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Aragorn! – Ein nicht-Europäischer Anarchismus

AutorIn: Aragorn!
Titel: Ein nicht-Europäischer Anarchismus
Datum: 2007
Bemerkungen: Übersetzung von „A Non-European Anarchism“ erschien 2007 in englisch auf https://web.archive.org/web/20080503193224/illvox.org/2007/06/23/a-non-european-anarchism/.
Quelle: Entnommen aus der Broschüre "Ortung eines indigenen Anarchismus und Ein nicht-Europäischer Anarchismus", Juni 2021, o.O., S. 15-29.

Die Geschichte der Menschen, die nicht die Geschichtsbücher geschrieben haben, die keine Imperien errichtet haben und die nicht danach strebten, über andere zu herrschen, ist unsere Geschichte. Bis zu einem gewissen Grad liegt es in der Natur dieser Zeiten, dass jede*r von uns dazu beitragen muss, diese Geschichte zu erzählen, über die Spalten und Schatten, in die die «Gewinner*innen» nicht eingedrungen sind und in denen wir leben, über sie sowohl zu schreiben, als auch zu sprechen und zu lernen. Diese Geschichte des Überlebens, des bloßen Zurechtkommens, ist die Geschichte des Lebens der großen (wie in über 90%) Mehrheit der Menschen im Laufe der Zeit, über die gesamte moderne Zivilisation hinweg. Überleben ist die einzige Möglichkeit, wenn Teilhabe das bedeutet, was sie heute tut.

Während dieser Text Europa als ultimativen Ausdruck der Erfolge anführt, die unseren Verlust widerspiegeln, ist es nicht ausschließlich Europas Vermächtnis. Ähnliche (wenn nicht genauso großartige) Geschichten von Invasion, Kolonisierung und Völkermord können von anderen Kulturen erzählt werden. Der Unterschied ist, dass sie nicht die Erb*innen des heutigen Weltsystems sind. Europa ist es.

Militarismus, Kapitalismus, Staatskunst und ihre Folgen in Form von Rassismus, Völkermord und Totalem Krieg können alle vor die Tür Europas gesetzt werden. Das heißt nicht, dass es nicht auch Europäer*innen gibt, die sich dieser Tradition, dieser Praxis widersetzen, aber wenn die Welt ein Problem hat, oder eine Reihe von Problemen, dann lässt es sich auf die Ursprünge zurückführen. Es reicht nicht aus, Beispiele für diese Probleme an anderen Orten auszusuchen, um den Folgen der Herkunft zu entgehen. In einem alternativen Universum ist es möglich, dass wir über die Tyrannei des Osmanischen Reiches fluchen könnten.

Es besteht die Notwendigkeit, in dieser Zeit eine antiautoritäre Tendenz zu verkünden, die sowohl ihre Ursprünge respektiert als auch gegen sie kämpft. Eine anti-statische, anti-ökonomische Position, die kulturelle Werte über wissenschaftlichen Determinismus und die Aufrechterhaltung des Imperiums stellt. Eine Position, die Vielfalt über jede einheitliche Antwort auf das politische und soziale Leben stellt. Es ist an der Zeit, die Realitäten unserer kolonialen Geschichte, unserer Beziehungen zu Land und unserer Politik mit den Schlussfolgerungen ihrer Rebell*innen und mit unseren Ältesten zu verbinden. Von den Ir*innen bis zu den Makah, von den Kurd*innen bis zu den Mbuti, von den urbanen Afroamerikaner*innen bis zu den sesshaften Roma kann eine Geschichte außerhalb der Westlichen Zivilisation erzählt werden. Ein nicht-Europäischer Anarchismus ist die Politik dieser Geschichte, und steht im Kontext des Widerstands gegen sie.

Was ist Europa
Wenn ich von Europäer*innen oder geistigen Europäer*innen spreche, dann lasse ich keine falschen Unterscheidungen zu. Ich sage nicht, dass es auf der einen Seite die Nebenprodukte von ein paar tausend Jahren völkermörderischer, reaktionärer Europäischer Geistesentwicklung gibt, die schlecht sind, und auf der anderen Seite gibt es einige neue revolutionäre Entwicklung, die gut ist. Ich beziehe mich hier auf die sogenannten Theorien des Marxismus und des Anarchismus und der «Linken» im Allgemeinen. Ich glaube nicht, dass ihre Theorien vom Rest der Europäischen intellektuellen Tradition getrennt werden können. Es ist wirklich nur das gleiche alte Lied... − Russel Means, The Same Old Song

Europa ist aus einer Vielzahl von Gründen ein ungewöhnlicher Kontinent. Nicht zuletzt deshalb, weil außerhalb des Kontinents ebenso viele Menschen leben wie innerhalb seiner Begrenzungen. Die Geschichte, zumindest wie sie in Nordamerika gelehrt wird, interessiert sich hauptsächlich für die Folgen und Entwicklungen, die auf dem Kontinent in den letzten zwei Jahrtausenden stattgefunden haben. Diese Geschichte, wenn sie mit der Geschichte aller anderen Kontinente zusammen verglichen würde, wäre sie in den Köpfen und der Kultur der USA und Kanadas immer noch vollkommen dominant. Es ist sicher, den Mainstream der Nordamerikanischen Kultur als Europäisch zu bezeichnen. Du kannst auch die größte Landmasse Ozeaniens als Europäisch betrachten, was zeigt, dass es eine ausgeprägte Tendenz Europas ist, sich in die ganze Welt zu exportieren.

Dieses expansionistische Phänomen hat einen historischen Kontext, den es wert ist, zu untersuchen. Europa ist nicht der Ort, an dem der Aufstieg der Zivilisation stattfand. Sie scheint im Tal zwischen den Flüssen Tigris und Euphrat, Mesopotamien, begonnen zu haben. Dutzende, wenn nicht Hunderte von Gesellschaften blühten in diesem Tal über 3000 Jahre hinweg. Die bekanntesten dieser Gesellschaften sind die sumerische, babylonische, hethitische und phönizische Gesellschaften. Sie sind am besten bekannt für die Technik, die sie den zukünftigen Gesellschaften zur Verfügung stellten, darunter die Mythologie (Sumer), der Kodex von Hammurabi (Babylon), Eisen (Hethiter*innen) und das Alphabet (Phönizier*innen). Etwa zur gleichen Zeit entstand rund um den Nil eine riesige und lebendige Gesellschaft, die Ägypten genannt wurde. Diese afrikanische Gesellschaft existierte für mehrere tausend Jahre in der einen oder anderen Form und kündigte die moderne Regierung an. Diese beiden Regionen bilden zusammen mit China den größten Teil unseres Verständnisses der antiken Gesellschaft.

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Aragorn! – Ortung eines indigenen Anarchismus

AutorIn: Aragorn!
Titel: Ortung eines indigenen Anarchismus
Datum: 2005
Bemerkungen: Original: «Locating An Indigenous Anarchism», in «Green Anarchy», Ausgabe 19.
Quelle: Entnommen aus der Broschüre "Ortung eines indigenen Anarchismus und Ein nicht-Europäischer Anarchismus", Juni 2021, o.O., S. 3-14.

Es ist einfach genug, sich über Politik auszulassen. Es ergibt sich von selbst und meistens wird die direkte Antwort die Fragestellenden nicht wirklich befriedigen, noch ist es angebracht, unsere Politik auf diese Welt zu fixieren, auf das, was sich unbewegbar anfühlt. Politik ist, wie Erfahrung, eine subjektive Art, die Welt zu verstehen. Im besten Fall bietet sie ein tieferes Vokabular als geschwätzige Plattitüden darüber, gut zu den Menschen zu sein, im schlimmsten Fall (und am häufigsten) rahmt sie Menschen und Ideen in eine Ideologie ein. Ideologie ist, wie wir uns ganz bewusst sind, eine schlechte Sache. Warum? Weil sie Fragen beantwortet, die uns besser weiterhin verfolgen sollten, weil sie versucht, eine dauerhafte Antwort auf etwas zu geben, das bestenfalls vorübergehend ist.

Es ist leicht, sich über Politik bedeckt zu halten, aber lass uns für einen Moment eine Möglichkeit ausmalen. Nicht, um einander zu sagen, was zu tun ist, oder um einander eine Antwort auf jede Frage zu geben, die sich stellen könnte, sondern um eine Pause von der Zögerlichkeit zu nehmen. Lass uns vorstellen, wie ein indigener Anarchismus aussehen könnte.

Wir sollten mit dem anfangen, was wir haben, und das ist nicht viel. Was wir in dieser Welt haben, ist die Erinnerung an eine Vergangenheit, die von Geschichtsbüchern verschleiert wird, an einen Ort, der kahlgeschlagen, begrünt und zugepflastert wurde. Wir teilen diese Erinnerung mit unserer erweiterten Familie, mit der wir uns zanken, die uns zutiefst am Herzen liegt, und die oft an das glauben, was wir nicht haben. Das, was wir haben reicht nicht aus um diese Welt zu gestalten, aber es reicht in der Regel aus, um uns durchzubringen.

Wenn wir diese Welt gestalten würden (eine Gelegenheit, die wir sicherlich ablehnen würden, wenn sie uns angeboten würde), würden wir mit einem großen Feuer beginnen. Wir würden wahrscheinlich in den Städten beginnen, wo mit all den hölzernen Strukturen der Macht und dem Unterholz der institutionellen Anmaßung das Feuer sicherlich hell und für eine sehr lange Zeit brennen würde. Es würde hart sein für die Spezies, die an diesen Orten lebte. Es würde sehr schwer sein, sich daran zu erinnern, wie es war zu leben, ohne sich auf Totholz und Feuerwehren stützen zu können. Aber wir würden uns erinnern. Dieses Erinnern würde nicht wie ein Skill-Sharing oder ein Erweiterungskurs in den Methoden des Überlebens aussehen, sondern ein Bewusstsein dafür, dass wir, egal wie geschickt wir persönlich sind (oder uns dafür halten), unsere erweiterte Familie brauchen.

Wir werden uns gegenseitig brauchen, um sicherstellen zu können, dass die Flammen, wenn sie denn kommen sollten, das Gebiet, in dem wir gemeinsam leben, frei räumen würden. Wir werden es von dem Brennstoff befreien müssen, der die derzeitigen Probleme am Ende nur wiederholen würde. Wir werden dafür sorgen müssen, dass die Samen, die Nährstoffe und die Erde jenseits unserer Möglichkeiten der Kontrolle verstreut werden.

Haben wir die Flammen einmal überwunden, werden wir ein gemeinsames Leben anfertigen müssen. Wir werden uns daran erinnern müssen, wie soziales Verhalten aussieht und wie es sich anfühlt. Wir werden heilen müssen.

Wenn wir anfangen zu untersuchen, wie das Leben sein könnte, jetzt, wo alle Ausreden weg sind, jetzt, wo alle Tyrann*innen menschliche Größe und Gestalt haben, werden wir viele Dinge berücksichtigen müssen. Wir werden immer den Gegenstand des Maßes berücksichtigen müssen. Wir werden die Erinnerung an die ersten Menschen bewahren müssen und wir werden jene Menschen im Gedächtnis behalten müssen, die die Erinnerung an Streichhölzer bewahrt haben und wo und wann sie durch das vergangene verwirrende Zeitalter brannten. Falls es denn noch eine Rolle spielt, wir werden eine Lebensweise etablieren müssen, die sowohl indigen ist, das heißt von dem Land, auf dem wir uns gerade befinden, als auch anarchisch, das heißt ohne autoritären Zwang.

Erste Prinzipien

Erste Prinzipien sind jene Ansichten, die eine Tendenz (oder die Anhänger*innen einer Tendenz) als unveränderlich erachten würden. Sie bleiben in der Regel unausgesprochen. Innerhalb des Anarchismus beinhalten diese Prinzipien direkte Aktion, gegenseitige Hilfe und freiwillige Kooperation. Dies sind keine Ideen über die Form von anarchis-tischer Organisierung, oder darüber, wie wir die Gesellschaft transformieren werden, sondern ein Verständnis darüber, was an einer anarchistischen sozialen Praxis gegenüber einer kapitalistischen Republik oder einem totalitären Sozialismus innovativ und qualitativ anders sein würde.

Es lohnt sich, eine Kulturgeschichte unserer drei grundlegenden anarchistischen Prinzipien zu erwähnen, als eine Art von Verständnis, wie eine Reihe indigener anarchistischer Prinzipien aussehen könnte. Direkte Aktion als Prinzip unterscheidet sich primär von der Tradition der Arbeitskämpfe, wo sie als Taktik eingesetzt wurde, indem sie voraussetzt, dass es ein anarchistischer Imperativ ist, «direkt» (oder auf unvermittelte Weise) zu leben. Anders ausgedrückt, wäre das Prinzip der direkten Aktion eine anarchistische Aussage über die Selbstbestimmung in den praktischen Aspekten des Lebens. Direkte Aktion muss aus der Sicht der Ereignisse vom Mai 1968 verstanden werden, wo die Ablehnung des entfremdeten Lebens große Teile der Französischen Gesellschaft auf die Straße und zu einer radikal selbstorganisierten Praxis führte.

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ziq – Fuck Your Red Revolution: Gegen den Ökozid, für die Anarchie

AutorIn: ziq
Titel: Fuck Your Red Revolution: Gegen den Ökozid, für die Anarchie
Datum: 2. Februar 2019
Quelle: Entnommen am 15.12.2021 von https://schwarzerpfeil.de/2020/12/23/fuck-your-red-revolution-gegen-den-oekozid-fuer-die-anarchie/
Lass deine langweiligen Slogans los

„Es gibt keinen ethischen Konsum im Kapitalismus“ ist ein ermüdendes Mem, von dem ich mir wünsche, dass es sterben würde. So oft wird dieser Slogan von den Roten benutzt, um diejenigen von uns zu verunglimpfen, die sich bemühen, Lebensentscheidungen zu treffen, die zur Schadensreduzierung in unseren Gemeinschaften und unserer natürlichen Umgebung beitragen.

Vegane Ernährung, Fahrradfahren, Müllfischen, Upcycling, Guerilla Gardening, Permakultur, Hausbesetzungen, Illegalismus, Food Forestry, Kommunen, Selbstversorgung und all die anderen „lebensstilistischen“ Aktivitäten, die „individualistische“ Anarchist:innen unternehmen, um ihren Schaden an der Umwelt zu minimieren, werden von vielen Anarcho-Kommunist:innen, Sozialökolog:innen, Anarcho-Transhumanist:innen, Syndikalist:innen und anderen industriehörigen Anarchist:innen beschämt und verspottet. Diese Roten sind versiert in workeristischer Rhetorik und sehen alle Lebensstilentscheidungen als „eine Ablenkung“ von der globalen proletarischen Revolution, die sie als ihr einziges Ziel sehen.

Du wirst hören, wie sie andere Anarchist:innen, die über ethische Wege zur Einschränkung ihres Konsums diskutieren, herabwürdigen, vor allem Leute, die vom Land leben oder ihre Teilnahme an der industriellen Zivilisation auf andere Weise einschränken; Leute, die sie lautstark als „Primmies“ oder „Lifestylist:innen“ abtun und verurteilen.

Sie werden uns sagen, dass wir aufhören sollen, unser Leben im Streben nach persönlicher Anarchie zu leben, weil „es im Kapitalismus keinen ethischen Konsum gibt“. Solange der Welt ein kapitalistisches System aufgezwungen wird, gibt es in den Köpfen der Roten keinen Grund, nach Anarchie zu greifen, bis dieses System gestürzt und durch ihr System ersetzt wurde. Unabhängig davon, wie unwahrscheinlich es ist, dass dies zu unseren Lebzeiten geschehen wird.

Die Verwendung von „kein ethischer Konsum“, um Menschen dafür zu beschämen, dass sie sich bemühen, gewissenhafter zu leben, und alle individuellen Handlungen als „konterrevolutionär“ oder „liberal“ zu verunglimpfen, entspringt einer zutiefst autoritären Denkweise, die an toxische maoistische Säuberungen erinnert, die Menschen dafür bestraften, dass sie sich anders kleideten oder Hobbys hatten oder irgendetwas anderes taten, als sich zu 100% der zerstörerischen Industriearbeit und dem Ruhm „der Revolution“ zu widmen (fast immer in Form eines roten Staates manifestiert).

Der rote Einfluss im anarchistischen Diskurs ist leider in den meisten entwickelten Teilen der Welt vorherrschend und kollektivistisch gesinnte Anarchist:innen bestehen darauf, dass sich jede:r Anarchist:in ihrem Hirngespinst eines Massenaufstandes widmet, um den Kapitalist:innen die Fabriken zu entreißen und sie an die Arbeiter:innen zu übergeben. Sie postulieren, dass demokratisierte Fabriken vorteilhafter für die Arbeiter:innen sein werden, weil sie ein größeres Stück des industriellen Kuchens erhalten werden. Das ist wahr. Aber dann behaupten sie, dass ihre Ideologie „die Umwelt retten“ wird, weil ein Arbeiterkollektiv nicht gierig und zerstörerisch sein wird wie ein kapitalistischer Vorstand. Das ist natürlich völlig unbegründet und ignoriert eklatant die Geschichte der kollektivierten Industrie und ihre verheerenden Auswirkungen auf die Umwelt. Die eklatante Realität ist, dass Industriegesellschaften letztendlich ausnahmslos zum Ökozid führen.

Unzählige marxistische Revolutionen in der Geschichte haben der Umwelt so viel Schaden zugefügt, dass ganze Landstriche, wie zum Beispiel die Gegend um Tschernobyl, für Menschen unbewohnbar gemacht wurden. Auch heute noch werden Babys mit Geburtsfehlern geboren und die Krebsraten in den von der sozialistischen Industrie verwüsteten Regionen sind nach wie vor himmelhoch.

Werfen wir einen kurzen Blick auf das Erbe der ehemaligen UdSSR, das durch die rücksichtslose industrielle Zerstörung entstanden ist, anhand von 3 Beispielen.

Der Fluss Ural in Magnitogorsk, Russland, ist immer noch mit giftigen Bor- und Chromwerten aus dem nahegelegenen Stahlwerk gesättigt und vergiftet das gesamte Ökosystem und seine Bewohner:innen.

Der Aralsee, einst das viertgrößte Binnengewässer der Welt, wurde weitgehend durch die neu entstandene Aralkum-Wüste ersetzt, nachdem die Sowjets zwei Flüsse zur Bewässerung trockengelegt hatten. Das Meer hat jetzt nur noch 10 Prozent seiner ursprünglichen Größe.

Abflüsse von Ölfeldern in der Nähe von Baku haben alle lokalen Gewässer biologisch tot gemacht und jede Lebensform, die in diesen Ökosystemen über Jahrtausende gedieh, ausgelöscht.

Dies sind nur drei Beispiele für den verheerenden Ökozid, der durch das Streben nach industriellem Wachstum verursacht wurde (das laut Marx erforderlich ist, um den Kommunismus zu erreichen), und sie haben natürlich nur zu mehr Kapitalismus und mehr Elend geführt, denn der Industrialismus und das fortgesetzte Streben nach niederer Arbeit wird die Menschen nicht befreien.

Der Wechsel von einer vertikalen zu einer horizontalen Hierarchie wird den Industriearbeiter:innen sicherlich in einigen materiellen Aspekten zugute kommen, aber die Zerstörung unseres Planeten wird sich nicht verlangsamen, nur weil wir eine Machtverschiebung von den Bossen zu den Arbeiter:innen einführen. Die industrielle Produktion ist auf ununterbrochenes Wachstum angewiesen, und wenn man den Erfolg einer Gesellschaft an die industrielle Produktion bindet, schafft man ein Rezept für eine Katastrophe. Die Arbeiter:innen werden nicht dafür stimmen, ihre Industrie oder deren Auswirkungen auf die Umwelt zu reduzieren, da ihr Lebensunterhalt vom Wachstum ihrer Industrie abhängt.

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Mario Frisetti, Mario Spesso, Luca Bruno, aus El Paso Occupato und Barocchio Occupato – Gegen die Legalisierung von besetzten Räumen

AutorIn: Mario Frisetti, Mario Spesso, Luca Bruno, aus El Paso Occupato und Barocchio Occupato
Titel: Gegen die Legalisierung von besetzten Räumen
Untertitel: Pamphlet zur Entwicklung des Manifests gegen die Legalisierung von besetzten Räumen
Datum: Februar 1994
Bemerkungen: Originaltitel: OPUSCOLO DI SVILUPPO DEL MANIFESTO CONTRO LA LEGALIZZAZIONE DEGLI SPAZI OCCUPATI
Torino, febbraio 1994
da El Paso Occupato e Barocchio Occupato
Quelle: Entnommen am 08.12.2021 von http://panopticon.blogsport.eu/2021/07/28/gegen-die-legalisierung-von-besetzten-raeumen-turin-februar-1994/
Einleitung der Soligruppe für Gefangene:

Wir haben einen weiteren wichtigen Text ausgegraben und aus dem Italienischen übersetzt, einen der schon seit vielen Jahren auf der Liste ganz oben stand, ein Text der uns in unserer Jugend sehr beeinflusste und auch vor 15 Jahren, oder länger, hätte erscheinen können, aber erst jetzt das Licht sieht. Wie auch immer…

Unter dem Strich geht es gegen die Legalisierung von besetzten Häusern, wie der Titel schon selbst sagt, aber nicht nur. Es sollte erwähnt werden, dass dessen Voraussetzung, logischerweise, aber eben besetzte Häuser waren, was heutzutage, zumindest hier in Berlin nicht gerade en vogue ist. Deshalb spielte dieser Text, der ursprünglich aus Italien, 1994 veröffentlicht, konkret aus einem anarchistischen besetzten Haus in Turin stammt, eine wichtige Rolle für einigen Länder, in denen es eine große Welle an Besetzungen gab und zum Teil noch gibt, also nicht nur Italien, damals so wie heute, sondern auch z.B., der spanische Staat, wo dieser Text schon in den späten 1990er im Umlauf war.

Denn eine wichtige Frage, die sich alle anarchistischen und revolutionären Gruppen stellen sollten, ist, was für eine genaue Funktion diese denn haben sollen. Ist es, wie der Text selbst vorschlägt, ein Sprungbrett für die Selbstverwaltung von Kämpfen, für Direkte Aktionen, usw. oder ist es ein Fetisch, welcher von jeglicher herrschenden Ideologie eingenommen werden kann? Dies wären nur ein paar wenige der Fragen, die dieser Text behandelt.

Als der Text erschien, sprich vier Jahre nach der Gründung der BRD, sind vor allem in Berlin die letzten besetzten Häuser entweder legalisiert worden, als sie einen Vertrag kriegten, oder geräumt worden. Es entgeht unser Kenntnisse, wie und ob in den früheren 1980er und dann später in den früheren 1990er, aber dann vor allem in Ost-Berlin, Debatten und Diskussionen um das Legalisieren von besetzten Häusern existierten, bzw., es entgeht uns wie dies genau stattfand. Ob dies nur intern in der Bewegung diskutiert wurde, oder ob es auch längere Debatten gab, die niedergeschrieben wurden und fürs hier und jetzt von großem Nutzen wären. Wir wissen von Bekannten, die diese Zeit erlebten und in den Kämpfen involviert waren, dass vor allem in den 1980er, in West-Berlin zumindest, solche Debatten und Diskussionen existierten und die Mehrheit der Bewegung gegen die Legalisierung war. Das Ende dieser Geschichte ist die Niederlage dieser Bewegung und der Sieg derjenigen reformistischen und realpolitischen Kräfte, die danach dem Konzept der Hausprojekte Tür und Tor öffneten, als nicht wenige ehemalige besetzte Häuser legalisiert wurden und die Dynamik von Kämpfen diesem Widerspruch angepasst wurden. Es lässt sich daraus die Frage stellen, was für Konsequenzen dies alles bis in unsere Tage noch mitbeeinflusst.

Ein weiteres Thema, das in diesem Text von Bedeutung ist, dreht sich um die Frage der Selbstverwaltung, aber nicht in der sinnentleerten Form wie sie heute gestellt und geäußert wird, sondern sich plastisch aus der Frage der Praxis im Kampf gegen Staat und Kapital bildet. Oder anders formuliert, es handelt sich um die Selbstverwaltung der Kämpfe und die entscheidende Rolle die darin Räume wie besetzte Häuser spielen könnten.

Alles weitere was uns zu diesem Text einfällt, sind Fragen, die in anderen Beiträgen zu der Frage von Eigentum und Wohnungsfrage, zu Themen wie dem Reformismus in einigen anarchistischen Gruppen und weiteres erscheinen werden.

Tod dem sozialen Frieden!

GEGEN DIE LEGALISIERUNG VON BESETZTEN RÄUMEN
EINLEITUNG: FREI LEBEN ODER STERBEN

Unser Traum ist es, frei zu leben, alle Formen der konstituierten Macht und alle Hierarchien, die ihre Negation sind, zu zerstören.

Für uns ist die Freiheit nicht von der Freude zu trennen. Wir sind jedoch bereit, titanische Anstrengungen zu unternehmen, um Freiheit und Freude zu erreichen. Im Bewusstsein, dass es keine Freiheit in der Opferung und Aufopferung gibt.

In diesem Sinne ist die vollständigste Erfahrung, die wir heute machen können, die der Selbstverwaltung, die Raum für direkte Aktionen schafft, verstanden als eine offene, kollektive, erweiterbare Erfahrung, die sich nicht um die vom Staat gezogenen Zäune zwischen Legalität und Illegalität schert.

Die Besetzung von verlassenen Räumen bringt diese Prärogative zusammen und öffnet den Weg, auf die richtige Art und Weise, zur Selbstverwaltung. Die Entwicklung der Selbstverwaltung unseres Lebens ist nicht möglich, ohne das Bestehende zu unterwandern.

DIE SELBSTVERWALTUNG

Ist die Form der Verwaltung der Anarchie. Ihr schlagendes Herz.

Selbstverwaltung ist die Möglichkeit, nach dem Prinzip der Eigenverantwortung und der Methode der Einstimmigkeit (sicher nicht der der – demokratischen – Mehrheit) die Regeln unserer Existenz festzulegen.

Selbstverwaltung, um die Möglichkeit zu bieten, die getrennten Sphären der menschlichen Erfahrung wieder zu vereinen: die Ideen und Handlungen, Hand- und Kopfarbeit, um jene Vollständigkeit wiederzugewinnen, die uns durch die von der Kultur der Macht auferlegte Spezialisierung der Tätigkeiten genommen wurde.

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René Riesel, Jaime Semprun – Katastrophismus, Desasterverwaltung und nachhaltige Knechtschaft

AutorIn: René Riesel, Jaime Semprun
Titel: Katastrophismus, Desasterverwaltung und nachhaltige Knechtschaft
Datum: April 2008
Quelle: Entnommen von: "René Riesel, Jaime Semprun: Katastrophismus, Desasterverwaltung und nachhaltige Knechtschaft, HOSTIS EDITIONEN, Juni 2021, S.66".
Vorwort zur deutschen Übersetzung

Die subversive Kraft von Theorien und Hypothesen sollte daran gemessen werden, inwieweit sie eine Analyse der gesellschaftlichen Realität darstellen und ob diese in der Lage ist, Angriffspunkte zu identifizieren - Stellen, an denen man die Macht angreifen kann, um alle Verhältnisse umzuwerfen. Riesel und Semprun legen dar, wie drohende Katastrophen, hier v.a. die des ökologischen Kollaps, dazu dienen, die industrielle Gesellschaft zu erhalten und eine Reglementierung (und Moralisierung) von Oben durchzusetzen, welche die staatliche Macht ausbaut. Der Text Catastrophisme, administration du desastre et soumission durable erschien 2008, im Jahr der Finanzkrise, aber vor Fukushima und der jüngsten Klimabewegung. Und dennoch, oder gerade deshalb, ist dieser Text aktuell, da sich alle (staatlichen) Maßnahmen zur Bewältigung der drohenden Katastrophen immer stärker als Befehle offenbaren. Es ist eine Kritik an den staatlichen und aktivistischen Verwaltern der ökologischen Katastrophe, die einen (moralischen) Massenkonformismus propagieren. Es ist aber auch ein Text - und daher entstammt auch eine große Motivation diesen Text auf Deutsch zu übersetzten -, der sich in der Zeit von Covid-19, den staatlichen Maßnahmen zur Einschränkung von Viren, dem Konkretisieren eines Green New Deal (ein Begriff der 2007 das erste mal verwendet wurde) und anderen autoritären Methoden des Ausnahmezustands äußerst interessant liest.

Dabei sind die folgenden Seiten besonders relevant, da die beiden Autoren und ihre Gefährten seit Jahrzehnten versuchten die Zerstörung der Erde als soziale Frage zu behandeln. Ihre Gesellschaftskritik formulierte sich aus einer Praxis in Frankreich seit den 1960er Jahren - einer situationistischen Vergangenheit und Weiterentwicklung von Ideen und Theorien. In den 1980er gründet sich die, wenn man so möchte, post-situationistische, aber v.a. anti-industrielle[1] Gruppe Encyclopedie des Nuisances (EdN) [Enzyklopädie der Schädlichkeiten] und 1991 gründet u.a. Semprun die Editions de l‘Encyclopedie des Nuisances. Der Fokus liegt auf einer Kritik an der industriellen Gesellschaft und ihren falschen Kritikern (den Linken, Bürgerbewegungen und dem staatlichen Umweltaktivismus). Sie begannen im Jahr 1984 damit eine Wörterbuch der Schädlichkeiten zu erarbeiten, dabei kamen sie nie über den Buchstaben A hinaus und legten das Projekt 1992 nieder. Der folgende Text über den Katastrophismus kann auch so verstanden werden, dass die Rekuperierung des Themas der Naturzerstörung durch die Macht, ihr eigenes Projekt eines Wörterbuchs überflüssig machte - sie somit ihre eigene kritisches Projekt angreifen, um ihre Kritik auf die bestehenden Verhältnisse zu beziehen. Mit der Analyse des (staalichen) Katastrophismus beziehen sie sich direktauf die zeitgenössischen falschen Kritiker und sind nicht sparsam mit (latenter) Kritik. Nach einer spanischen und englischen Übersetzung wird dieser Text hier das erste mal auf deutsch publiziert.

Die Herrschaft von Staat und Kapital zeigte nicht nur in den letzten Jahrzehnten immer wieder „krisenhafte“ Schübe in der sie ihre Macht verteidigen und ausweiten konnte, sondern die Katastrophen wurden für die Herrschaft verwaltbar - und man muss erkennen, dass die Prophezeiung einer Katastrophe für die Herrschaft elementar wurde, um immer wieder aufs Neue einen Ausnahmezustand zu legitimieren. Die Katastrophe kann die drohende Klimaerwärmung sein, aber auch ein drohender Faschismus, oder eben ein Virus - dabei sollte sich von selbst verstehen, dass eine Kritik am staatlichen Katastrophismus nicht gleich bedeutend mit einer Negierung der Existenz von Katastrophe ist. Durch die Bürokratisierung der Katastrophe werden die Ursachen losgelöst von den gesellschaftlichen Verhältnissen behandelt. Eine potenziell radikale Kritik bspw. an der Umweltzerstörung wird lediglich zu einer Verfeinerung der Ausbeutung (weil sie der Macht hilft Auswege zu finden, wenn man sie nicht komplett negiert). Aber vor allem wird ein „staatlicher“ Kollektivismus genährt, welcher jeden zumindest suspekt, wenn nicht gefährlich macht, der nicht seinen Lebensstil und sein Handeln unterordnet. Der Staat und seine Befürworter propagieren eine Massenkonformität und Massenhaftigkeit, welche das Individuum eliminieren soll und die Herrschaft stabilisiert. Die Unkontrollierbaren, Unvernünftigen oder wie auch immer sie genannt werden, die sich nicht einer Masse einverleiben lassen, müssen eingeordnet und in Zaum gehalten werden. Die Linke spielt hier die Rolle für die Herrschaft und eine Massenhaftigkeit der Durchsetzung der Macht, indem sie radikale Abweichungen zumindest anprangert, wenn nicht sogar die Befehle aktiv durchsetzt. Heute zeigt sich diese Massenhaftigkeit (oder auch Massenpsychose) zugespitz als „sanitäres Diktat“, in der die Norm von Oben, auch mit Hilfe der Linken durchgesetzt wird.

Das Fehlen einer revolutionären Perspektive, einer revolutionären Antwort auf die Zerstörung und das Elend, verleitet Viele dazu, ihren Beitrag zu leisten, dass die Gesellschaft zu einem „Waldbrand“ oder „Krankenhaus“ wird, in der die Verwaltung von Oben nach Unten - ein permanenter staatlicher Ausnahmezustand - stattfindet: von einem Notstand in den Anderen. Der folgende Text kann dabei helfen eine revolutionäre Kritik an den Zuständen zu formulieren, oder zumindest kann er dabei helfen sich in wirren Zeiten etwas besser zu orientieren.

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THE LAW

Titel: THE LAW
Untertitel: zu deutsch: das recht, gesetz, rechtssystem, gericht, die bullen, vorschrift
Datum: ca. 2010
Quelle: Indymedia Schweiz (down) / https://law.arachnia.ch/index.php?option=com_content&view=article&id=315:die-libertaere-aktion-winterthur&catid=38&Itemid=101

dies ist eine kritik am flyer [1] „die libertäre aktion winterthur; deine ansprechpartnerin für anarchistische theorie und praxis“ (link: hier [2]). sie soll dazu anregen, die „anarchistischen“ strukturen, gruppierungen und ideologien zu hinterfragen und bereits vorhandene diskussionen zu vertiefen. diesem versuch spaltung vorzuwerfen, wiederspiegelt nur den kritisierten massenglauben und wiederholt die aufrechterhaltung des linken einheitsbreis, die der erhaltung des sozialen friedens dient. hier wird nicht behauptet, dass dieser text eine umfassende und kritikfreie analyse ist, falls so etwas überhaupt möglich sein sollte. es geht darum, neue gedankengänge zu provozieren und mit der vorherrschenden vagheit zu brechen.

die grundstruktur des genannten flyers ist fogende: die libertäre aktion winterthur (LAW) möchte eine ansprechpartnerin für an anarchistischer theorie und praxis interessierte darstellen. es wird klargestellt, wie auf dieses angebot zugegriffen werden kann und was dabei zu erwarten ist. zu diesem zweck wird versucht eine komplette theorie auf einem knapp zwei A4 seiten langen flyer darzulegen. zum abschluss wird die umsetzung der theorie in die praxis mit einigen wenigen beispielen in klaren grenzen gehalten.

die LAW scheint davon auszugehen, dass die menschen, die immerhin selbstständig genug denken können, um zu erkennen, dass sie sich mit anarchistischer theorie auseinandersetzen und diese auch ausleben wollen, noch stets einer starken führung bedürfen. eine überlegung, die uns nur allzu bekannt vorkommt. seien es die jetzigen zustände in der politik, die durch medien vorgefertigten meinungen (egal ob links oder rechts), die nur noch übernommen und als die eigenen vermarktet werden müssen, die ökonomischen strukturen oder die propagandierung reformistischer, sozialistischer, kommunistischer oder moralischer parolen - überall ist die idee der starken, bewussten, aufgeklärten, zivilisierten, bemittelteren, hierarchisch höher gestellten, die den schwachen, unbewussten, unaufgeklärten, unzivilisierten, minderbemittelten, unterdrückten zeigen wo‘s lang geht vorhanden. wer in dieser umgebung gross geworden ist, hat das freie, selbstbestimmte denken nie gelernt und es ist auch besser, es dabei zu belassen: nur so kann sicher gestellt werden, dass die revolution so verläuft, wie sich die aufgeklärten vorreiterinnen das vorstellen.

der gesamte text ist so geschrieben, dass er möglichst „die massen“ ansprechen soll und für diese einfach zu verarbeiten ist. ein beispiel ist die folgende textstelle: „selbstverständlich bevorzugen wir ein leben im relativen wohlstand in der schweiz, und auch wir sehen die vorteile, die eine so genannte demokratie gegenüber einer diktatur bietet.“ diese populistische und zugleich reformistische aussage kann nur so verstanden werden, dass jene menschen nicht abgeschreckt werden sollen, die zwar eine änderung wollen, aber es eigentlich auch ganz bequem finden, weiterhin von ihren privilegien zu profitieren. es wird nur die relativität des fortschritts, jedoch nicht sein vorhandensein an sich in frage gestellt. ein weiteres beispiel dafür: „auch werden die typischen probleme unserer heutigen gesellschaft -rassismus, und antisemitismus, sexismus und homophobie, konkurrenzdenken und krieg- ihrer ökonomischen grundlagen beraubt und damit realistischerweise aufhebbar.“ damit wird eine komplizierte realität auf eine oberflächliche kritik herunter gebrochen, um sie für alle zugänglich und konsumierbar zu machen. sich darauf einzulassen heisst einerseits, eine stark vereinfachte und somit zu kurz greifende systemkritik zu verbreiten. anderseits wird deutlich, dass durch das bereitstellen von einfachen „antworten“ die eigeninitiative zu einer tiefgründigen auseinandersetzung mit sich selbst, dem herrschenden und revolutionären perspektiven nicht angestrebt wird. die möglichkeit zur freien entfaltung und vereinigung von individuen wird nicht nur nicht in betracht gezogen, sondern für angeblich übergeordnete notwendigkeiten aufgeopfert. solche populistische, vereinfachte, ja sogar manipulative propaganda kann nur darauf ausgelegt sein, dass grundlegende veränderungen allein durch von avantgardistinnen geführte massen passieren sollen. in einer anarchistischen analyse, die schon durch den namen herrschaftsfrei zu sein hat, hat eine solche ansicht nichts verloren.


es gibt noch einige textstellen, die darauf hinweisen, dass die LAW sich als organisation „professioneller aktivistinnen“ sieht und diese position einer organisation auch nach der revolution als unumgehbar und notwendig empfindet: ein technischer fortschritt und möglichst gleichmässige aufteilung von unbeliebter arbeit wird forciert (duden: forcieren: etwas mit nachdruck betreiben, vorantreiben, beschleunigen, steigern. forciert: gewaltsam, erzwungen, gezwungen, unnatürlich); wir werden im „wahrhaft demokratischen wirtschaftsmodell“ leben; entscheide werden von unten nach oben stattfinden; jeder person wird ein möglichst hohes mass an entscheidungen über ihr alltägliches leben in der kommune eingeräumt; bei unzufriedenheit mit beschlüssen steht einem jederzeit die möglichkeit offen, die kommune zu verlassen. wie eine solche (über-)organisation aussehen sollte, wird auch gleich klargestellt: sie wird die verschiedenen kämpfe auf ein allseitig anwendbares ideologisches fundament stellen und eine gesamtheitliche strategie entwickeln, die sicher stellt, dass sich die taktiken nicht im widerspruch zur ideologie und zu sich selbst befinden. um hier noch die angestrebte machtposition und unantastbarkeit der organisation zu verbergen, hilft es auch nichts, wenn weiter hinten im text beteuert wird, dass diese strategie keine unbegrenzte gültigkeit hat und für eine herrschaftslose gesellschaft gekämpft wird. wiederlegt wird diese behauptung spätestens im nächsten abschnitt, in dem „die revolutionäre disziplin den assoziierten menschen verbietet, politische aktivitäten zu betreiben, die im widerspruch zur ideologischen oder strategischen linie der organisation stehen“. kann dies anders verstanden werden, als dass der organisation totaler gehorsam gehört und am besten auch keine fragen gestellt werden sollen? jeder weitere versuch, das eigene programm als anarchistisch darzustellen, scheitert kläglich bei der verwendung der begriffe föderaler aufbau, basis und mitglied, beim eingeständniss, dass die eigene meinung optimalerweise gerade noch dazu berechtigt ist, den endgültigen beschluss mitzuprägen und bei der unterscheidung von „intern“ und „extern“.

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Erich Mühsam – Idealistisches Manifest

AutorIn: Erich Mühsam
Titel: Idealistisches Manifest
Datum: April 1914
Quelle: Erich Mühsam - Trotz allem Mensch sein. Gedichte und Aufsätze. Hg. Jürgen Schiewe und Hanne Maußner. Philipp Reclam jun. Stuttgart 1984, ISBN 3-15-008238-2, S. 99-105.

Wer mit dem Blick auf zeitlose Weiten neue Moral, neue Gerechtigkeit, neue Menschlichkeit zum Inhalt seines Strebens macht, der weiß aus unzähligen Erfahrungen, daß er mißverstanden wird. Es ist fast notwendiges Schicksal seiner Überredungskunst, selbst bei Menschen von Verstand, Kritik und gutem Willen Kopfschütteln und Achselzucken zu erregen. Denn jede Agitation, deren Absicht nicht zeitlich begrenzt ist, steigt unbekümmert und rücksichtslos über praktische Bedenklichkeiten hin. Für bürgerliche – das heißt gegenwartsbesorgte – Naturen ist das Ziel immer der nächste Schritt. Wer aufs Ideal steuert, „schießt über das Ziel hinaus“. Den Weg zu einem Ziele nicht in jeder Kurve kennen, das Werkzeug zu einem Kampfe nicht auf jede Gefahr erprobt haben, das bewirkt die Zweifel, das Warnen, das Bangemachen und selbst den gewalttätigen Widerstand gegen Tendenzen, gegen deren Ehrlichkeit garnichts eingewandt wird. Aber wer im reinen Gefühl die Wahrheit weiß und in kluger Skepsis von ihr abläßt, den heiße ich einen Lumpen.

Hier ist mein idealer Zweck – da sehe ich das Mittel, ihn zu erfüllen: was kümmert mich die Chamade der Vorsichtigen? Naturwissenschaftler, Volkswirtschaftler, Historiker, Geographen, Politiker und Kaufleute sollen hundertmal recht haben, – mein Gefühl, das seine Wege kennt, können sie nicht widerlegen. Ich will den Völkerfrieden, weil er mich gut dünkt. Ich weiß, er wird sein, wenn die Arbeit der Menschen nicht mehr für den Krieg steuert, wenn die Soldaten sich weigern, ihresgleichen zu töten, wenn der Wille der Völker auf Frieden aus ist. Ich will Sozialismus und Anarchie. Ich weiß sie möglich, wenn Arbeit und Verbrauch auf gerechten Ausgleich gebracht sind, wenn Ordnung und Friedfertigkeit in den Menschen Leben gewonnen haben, wenn Autorität und Gehorsam, Herrschaft und Knechtschaft aus der Gewohnheit der Völker gewichen sind. Sie werden weichen, wenn allenthalben aus der Sehnsucht nach Freiheit der Wille zur Freiheit geworden ist. Ich will Kultur und Kunst Gemeingut der Völker wissen. Sie werden es sein, wenn der Geschmack der Besten sich Allen mitgeteilt hat, wenn die Ethik der Massen sich zum Anstand geformt hat, wenn aus Zwang und Strafe Rechtlichkeit und Verständigung geworden ist.

Aber für den Frieden sind alle Vorbedingungen nicht erfüllt. Die Völker haben ein natürliches Expansionsbedürfnis und bedrohen die Grenzen ihrer Nachbarn. Gehorsamsverweigerung, Generalstreik, Revolution ziehen entsetzliche Strafen nach sich. Der Gedanke, das Raubtier Mensch werde in Ordnung und Verständigkeit miteinander auskommen, der Geschmack der rohen Masse könne umgeformt werden, Freiheit werde jemals etwas anderes sein als eine schöne Phrase, ist absurd und kindlich. Schon die Formulierung deiner Ideale ist ein Beweis, wie unabwendbar und naturgewollt alle die Einrichtungen sind, die du bekämpfst. Bitte: ich fordere nicht auf, – ich bekenne. Und ich suche meine Gefühle, die mir Wahrheiten sind, in das Gefühl der Nebenmenschen zu verpflanzen. Verstandeskühle Einwendungen können richtig oder falsch sein, – an der Erkenntnis dessen, was gut und recht ist, prallen sie ab.

Das also ist das Wesen der Agitation: auszusprechen, was subjektiv wahr ist, die Energie der andern nach der Richtung zu beeinflußen, die zu erstreben ist. Was die stärkste Energie – Weniger oder der Menge – wollen wird, das wird die Zukunft sein. Unmittelbare praktische Wirkungen gelten nicht allzuviel. Sie sind nur wertvoll als Symptome eines neuen Geistes, der unterirdisch im Werden ist. Der neue Geist aber entsteht heimlich und unbeobachtet, langsam und viel später, als sein Same gestreut ist. Wenn er zuerst in einem Gedanken, einer Tat, einem Kunstwerk oder einer Erkenntnis plötzlich aus dem Boden schießt, dann ist sein Ursprung längst nicht mehr zu entdecken, dann hat er gewirkt, als ob er selbstverständlich und ohne Rausch wäre.

Plötzlich ist eine neue Bewegung da, überraschend, scheinbar aus dem Nichts gestampft. Sie zieht Kreise, wächst, wirkt, aber ihre Herkunft ist verschollen. Aller Fortschritt ist diskreter Geburt, denn er stammt vom heiligen Geist, er stammt aus der Sehnsucht und der Bitternis vergangener Idealisten. Freilich sieht jeder Erfolg des Idealismus anders aus als seine Werbung. Was daraus eingeht in das Leben des Menschen, sind Anpassungen an geltende Verhältnisse, sind nichts weiter als Entwicklungsfaktoren. Gerade darum aber müssen die Forderungen an die Welt so schroff wie möglich gestellt werden, muß stets das denkbar Äußerste verlangt werden, ohne Rücksicht auf die Aussichten der Verwirklichung. Nur die ideale Forderung in ihrem weitesten Umfange schafft Fortschritte im engen Kreise. Die Utopie ist die Vorbedingung jeder Entwicklung.

Die Entwicklung hat mit dem Abrollen der Jahre nichts zu tun, nicht nur, weil uns die Irrealität der Zeit bewußt ist, sondern weil uns die Geschichte der Vergangenheit lehrt, daß die vorgeschrittene Jahreszahl keine Gewähr gibt für höhere Kultur und tieferen Menschenwert. Einsichten und Sitten entstehen und verschwinden mit dem Werden und Vergehen der Generationen. Nie wird die Zeit kommen, die keiner Revolution bedürfte. Dennoch wollen wir unser Weltbild gestalten nach dem Ideal der Vollkommenheit, und das können wir, wenn wir den Blick aufs Künftige, und das ist aufs Ewige, gerichtet halten. Und wir wollen uns freuen, wenn irgendwo aus dem Geschehen der Zeit eine Blüte treibt, in der wir verwandelt und verdünnt den Keim unserer Werbung erkennen.

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Max Stirner – Einiges Vorläufige vom Liebesstaat.

AutorIn: Max Stirner
Titel: Einiges Vorläufige vom Liebesstaat.
Datum: 1844
Quelle: Berliner Monatsschrift. Hrsg. v. Ludwig Buhl. Erstes und einziges Heft, Juli 1843. (Selbst-Verlag) Mannheim 1844, pp. 34-49.

Allbekannt ist das sogenannte Sendschreiben des Freiherrn von Stein. Man hat daraus die Meinung gefaßt, daß die später eintretende Reactionsperiode sich den im Sendschreiben ausgesprochenen Grundsätzen entfremdet und einer andern Sinnesart zugewendet habe, so daß der Liberalismus vom Jahre 1808 nach kurzer Dauer in einen bis auf unsere Tage hinausgezogenen Schlaf gesunken sei. An dem angeblichen Verkennen jener Principien läßt sich jedoch zweifeln, und es müßte auch schon äußerlich sehr auffallend erscheinen, daß dieselben kraftvollen Menschen, welche wenige Jahre zuvor unter den stürmischesten Umständen eine freisinnige Ansicht aufstellten, kurz darauf so ohne weiteres von [35] ihr abgefallen sein sollten, um einen entgegengesetzten Weg einzuschlagen. Hat man es doch endlich erkannt, daß die langgehegte Meinung, die französische Revolution sei durch das Umschlagen der Napoleonischen Kaiserherrschaft sich selbst untreu geworden, auf einem Urtheil und oberflächlichen Urtheil beruhe; warum sollte nun nicht zwischen dem Stein’schen Liberalismus und der spätern, sogenannten Reaction ein ähnlicher Zusammenhang stattfinden? Sehen wir das Sendschreiben darauf hin etwas näher an.

Zwei Zielpunkte hat, wie sogleich in die Augen springt, Stein mit der französischen Revolution gemein, nämlich die Gleichheit und Freiheit, und es kommt nur darauf an, wie er die eine und andere bestimmt.

Was zunächst die Gleichheit betrifft, so erkannte er, daß die Uebermacht der um ihres Standes willen Bevorzugten, der Privilegirten, gebrochen werden, und an die Stelle der Vielherrschaft eine vollständige Centralisation treten müsse. Daher sollte diejenige “Erbunterthänigkeit”, welche über die Unterthanen des einen Herrn, des Königs, noch viele kleinere Herren herrschen ließ, [36] ein Ende nehmen; nur die Eine Erbunterthänigkeit Aller sollte bleiben und gerade durch die Entsetzung der vielen Herren gestärkt werden. Gleicher Weise sollte die “Polizeige-walt” Einzelner verschwinden, damit Eine Polizei über alle Unterthanen wache. Die “Patrimonialge-richtsbarkeit”, wenigen durch alte Gerechtsame Bevorzugten gehörig, sollte durch Eine monarchische Justiz abgelöst werden, und die Richter allein “von der höchsten Gewalt abhängen.” Durch diese Centralisation wird das Interesse Aller auf Einen Punkt hingezogen, auf den König: man ist fortan nur ihm unterthan, ohne sonstige Erbunterthänigkeit gegen andere Unterthanen des Königs; man steht nur unter Seiner Polizeigewalt; man empfängt nur von fürstlicher Justiz den Rechtsspruch; man hängt nicht mehr vom Willen der “höher Geborenen” ab, sondern allein von dem der “höher Gestellten” d. h. derer, welche der König um seinen Willen zu vollziehen, an Seiner Statt einsetzt und über diejenigen stellt, für welche sie in Seinem Namen zu sorgen haben, der – Beamten. – Die Lehre von der Gleichheit, wie sie in dem Sendschreiben vorliegt, [37] kommt also darauf hinaus, Alle auf das gleiche Niveau der Unterthänigkeit zu bringen. Kein Unterthan des Königs sei in Zukunft zugleich der Unterthan eines Unterthanen; die Standesdifferenzen der Abhängigkeit seien ausgeglichen, und Eine Abhängigkeit die allgemeine.

Diesen Grunsatz der Gleichheit kann man unmöglich mit dem der französischen Revolution verwechseln. Die letztere verlangte eine Gleichheit der Bürger, die des Sendschreibens eine Gleichheit der Unterthanen, eine gleiche Unterthänigkeit. Einen geeigneten Ausdruck findet jener Unterschied auch darin, daß die im Sendschreiben verlangte “Na-tionalrepräsentation” die “Wünsche” der nivellirten Unterthanen vor den Thron bringen soll, während in Frankreich die Bürger mittelst ihrer Repräsentanten einen “Willen”, freilich nur einen Bürgerwillen, keinen freien, haben. Der “Unterthan” darf mit Recht nur “wünschen.”

Zweitens will aber das Sendschreiben nicht blos die Gleichheit, es will auch die Freiheit Aller. Daher der Aufruf: “Sorget, daß Jeder,” (mit diesem Worte wird die Gleichheit der Unterthanen [38] ausgedrückt) “seine Kräfte frei in moralischer Richtung entwickeln könne.” In moralischer Richtung? Was soll das heißen? Als Gegensatz kann die physische Richtung nicht gedacht werden, da das Sendschreiben ein “physisch und moralisch kräftigeres Geschlecht erzielen will.” Auch die intellectuelle Richtung wollte man wohl schwerlich von der moralischen ausschließen, da man die Wissenschaft ja möglichst begünstigte. Am einfachsten bleibt als Gegensatz der moralischen die unmoralische Richtung übrig. Unmoralisch ist aber ein Unterthan, wenn er aus dem Kreise seiner Unterthanen-Eigenschaften hinausgeht. Ein Unterthan, der im Staatsleben, in der Politik sich einen “Willen” anmaßte, statt des “Wunsches”, der wäre offenbar unmoralisch; denn in der Unterthänigkeit besteht allein der moralische Werth des Unterthanen: im Gehorsam, nicht in der Selbstbestimmung. So scheint also die “moralische Richtung” sich für unvereinbar mit der “spontanen Richtung”, der Richtung auf den freien Willen, auf Selbstständigkeit und Souverainetät des Willens zu erklären, und da das Wort “moralisch” auf die Verpflichtung hindeutet, so wird man [39] wohl eine Erweckung des Pflichtgefühls gewollt und dieß unter “freier Kraftentwicklung” verstanden haben. Ihr seid frei, wenn ihr eure Pflicht thut! ist der Sinn der moralischen Richtung. Worin besteht aber die Pflicht? Das Sendschreiben drückt sie klar und bestimmt mit den zur Devise gewordenen Worten aus: “In der Liebe zu Gott, König und Vaterland!” Frei in moralischer Richtung entwickelt sich, wer sich zu dieser Liebe entwickelt; der Erziehung war dadurch ihr bestimmtes Ziel gesteckt, sie war von Stund’ an eine moralische oder loyale, eine Erziehung des Pflichtgefühls, wohin natürlich auch die religiöse Erziehung gerechnet werden muß, weil auch sie die Pflicht gegen Gott einprägend, nichts anderes als eine moralische Erziehung ist. Und allerdings ist man moralisch frei, sobald man seine Pflicht erfüllt; das Gewissen, diese Gewalt der Moralität über die Immoralität, die Gebieterin des moralischen Menschen, sagt dem pflichtgetreuen Menschen, daß er recht gehandelt habe: “mein Gewissen sagt mirs!” Darüber freilich, ob die befolgte Pflicht wirklich – Pflicht sei, sagt das Gewissen nichts; es spricht nur, [40] wenn das, was für Pflicht gilt, verletzt wird. Daher empfiehlt das Sendschreiben, das Gewissen zu wecken, die Pflicht “gegen Gott, König und Vaterland” einzuschärfen, den religiösen Sinn des Volkes zu beleben und die Erziehung und den Unterricht der Jugend zu pflegen. – Dieß ist die Freiheit, mit welcher nach dem Sendschreiben das Volk beglückt werden soll: die Freiheit in der Pflichterfüllung, die moralische Freiheit.

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Anonym – Wer aber von »Impfdiktatur« nicht reden will, sollte auch von »Coronaleugnern« schweigen.

AutorIn: Anonym
Titel: Wer aber von »Impfdiktatur« nicht reden will, sollte auch von »Coronaleugnern« schweigen.
Datum: 15.07.2021
Quelle: Entnommen am 15.10.2021 von https://giftschrank.noblogs.org/post/2021/07/15/wer-aber-von-impfdiktatur-nicht-reden-will-sollte-auch-von-coronaleugnern-schweigen/

[Bereits vor Monaten geschrieben, (beinahe) veröffentlicht, dann aus irgendwelchen, heute unerfindlichen Gründen wieder zurückgezogen, bevor auch nur ein Exemplar verteilt wurde; und kürzlich aus dem Anlass einer Begegnung mit einem „Antifa“ am Rande einer Demo von Impfgegner*innen wieder gelesen, immer noch für relevant empfunden und daher nun erneut/endgültig veröffentlicht. Eine Abrechnung.]


Vollständige, unbeschwerte Freiheit gibt es nur mit Impfen. Ohne Impfen keine Freiheit – jedenfalls nicht so in der Form, wie wir es uns vorstellen.

Markus Söder, ein Mann, der von Freiheit keine Ahnung hat

Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: „Ich bin der Faschismus.“ Nein, er wird sagen: „Ich bin der Antifaschismus.“

Ignazio Silone, Antifaschist und Kommunist, zitiert nach Francois Bondy

Warum nur, hatte die Antifa noch einmal das Robert-Koch-Institut nicht auf dem Schirm? Hat es ja bis heute nicht, sondern übte und übt sich vielfach sogar in seiner Verteidigung. Eine äußerst rätselhafte Angelegenheit: Schon die Benennung nach dem kolonialen Folterknecht Robert Koch sollte doch eigentlich den*die politisch korrekte Antifaschist*in zumindest auf die Palme bringen und was ist aus antifaschistischer Sicht erst zu einer Organisation zu sagen, die zentral am Holocaust und an den grausamen medizinischen Experimenten in den KZs beteiligt gewesen ist? Nun, wie es scheint, hat man da aus antifaschistischer Sicht entgegen aller Erwartungen doch nicht allzu viel einzuwenden. Wohl aber gegen jene, die dann doch etwas dagegen einzuwenden hatten, als das Dreiergespann aus RKI/WHO, Politik und WEF (ja, jenes World Economic Forum, das uns noch aus der Hochzeit der Antiglobalisierungsbewegung ein Begriff ist) vor über einem Jahr vor die Kameras sensationsgeiler Journalist*innen trat und verkündete, dass der Mensch dem Menschen von nun an ein Virus wäre und man deshalb folgerichtig die ganze Welt in ein Freiluftgefängnis verwandeln würde. »Coronaleugner«, »Schwurbler«, ja sogar »Faschisten« nannte man sogar jene Anarchist*innen, die sich der Sklavenmoral der maskentragenden, daheimgebliebenen, im Virenkrieg zur Abwesenheit mobilisierten Untertanen verwehrten und dabei in Taten und Worten den Vorschlag unterbreiteten, jenes Grenzregime weiter anzugreifen, das seine Checkpoints bis weit ins Landesinnere ausgeweitet hatte und sie dort nicht nur mit Soldat*innen und Polizist*innen, sondern auch mit Gesundheitsbehörden-Bürokrat*innen, Ärzt*innen, Wissenschaftler*innen und Denunziant*innen besetzt hatte.

Diesen Verleumdungen etwas zu entgegnen wäre mit Sicherheit verschwendete Mühe, es ist ja auch nicht so, dass es nicht bereits genügend Entgegnungen auf derart billige Diffamierungsversuche gegeben hätte, von denen meines Wissens nach bislang auf keine einzige jemals wieder geantwortet wurde. Die Zeit der Diskussionen scheint endgültig vorbei zu sein. Auch gut, endlich ist er da, der Bruch mit der Linken, es wurde ja auch Zeit. Und doch kann man nicht umhin überrascht zu sein, dass gerade in jenem Moment, in dem der Faschismus hinter seiner bürgerlichen Maske gewaltiger hervorblinzelt als selbst in Tagen rassistischer Pogrome (so sagt man doch, in der neomarxistischen Terminologie, oder?), jene Antifaschist*innen, die den Antifaschismus – und wer außer irgendwelchen noch verblödeteren Spinnern ist eigentlich nicht Antifaschist*in – zu ihrem Hobby, respektive Beruf erhoben haben, jene die das Antifaschist*in sein zu einer identitären Angelegenheit erhoben haben, jene die dazu neigen, an irgendwelchen Gedenktagen den Schwur von Buchenwald („Nie wieder Krieg – Nie wieder Faschismus“) herunterzubeten, als würden sie einen Rosenkranz aufsagen, sich in die virtuelle Marschordnung der Massen einreihen würden (aber in Zeiten der Massenmedien braucht eine Masse nun einmal nicht physisch zusammenzutreten), während es sogar einige ideologisch dem Nationalsozialismus nahe stehende Individuen dann doch ein wenig gruselt, beim Anblick dessen, was sie da immer als die ihre Sache verfochten hatten. Es wundert dabei vor allem, dass der Faschismus, so sehr er auch Kampfbegriff sein mag, doch soweit nicht begriffen wurde, dass er ein Phänomen der Massen ist, dass selbst wenn all die »Coronaleugner« tatsächlich Faschist*innen wären, was natürlich ein von Staat und Linken gleichermaßen verfochtenes ideologisches Hirngespinst bleibt, die von ihnen ausgehende, reale faschistische Bedrohung weit hinter dem zurückbleibt, was der von der Antifa weitestgehend gerechtfertigte und sogar verteidigte Staat im pandemischen Ausnahmezustand bereits repräsentiert und zur Anwendung bringt. Dass etwa Grenzen geschlossen, Flüchtende abseits der Blicke jener, die sich in ihren Wohnungen selbst eingesperrt hatten, vermehrt ins Meer zurückgestoßen wurden und dort verreckten, dass sich die Lage in den Lagern um die Außengrenzen der »Festung Europa« (eine nationalsozialistische Erfindung, die von der EU mit FRONTEX perfektioniert wurde) dramatisch verschärft hat, dass jene, die in Deutschland und anderswo ohne Papiere lebten aufgrund des Lockdowns gezwungen waren, ihre Existenz mehr als je zuvor aufs Spiel zu setzen, weil Schwarzarbeit ebenso wie weniger schwer kriminelle Wege der Geldbeschaffung von einem Tag auf den nächsten verunmöglicht wurde, ja dass selbst die dramatisch angestiegene sexuelle und nichtsexuelle häusliche Gewalt von jener selbsternannten antifaschistischen und antisexistischen Avantgarde mit »Durchhalteparolen« abgebügelt wurde, es beweist nicht nur die Privilegiertheit der Mitglieder einer vorrangig akademisch geprägten und orientierten, bürgerlichen Mittelschichts-Subkultur, deren Zweck es vor allem zu sein scheint, wissenschaftliche Karrieren hervorzubringen, die ich ja niemandem zum Vorwurf mache, außer sie*er ruht sich eben auf ihr aus, was immer eine Entscheidung ist, sondern vor allem auch, wie wenig selbst hinter einem ihrer zentralen Dogmen »Nie wieder Faschismus« wirklich steht.

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Anonym – Warum ich kämpfe – und warum nicht…

AutorIn: Anonym
Titel: Warum ich kämpfe – und warum nicht…
Datum: Juni 2019
Quelle: Entnommen aus: Revolte Nr. 42, Jahrgang IV, Juni 2019 Wien.

In unzähligen Diskussionen – und noch schlimmer: in den täglichen Aktivitäten von Vielen – kommen die Beteiligten immer wieder auf den selben Punkt. Der Suche nach Leuten, für die man kämpfen kann und denen man mit seinem kümmerlichen Aktivismus „helfen“ könne. Früher wurde das von anderer Seite bereits polemisch als die „Suche nach dem politischen Subjekt“ benannt, egal ob es sich dabei um „die“ Frauen, „die“ Geflüchteten“, „die“ Arbeiter*innen oder was auch immer handelt.

Dabei wird schnell deutlich, dass „die“ nicht alle gleich sind und vor allem nicht die gleichen Gründe und Motivationen für einen gemeinsamen Kampf haben, denn „die“ existieren lediglich als konstruierte soziale Kategorie. Jeder Mensch ist individuell unterschiedlich und hat dementsprechend andere Ansätze, Erfahrungen und Perspektiven. Wie dem auch sei, natürlich gibt es immer wieder gemeinsame Kämpfe und Momente und das ist auch gut so. Aber die Betonung muss hier auf „gemeinsam“ liegen. Ich bin auf der Suche nach Kompliz*innen, mit denen ich zumindest teilweise Analysen teile und vor allem Zugänge zum Kämpfen. Ich will diese Zivilisation und ihre Gesellschaft, ihre Wirtschaft und ihre Autorität, all ihre auf Waren beruhenden Beziehungen, in Trümmern liegen sehen und dazu brauche ich Verbündete und keine „Opfer von irgendwas“, denen ich helfen kann und im schlimmsten Fall mit den Herrschenden in Dialog treten muss, um Rechte oder „Verbesserungen“ zu beantragen.

Bei dieser weit verbreiteten Suche nach „politischen Subjekten“ passieren mindestens drei Dinge:


1. die „politischen Subjekte“ werden zwangsläufig viktimisiert, d.h. in eine Opferposition gesetzt (auch wenn das rhetorisch und sprachlich natürlich weitestgehend vermieden wird). So werden um vielleicht eines der besten Beispiele zu nennen, Leute idealisiert, die in Scheiß-Jobs arbeiten und womöglich werden ihnen irgendwelche obskuren Ideen vom Kommunismus und dem Ende der Lohnarbeit durch Automatisierung in Aussicht gestellt – oft von Student*innen oder irgendwelchen anderen Leuten, die in keinster Weise die Lebensrealität von denen teilen, die sie damit erreichen wollen. Wenn man diesen Blick auf Menschen hat, wundert es kaum, dass ein Zusammenkommen auf Augenhöhe nicht stattfinden kann. Und eine Revolte, die auf die Zerstörung all dessen abzielt, was uns von unserer Freiheit trennt, muss zwangsläufig die Zerstörung der einschränkenden sozialen Rollen beinhalten, so dass sich Alle abseits von sozialen Normen und Kategorien so entfalten können, wie sie es wollen. Diese Viktimisierung bestimmter Individuen nützt weder denen, die sie erfahren, noch denen die sie betreiben, sondern lediglich der Reproduktion der bestehenden Trennung zwischen Individuen, die andernfalls Kompliz*innen werden könnten.


2. meine eigenen Kämpfe werden damit aus meiner Hand genommen, ich kämpfe „für“ jemand anders und nicht „mit“ jemand anders zusammen. Wenn ich an der Zerstörung des Komplexes Gefängnis interessiert bin, dann deshalb, weil es ein tagtäglicher Teil meines Alltags ist, auch wenn ich mich nicht tagtäglich innerhalb von Gefängnismauern bewege. Aber die Drohung dieses physischen Ortes ist in dieser Gesellschaft allgegenwärtig und als Anarchist*in nicht vernachlässigbar. Denn meine Aktivitäten richten sich natürlich u.A. gegen das „herrschende Gesetz“ und daher ist die Möglichkeit des Eingesperrtwerdens eine immer präsente Option in meinen Kämpfen. Auch gilt diese Drohung an alle Unangepassten, Kriminellen, usw. Natürlich so lange, wie Individuen hinter Mauern gefangen genommen werden und daher können wir alle nicht frei sein, solange es den Komplex des Gefängnisses gibt. Das ist der Grund für meine Revolte dagegen, nicht weil ich bessere Haftbedingungen für XY bei den Herrschenden erbetteln will oder will, dass eine bestimmte Gruppe nicht in den Knast muss. Sonder dass niemand in den Knast muss, allem voran ich selbst nicht.


3. Diese „Aktivist*innen der Anderen“ laufen damit immer irgendeiner sozialen Kategorie, einem Ort, einer Zeit hinterher und vergessen dabei, dass der beste Kampfplatz der Ort ist, an dem sie sich gerade befinden (also ihr Leben). Und dass die beste Zeit Jetzt ist. Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass es überall und zu jeder Zeit möglich ist, zu kämpfen und für etwas Wirbel zu sorgen, unabhängig davon, ob ich gerade viele Kompliz*innen an meiner Seite habe oder ob ich allein handeln muss/will. Die Art und Weise wie das aussieht und die Intensität mit der Kämpfe von Anderen aufgegriffen und weitergetragen werden, ist aber sicher vom momentanen Kontext abhängig und keinesfalls uninteressant.


Ich bin nicht der Meinung dass „jede*r ihres/seines eigenen Glückes Schmied*in ist“, wie dieses Sprichwort behauptet. Zumindest nicht, was den gleichen Zugang zu Ressourcen (materiell oder nicht) in dieser verschissenen Welt angeht. Dieses Sprichwort hat nur insofern einen Wert, als dass es darauf ankommt, ob ein Individuum gegen seine/ihre Lebensbedingungen rebelliert oder nicht – sprich eine aktive oder eine passive Rolle im Leben und im Kampf einnimmt.

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