die von ihnen ausgehende, reale faschistische Bedrohung weit hinter dem zurückbleibt, was der von der Antifa weitestgehend gerechtfertigte und sogar verteidigte Staat im pandemischen Ausnahmezustand bereits repräsentiert und zur Anwendung bringt. Dass etwa Grenzen geschlossen, Flüchtende abseits der Blicke jener, die sich in ihren Wohnungen selbst eingesperrt hatten, vermehrt ins Meer zurückgestoßen wurden und dort verreckten, dass sich die Lage in den Lagern um die Außengrenzen der »Festung Europa« (eine nationalsozialistische Erfindung, die von der EU mit FRONTEX perfektioniert wurde) dramatisch verschärft hat, dass jene, die in Deutschland und anderswo ohne Papiere lebten aufgrund des Lockdowns gezwungen waren, ihre Existenz mehr als je zuvor aufs Spiel zu setzen, weil Schwarzarbeit ebenso wie weniger schwer kriminelle Wege der Geldbeschaffung von einem Tag auf den nächsten verunmöglicht wurde, ja dass selbst die dramatisch angestiegene sexuelle und nichtsexuelle häusliche Gewalt von jener selbsternannten antifaschistischen und antisexistischen Avantgarde mit »Durchhalteparolen« abgebügelt wurde, es beweist nicht nur die Privilegiertheit der Mitglieder einer vorrangig akademisch geprägten und orientierten, bürgerlichen Mittelschichts-Subkultur, deren Zweck es vor allem zu sein scheint, wissenschaftliche Karrieren hervorzubringen, die ich ja niemandem zum Vorwurf mache, außer sie*er ruht sich eben auf ihr aus, was immer eine Entscheidung ist, sondern vor allem auch, wie wenig selbst hinter einem ihrer zentralen Dogmen »Nie wieder Faschismus« wirklich steht.

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Anonym – Warum ich kämpfe – und warum nicht…

AutorIn: Anonym
Titel: Warum ich kämpfe – und warum nicht…
Datum: Juni 2019
Quelle: Entnommen aus: Revolte Nr. 42, Jahrgang IV, Juni 2019 Wien.

In unzähligen Diskussionen – und noch schlimmer: in den täglichen Aktivitäten von Vielen – kommen die Beteiligten immer wieder auf den selben Punkt. Der Suche nach Leuten, für die man kämpfen kann und denen man mit seinem kümmerlichen Aktivismus „helfen“ könne. Früher wurde das von anderer Seite bereits polemisch als die „Suche nach dem politischen Subjekt“ benannt, egal ob es sich dabei um „die“ Frauen, „die“ Geflüchteten“, „die“ Arbeiter*innen oder was auch immer handelt.

Dabei wird schnell deutlich, dass „die“ nicht alle gleich sind und vor allem nicht die gleichen Gründe und Motivationen für einen gemeinsamen Kampf haben, denn „die“ existieren lediglich als konstruierte soziale Kategorie. Jeder Mensch ist individuell unterschiedlich und hat dementsprechend andere Ansätze, Erfahrungen und Perspektiven. Wie dem auch sei, natürlich gibt es immer wieder gemeinsame Kämpfe und Momente und das ist auch gut so. Aber die Betonung muss hier auf „gemeinsam“ liegen. Ich bin auf der Suche nach Kompliz*innen, mit denen ich zumindest teilweise Analysen teile und vor allem Zugänge zum Kämpfen. Ich will diese Zivilisation und ihre Gesellschaft, ihre Wirtschaft und ihre Autorität, all ihre auf Waren beruhenden Beziehungen, in Trümmern liegen sehen und dazu brauche ich Verbündete und keine „Opfer von irgendwas“, denen ich helfen kann und im schlimmsten Fall mit den Herrschenden in Dialog treten muss, um Rechte oder „Verbesserungen“ zu beantragen.

Bei dieser weit verbreiteten Suche nach „politischen Subjekten“ passieren mindestens drei Dinge:


1. die „politischen Subjekte“ werden zwangsläufig viktimisiert, d.h. in eine Opferposition gesetzt (auch wenn das rhetorisch und sprachlich natürlich weitestgehend vermieden wird). So werden um vielleicht eines der besten Beispiele zu nennen, Leute idealisiert, die in Scheiß-Jobs arbeiten und womöglich werden ihnen irgendwelche obskuren Ideen vom Kommunismus und dem Ende der Lohnarbeit durch Automatisierung in Aussicht gestellt – oft von Student*innen oder irgendwelchen anderen Leuten, die in keinster Weise die Lebensrealität von denen teilen, die sie damit erreichen wollen. Wenn man diesen Blick auf Menschen hat, wundert es kaum, dass ein Zusammenkommen auf Augenhöhe nicht stattfinden kann. Und eine Revolte, die auf die Zerstörung all dessen abzielt, was uns von unserer Freiheit trennt, muss zwangsläufig die Zerstörung der einschränkenden sozialen Rollen beinhalten, so dass sich Alle abseits von sozialen Normen und Kategorien so entfalten können, wie sie es wollen. Diese Viktimisierung bestimmter Individuen nützt weder denen, die sie erfahren, noch denen die sie betreiben, sondern lediglich der Reproduktion der bestehenden Trennung zwischen Individuen, die andernfalls Kompliz*innen werden könnten.


2. meine eigenen Kämpfe werden damit aus meiner Hand genommen, ich kämpfe „für“ jemand anders und nicht „mit“ jemand anders zusammen. Wenn ich an der Zerstörung des Komplexes Gefängnis interessiert bin, dann deshalb, weil es ein tagtäglicher Teil meines Alltags ist, auch wenn ich mich nicht tagtäglich innerhalb von Gefängnismauern bewege. Aber die Drohung dieses physischen Ortes ist in dieser Gesellschaft allgegenwärtig und als Anarchist*in nicht vernachlässigbar. Denn meine Aktivitäten richten sich natürlich u.A. gegen das „herrschende Gesetz“ und daher ist die Möglichkeit des Eingesperrtwerdens eine immer präsente Option in meinen Kämpfen. Auch gilt diese Drohung an alle Unangepassten, Kriminellen, usw. Natürlich so lange, wie Individuen hinter Mauern gefangen genommen werden und daher können wir alle nicht frei sein, solange es den Komplex des Gefängnisses gibt. Das ist der Grund für meine Revolte dagegen, nicht weil ich bessere Haftbedingungen für XY bei den Herrschenden erbetteln will oder will, dass eine bestimmte Gruppe nicht in den Knast muss. Sonder dass niemand in den Knast muss, allem voran ich selbst nicht.


3. Diese „Aktivist*innen der Anderen“ laufen damit immer irgendeiner sozialen Kategorie, einem Ort, einer Zeit hinterher und vergessen dabei, dass der beste Kampfplatz der Ort ist, an dem sie sich gerade befinden (also ihr Leben). Und dass die beste Zeit Jetzt ist. Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass es überall und zu jeder Zeit möglich ist, zu kämpfen und für etwas Wirbel zu sorgen, unabhängig davon, ob ich gerade viele Kompliz*innen an meiner Seite habe oder ob ich allein handeln muss/will. Die Art und Weise wie das aussieht und die Intensität mit der Kämpfe von Anderen aufgegriffen und weitergetragen werden, ist aber sicher vom momentanen Kontext abhängig und keinesfalls uninteressant.


Ich bin nicht der Meinung dass „jede*r ihres/seines eigenen Glückes Schmied*in ist“, wie dieses Sprichwort behauptet. Zumindest nicht, was den gleichen Zugang zu Ressourcen (materiell oder nicht) in dieser verschissenen Welt angeht. Dieses Sprichwort hat nur insofern einen Wert, als dass es darauf ankommt, ob ein Individuum gegen seine/ihre Lebensbedingungen rebelliert oder nicht – sprich eine aktive oder eine passive Rolle im Leben und im Kampf einnimmt.

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DJ Superspreader – Virus Radio

AutorIn: DJ Superspreader
Titel: Virus Radio
Datum: 2020-2021
Bemerkungen: Das Elend der Linken – Track 1 in Zündlumpen #76; 07.10.2020, München.
50 Shades of Lockdown in Zündlumpen #77; 01.11.2021, München.
Das Elend der Linken – Track 2 in Zündlumpen #78; 23.11.2020, München.
Das Elend der Linken – Track 3 in Zündlumpen #84; 05.07.2021, München.
Quelle: Entnommen am 08.10.2021 von: https://web.archive.org/web/20210915205441/https://zuendlumpen.noblogs.org/post/tag/virus-radio/
Das Elend der Linken – Track 1

Mit einigen Remixen wird der eigentlich eher langweilige Track DAS ELEND DER LINKEN, ein Klassiker gähn 2020 extra neu für euch aufgelegt. Heute spielen wir den ersten Remix, gefeatured von der autonomen Antifa, mit ihrem neuen Antivirus-Programm (diesmal nicht für Windows), welche dem ganzen den moralistischen Touch gibt, der ja nötig ist, damit ihr auch wirklich ausgelassen dancen können. Heyyyy!

Aber zuerst habe ich für euch noch ein tolles Intro im Set, welches das ganze episch einleitet, während danach die Party erst so richtig los geht. Yeah!

„Hate the media“

(Verstoss gegen die Moderationskriterien-mix)

Da der Zündlumpen nach wie vor auf Indymedia toleriert wird, einer Seite welche sich ganz besonders darin hervortut, die Linksradikale als Bewegung zu erhalten, hier ein kleinen Introtrack also. Während Indymedia zwar als Plattform für etliche, beileibe nicht linke, anarchistische Publikationen hinhielt, tat es sich hervor, sämtliches, was zu einer eventuellen Aufklärung des Coronawitzes führen könnte, nach staatlichen oder noch strengeren Massstäben zu zensieren (und zwar Sachen die nicht sozialdemokratischer waren als viele andere Indymedia-Publikationen). Indymedia hat sich also trotzalledem darin hervorgetan, den offiziellen Kampf gegen „Fake News“ mitzuführen, damit es ja nicht zu schnell gehe, bis sich die Erkenntnis Bahn bricht, dass es sich bei Corona um eine nicht allzu spezielle Grippemutation handelt. Trotzdem hat man den Zündlumpen toleriert. Wieso? Haben wir nicht genügend gegen Bill Gates, WHO, Antonio-Amadeus Stiftung, Robert Koch, Drosten, die Prolockdown-Linken, die Maskenträger und andere Covidioten angeschrieben, um eine Zensur verdient zu haben? Haben wir zu lange gewartet, um deutlich zu werden? Wieso tragt ihr noch immer zu eurer eigenen Zersetzung bei?
Solche Fragen stelle ich mir manchmal. Und dann denke ich mir: naja, immerhin verbreiten sich so die Ideen. Und man hat die Gelegenheit noch etwas Skandal zu machen.
Bevor also Indymedia endlich down ist, hoffen wir noch, dass sie uns Plattform bieten um die radikale Linke etwas zu zersetzen. Danke.

Natürlich betrachte ich es auch skeptisch, dass ihr meinen Mix verbreitet, denn schliesslich tragen wir damit auch dummerweise zur Aufwertung eurer Sendung bei, welche sich so mit seiner Toleranz und Extravaganz schmücken kann, und behaupten kann, voll an der Zeit zu sein. Aber so what! Die Hörer werden schon verstehen, woher der Wind weht, und dass Indymedia teil des miefigen Kadavers ist. Und deshalb, Täterätätä:

Das Elend der Linken feat. Antifa

(stayathome-klaustrophobia-mix)

Die Rolle der Linken war jene einer mobili- und moralisierenden Kraft, welche nur schon durch die Andeutung einer Kritik der Aktion der herrschenden, geschweige denn einer möglichen Virusleugnung auf die Palme brachte. Sämtliches Repertoir, welches an anderen Gegenständen eingeübt wurde, wurde eingesetzt, um schlicht und ergreifend Konformismus zu vertreten.

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Die Absurdität dieser Sache zu dokumentieren ist eine komische Aufgabe die ich mir setze. Sie fängt damit an, dass die Linken subtil die “Verleugnung” (dass nicht nur die Verleugnung ihnen “Verleugngung” heisst, ist offensichtlich) des Virus als eine Art No-Go-Zone eingerichtet haben. Was das Problem mit der “Coronaleugnung” sei nur schon zu fragen ist eine Art Blasphemie, und zwar eine ähnliche Blasphemie wie die Gottesleugnung. Da allerdings die antifaschistische Linke natürlich die Leugnung Gottes nicht als dieses Tabu meinen kann, ist es ganz klar, dass die Herkunft dieses Kampfes gegen das Leugnen sich um den Holocaust dreht. Nun sind es gerade die Linken, welche den “Hygienedemonstranten” immer wieder, teilweise berechtigterweise, teilweise unberechtigterweise, Faschismusrelativierungen vorgeworfen haben. Jeder Vergleich mit 1933 wird ihnen zur Relativierung der Shoah, so als hätte diese schon 1933 stattgefunden, während aber die eigene, wirklich komplett absurde und geschmacklose Holocaustverharmlosung gerade von den angeblichen Antifaschisten hunderte Male wiederholt wurde. Nämlich der Vergleich von Corona mit dem Holocaust, bzw. der Vergleich der Coronaleugnung als quasi ähnlich (ich wage nur zu sagen “ähnlich” schlimm, auch wenn “gleich” eigentlich die Vorstellung dieser Leute zu sein scheint, und der Vergleich allzu direkt ist) schlimm wie die Holocaustleugnung. Dieser perfide Trick ist scheinbar bisher niemandem aufgefallen. Er bleibt den fanatisierten Konformisten unbewusst, ebenso wie ihnen der strukturells Antisemitismus der ganzen Corona-Hysterie entgangen zu sein scheint (Angst vor einem unsichtbaren, unheilvollen Feind, den man z.B. für „die Krise“ verantwortlich macht; Massenmobilisierung dagegen, als Ablenkung vor wirklichen Problemen etc.).

Aber dieses Denken in “strukturell”, dieses “strukturell” jenes zeigt eben vielmehr gerade seine komplette Beschränktheit auf. Natürlich ist es wahr, dass einige der “Hygienedemonstranten” faschistisch sind, und dass diese Faschisten mit ihrer “Coronaleugnung” durchaus nur ihre eigentliche Bereitschaft zur sozialdarwinistischen “Vernichtung lebensunwerten Lebens” verhüllen. Aber aufgrund dessen dann die Fragestellung überhaupt zu Tabuisieren, ist absurd, zeigt nur den eigenen Willen zur Zensur, und das man den Faschisten scheinbar nichts Substanzielles entgegenzusetzen hat.

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Anonym – AD NAUSEAM

AutorIn: Anonym
Titel: AD NAUSEAM
Untertitel: Flugblatt gegen das politische Ghetto in Granada
Datum: Späte 90er
Quelle: Entnommen am 22.09.2021 von http://panopticon.blogsport.eu/2021/06/13/spanischer-staat-ad-nauseam/
Einleitung von der Soligruppe für Gefangene

Hier ein Text aus den späten 90ern, der damals im spanischen Staat viele Wellen geschlagen hat. Vieles erinnert, auf eine morbide Art, an die jetzige Lage. Man müsste nur ein paar Namen, Orte und Ereignisse ändern und dann wäre vieles verblüffend ähnlich, wie peinlich, nichts dazu gelernt. Die Übersetzung ist ein weiteres Mal von uns.

Eine weitere Bemerkung ist vonnöten. Es handelt sich um den Begriff buen rollo (immer kursiv), welchen wir auf Spanisch gelassen haben und eine Erklärung erfordert. Im Allgemeinen bedeutet im Spanischen buen rollo sowas wie gute Laune, lockere Stimmung, cool sein usw. Als pejoratives Wort, was in anarchistischen Kreisen sehr oft so verwendet wird, siehe dieses Verhalten als Ideologie buenrollismo, bedeutet und beinhaltet es eine künstliche und aufgesetzte Harmonie, degenerierte Hyperfreundlichkeit; hypersozialisierte Falschheit, damit unter keinen Umstand Konflikte stattfinden. Ein konfliktscheues Verhalten zugunsten einer Harmonie, die die eigene Haltung unterdrückt. Ganz nach dem Motto, da wir alle Zecken sind, müssen (im imperativen Sinne) wir uns alle verstehen, weil wir dieselben Ziele verfolgen, was absolut falsch ist und unter keinem Zustand stimmt.

AD NAUSEAM[1]

Flugblatt gegen das politische Ghetto in Granada

.:es ist nichts Persönliches (Einleitung):.

Die Wahrheit ist scheiße, aber sie härtet ab.“ (Makinavaja[2])

Was folgt, bezieht sich auf eine kollektive Dynamik, die in der Stadt Granada von denjenigen geschaffen wurde, die behaupten, Feinde des Kapitals, des Staates, des Patriarchats, des Einen und des Anderen zu sein. Es mag Außenstehende insofern interessieren, als es ähnliche Situationen anderswo reflektiert oder beleuchtet; aber es ist klar, dass es eine Reflexion ist, die sich aus besonderen Umständen ergibt, denen einer so besonderen Stadt wie dieser, und deshalb ist sein Interesse äußerst begrenzt. Wer diese Erfahrungen nicht gemacht hat, wird wahrscheinlich nicht gut verstehen, wovon wir sprechen, und es wird wenig geben, was dieses Schreiben beitragen kann, außer als eine Art „Impfstoff“, um zu vermeiden, sich in bestimmte Nesseln zu setzen.

Was die Reaktionen anbelangt, die dieser Text hervorrufen könnte, so wird es diejenigen geben, die endlich all das Unbehagen, das ihn umgibt, offen zum Ausdruck bringen werden. Es wird auch diejenigen geben, die es als persönlichen Angriff auffassen werden, die ihr Image und/oder ihre freiwilligen Bemühungen in Frage gestellt sehen und wissen wollen, wer derjenige oder wer diejenigen sind, die dies geschrieben haben, um zu wissen, welche Boten getötet werden sollen. Schließlich wird es diejenigen geben, die der Meinung sind, dass ihre Gruppe, welche auch immer es sein mag, kaum die hier erwähnten Laster aufweist. Sie sollten wissen, dass sich ihre Gruppe, wenn sie sich in dieser allgemeinen Kritik nur teilweise identifizieren kann, mit Sicherheit noch verheerenderer Einzelkritik ausgesetzt werden kann (und sollte).

Wir weigern uns, von „Bewegung“ zu sprechen, da wir sie heute nirgendwo sehen. Wir werden anstelle von „politischem Antagonismus“ und „Ghetto“ sprechen. Unter politischem Antagonismus verstehen wir eine Reihe von Menschen, Gruppen, Diskursen und Praktiken, die sich im Gegensatz zur gesamten oder einem Teil der bestehenden Gesellschaftsordnung aus egalitären und nicht-hierarchischen Werten präsentieren. In Granada, wie an vielen anderen Orten, kristallisiert sich der politische Antagonismus zu einem Ghetto heraus: eine Umgebung, die unter dem Vorwand eines solchen Antagonismus Beziehungen institutionalisiert, die hauptsächlich auf Ästhetik basieren. Die Qualität des Ghettos, die auffällt, ist die Unfähigkeit, eine soziale Dynamik zu schaffen oder die bereits bestehenden zu beeinflussen. Indem das Ghetto jedoch den spektakulären Anschein einer „Bewegung“ erweckt, verhindert es die Entstehung einer wirklichen Bewegung, indem es das Potenzial vieler Menschen und Momente/Fragmente einer wirklichen politischen Intervention einfängt und zunichte macht. Das Ghetto kann nicht eng als eine spezifische Liste von Gruppen und Einzelpersonen verstanden werden. Es ist mehr als das: Es ist eine fluktuierende Dynamik, die sich manchmal ausdehnt und manchmal zurückweicht. Es ist ein Netzwerk mobiler Beziehungen und Einstellungen, das heißt, in ewiger Bewegung nach nirgendwo.

Unsere Worte werden hart sein, denn wenn wir nichts gegen jemanden im Besonderen haben, haben wir alles gegen jeden als Ganzes, solange dieses Ganze nicht anders gezeichnet wird. Es geht nicht darum, dass wir klüger sind als alle anderen: was wir angreifen, wurde selber gelebt und genau wie jeder andere reproduziert. Deshalb wissen wir, worüber wir sprechen. Es ist nur so, dass unsere Geduld eine Grenze hat, und diese ist weitgehend überschritten worden.

Eine letzte Klarstellung: Der Einfachheit halber verwenden wir das männliche Geschlecht. Wir wollen Frauen, die von unserer Kritik nicht ausgenommen sind, jedoch nicht ausschließen.

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Anonym – Fickt euren Konsens!

AutorIn: Anonym
Titel: Fickt euren Konsens!
Datum: Oktober 2020
Quelle: Zündlumpen #76, 7.10.2020; Entnommen am 22.09.2021 von https://zuendlumpen.noblogs.org/post/2020/10/05/fickt-euren-konsens/

Ist es dir schon einmal passiert, dass Personen in deiner Nähe dich fragen, ob es in Ordnung sei, wenn sie neben dir etwas essen, wenn sie ihr Oberteil ausziehen, wenn sie rauchen, usw.? Und ganz ehrlich, was hast du dir dann gedacht? Dachtest du: „Oh, das ist aber nett, dass du mich fragst, das finde ich sehr rücksichtsvoll von dir“, oder dachtest du eher „Du Opfer, kannst du nicht einmal essen/rauchen/entspannen, ohne dass du dafür das Einverständnis aller brauchst?!“ Auf die Gefahr hin, dass ich den folgenden Text spoilere: Wenn du dich aufrichtig über die Rücksichtnahme der fragenden Person gefreut hast, dann wird dir der folgende Text mit hoher Wahrscheinlichkeit gar nicht gefallen. Aber das ist doch kein Grund, die Lektüre hier abzubrechen, oder?

Zugegeben: Natürlich ist das Ganze kein Entweder-Oder. Ich habe kein Problem damit, wenn Menschen aufeinander Rücksicht nehmen, ich kann verstehen, dass in bestimmten Kontexten die Angst davor, etwas falsches zu tun, so bestimmend ist, dass die Frage um Erlaubnis weniger das Verlangen nach Zustimmung ausdrückt, sondern vielmehr ein Ausdruck der Unsicherheit ist und manchmal erkundige ich mich selbst bei anderen Menschen, ob sie mit bestimmten Handlungen gerade einverstanden sind oder nicht. Und doch habe ich zumindest in bestimmten Kontexten den Eindruck, dass vor lauter ritualisierter und sinnentleerter Rücksichtnahme aufeineinander eine Situation kreiert wird, in der strengere Regeln herrschen und Fehlverhalten schärfer sanktioniert wird, als in der übrigen Gesellschaft. Jaja, ich weiß, dass ich das sage muss daran liegen, dass ich in beinahe jeder Hinsicht privilegiert wäre und mir die Einsicht fehle, dass eine solche Stimmung notwendig ist, um sichere Räume für weniger Privilegierte zu schaffen, blablabla, alles langweilige und altbekannte Versuche vom Thema abzulenken. Und nur keine Sorge, Menschen wie ich meiden diese Räume meistens und stören nicht den Frieden eurer fantastischen Parallelwelt. Jede*r, wie es ihr*ihm gefällt. Wenn dieses ganze Polizieren aber von sich behauptet es wäre anarchistisch, wenn das ganze Wettgeeifere, wer der vorsichtigste Elefant im Porzellanladen ist, dazu dient, neue Autoritäten zu begründen und wenn alle, die dieses lächerliche Spiel nicht mitspielen wollen, zunehmend als eigentlich autoritär abgestempelt und auf die ein oder andere Art und Weise gezwungen werden sollen, sich den neuen Regeln des Opferdaseins zu unterwerfen, dann scheint es mir an der Zeit, die Illusion einer konfliktfreien Welt, in der es für alles einen Konsens gibt und geben müsse zu zerstören und beim Namen zu nennen: Sie ist nichts weiter als eine neue Form der Herrschaft.

Konsens. Das ist ein Wort mit vielen verschiedenen Bedeutungen. Allgemein meint es wohl das Einverständnis aller Beteiligten mit irgendetwas. Konsensuale Sexualität beispielsweise beschreibt eine Idealvorstellung von Sexualität, bei der immer sichergestellt wird, dass alle Beteiligten mit allen Handlungen einverstanden sind. Und auch wenn ich oft eher den Eindruck habe, dass Konsens in diesem Kontext ein Lippenbekenntnis ist, das vermeidet, sich damit auseinandersetzen zu müssen, dass es keine reine, konfliktfreie und rein positive Sexualität gibt, habe ich im Grunde nichts gegen Konsensuale Sexualität einzuwenden. Schließlich beschreibt Konsens hier das Einverständnis aller Beteiligten eines notwendigerweise willentlichen Akts der Interaktion. Aber das Prinzip Konsens wird häufig auch auf Situationen übertragen, in denen eine Interaktion zwischen Personen nicht notwendigerweise willentlich stattfindet. Wenn ich beispielsweise etwas essen oder rauchen oder mein Oberteil ausziehen oder – toppaktuell – keine Maske tragen möchte, sich in meiner Umgebung aber andere Personen befinden, die entsprechend sehen, hören und riechen, was ich tue und denen etwas davon missfallen könnte, so stellt dies einen Konflikt widerstreitender Bedürfnisse dar, bei denen es jedoch keinerlei Notwendigkeit gibt, diese in Einklang zu bringen. Es mag teilweise friedliche Lösungen für diese Konflikte geben, es mag etablierte Normen geben, die Lösungen für diese Konflikte vorschreiben bzw. vorsehen und es mag nett von mir sein, wenn ich meine Bereitschaft zeige, eine friedliche Lösung für diese Konflikte zu finden. Aber selbst wenn ich mich nicht an eine dieser Normen halte, wenn ich keine friedliche Lösung akzeptiere und keine Bereitschaft zeige eine solche zu finden, so übe ich durch mein Verhalten keinerlei Herrschaft [1] über andere Menschen aus. Wer aber umgekehrt der Meinung ist, es wäre meine Pflicht, auch in solchen Situationen einen Konsens zu finden und andernfalls das essen/rauchen/mich entkleiden zu unterlassen, die*der beweist doch umgekehrt, dass er*sie irgendein Bedürfnis dazu hat, andere Menschen zu zwingen nach seinen*ihren Vorstellungen zu handeln. Und während schon diese Konsensvorstellung letztlich nichts anderes als eine Regel beschreibt, bei der es in der Verantwortung des*der Regelbrecher*in liegt, sich um Legitimation für diesen Regelbruch zu bemühen, gibt es auch Situationen in denen der Begriff Konsens ganz unverblümt an die Stelle des Begriffs Verhaltenskodex tritt.

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Die russischen Kommunisten-Anarchisten – Nieder mit der Demokratie! Es lebe die Revolution!

AutorIn: Die russischen Kommunisten-Anarchisten
Titel: Nieder mit der Demokratie! Es lebe die Revolution!
Datum: 1905
Bemerkungen: Übersetzt aus: Anarquistas de Bialystok 1903-08.
Quelle: Entnommen am 15.09.2021 von https://zuendlumpen.noblogs.org/post/2021/09/05/nieder-mit-der-demokratie-es-lebe-die-revolution/

Im Jahr 1904 machte sich im russischen Reich eine aufständische Stimmung breit, welche im folgenden Jahr dann auch explodieren sollte. Zu dieser Zeit gab es in Bialystok, im heutigen Polen, eine kleine Gruppe Anarchist:innen, welche ihre Ideen in Flugblättern, Zeitungen und durch Angriffe auf Industrielle und Bullen artikulierten. Das unten übersetzte Flugblatt gilt als eines der ersten anarchistischen Flugblätter auf russisch, da anarchistische Propaganda zuvor fast ausschließlich durch Reden und in Diskussionen verbreitet wurde und erst zu diesem Zeitpunkt Anfang des 20. Jahrhunderts ein Großteil der Ausgebeuteten des Lesens mächtig war. So ist das folgende Flugblatt zu Lesen: Eine klare Analyse und ein dementsprechender Vorschlag wird in einfache Sprache verpackt.

Während die Bevölkerung zu jener Zeit noch unter dem absolutistischen Zarenreich lebte, machten die Anarchist:innen klar, dass auch die sich ankündigenden liberalen und demokratischen Reformen, welche 1905 tatsächlich in Kraft traten, nichts an der Ausbeutung und Unterdrückung der Massen verändern würden. Denn nur eine Revolution könne diese befreien. Dieser Gewissheit ist auch die Entschlossenheit geschuldet, mit welcher sich in den folgenden Monaten und Jahren Anarchist:innen und andere Revolutionär:innen an den Kämpfen und Revolten im russischen Reich beteiligten. In Folge der Ereignisse von 1905 kam es von St.Petersburg bis Warschau, von Odessa bist Riga, von Moskau bis nach Minsk zu etlichen bewaffneten Aufständen, die Staatsmacht wurde punktuell vertrieben, tausende Villen und Schlösser von Großgrundbesitzern abgefackelt, hunderte Bullen erschossen und etliche Banken enteignet. Fester Bestandteil dieses aufständischen Kampfes war eine klare und deutliche Propaganda und Analyse, einhergehend mit öffentlichen Diskussionen und dem Drucken, Schmuggeln und Verteilen von Zeitungen und Flugblättern. Viele junge Anarchist:innen ließen in jenen Monaten ihr Leben und Viele, welche diese Ereignisse überlebt hatten, landeten später in bolschewistischen Kerkern und Lagern.

Einiges, was die anarchistische Analyse von damals an Schärfe hatte, scheint heute verloren gegangen zu sein: Denn auch wenn die Gefährt:innen von damals noch keine Sekunde in einer Demokratie verbracht hatten, waren sie sich vollkommen bewusst darüber, dass diese nur die tatsächlichen Herrschaftsverhältnisse verschleiern würde. „Nieder mit der Demokratie! Es lebe die Revolution!“ – war ihr Spruch, welcher im klaren Widerspruch zu irgendeinem evolutionären Modell zur Veränderung der Gesellschaft stand und steht. Heute, im Angesicht eines „Rechtsrucks“ der Regierungen und einer erstarkenden faschistischen Bewegung, scheinen viele Antiautoritäre die bestehende Gesellschaftsordnung vor einem Rückwärtslaufen der Geschichte bewahren zu wollen und so verpflichtet ihr antifaschistisches Bewusstsein sie nicht selten dazu den Gang zur Wahlurne anzutreten. Für uns kann das Wählen der eigenen Herrscher aber kein pragmatischer real-politischer Kompromiss sein. Auch im hier und jetzt wollen wir die in der Geschichte und auf der Welt zu jedem Moment präsente Möglichkeit bekräftigen, das System der Ausbeutung und Unterdrückung hinwegzufegen und gegen dieses anzukämpfen, um in Richtung eines Lebens ohne Beherrschung und Ausbeutung zu gehen.

Und was tun im Angesicht der faschistischen Drohung? Kämpfen, mit den gleichen Mitteln, mit den gleichen Idealen. Viele der oft jüdischen Anarchist:innen sahen sich 1905 im russischen Reich mit antisemitischen Pogromen konfrontiert und waren bereit ihre Freunde und Bekannte mit der Waffe in der Hand vor den Faschist:innen zu verteidigen. Eine revolutionäre Bewegung ist das beste Mittel gegen den Faschismus und sie macht den Faschist:innen UND den Demokrat:innen Angst – eine Bewegung, die sowohl alleine und verstreut, als auch koordiniert und kollektiv zur Tat schreiten kann.

Die Anarchistin Fanny Kaplan, welche bereits an den Aufständen 1905 aktiv teilnahm, entschied sich 1918 dazu den roten Diktator Lenin alleine umzubringen und verletzte diesen schließlich schwer durch drei Kugeln. Dieser Angriff hatte sicherlich seinen Anteil an Lenins frühem Ableben sechs Jahre später.

Scholem Schwarzbard, der 1919 die antisemitischen Pogrome in der Ukraine erlebte, entschloss sich 1926 dazu, den in die Pogrome involvierten nationalistischen Kommandanten Simon Petliura in seinem Exil in Paris zu rächen und erschoss diesen auf offener Straße. Beispiele wie diese gibt es unzählige in der anarchistischen Geschichte und alle zeigen sie: Faschist:innen und Tyrannen bekämpft man nicht in der Wahlkabine, sondern auf der Straße. Auch heute werden Treffpunkte von Faschist:innen und ihre Autos und Privathäuser attackiert, genauso wie die Firmen und Strukturen der Ausbeutenden und Regierenden.

Lassen wir uns nicht von den demokratischen Diskursen einlullen und besinnen uns auf das, was wir wollen: Eine soziale Revolution.

Die Demokratie

Das ganze liberale Russland ist aufgewühlt. Es richtet seine Augen nach oben in Richtung des neuen Ministers Sviatopolk. Von dort erwartet es Reformen, von dort hört man die Hymnen des Liberalismus… Man sagt, dass das Ende des autokratischen Zarentums naht, dass man bald frei sei, dass die Wissenschaft erblühen und das Volk sich von der Unterdrückung erholen würde. Einige, und zwar die Liberalen, werden das Monument der Nationalen Freiheit dekorieren, während sie gleichzeitig aufpassen werden, damit dasselbe sie mit einer riesigen polizeilichen Armee beschützt. Die anderen – die Sozialdemokraten und Sozialrevolutionäre – hyperventilieren vor Enthusiasmus und überzeugen die Arbeiter, dass die Demokratie eine ausgezeichnete Waffe für die folgende Arbeiterbefreiung ist. Deswegen freuen sich alle… Mit Leidenschaft machen sie sich an ihre heilige Arbeit – das demokratische Nest muss errichtet werden. Und die Sozialisten begleiten sie mit den sozialistischen Hymnen. Aber für euch, für die Arbeiterklasse – gibt es irgendeinen Grund zur Freude? Wäre es nicht gut darüber nachzudenken, was die Demokratie ist und was sie uns gibt und geben kann?

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Was wählst du?

In den Straßen hängen wieder Plakate mit – wenn auch meistens anderen – Gesichtern, jedoch den immer gleichen plakativen Sprüchen. Flugblätter unterschiedlicher Parteien werden einem wieder mal in die Hand gedrückt oder in den Briefkasten geworden. Aufs erneute wird um „Stimmen“ gebuhlt. Es sind Wahlen… Und die Parteien und Politiker*innen hoffen, dass sie überzeugen können …