Dies ist die erste Ausgabe der von nun an unregelmäßig erscheinenden
bilingualen anarchistischen Zeitung Antisistema. Die Zeitung bietet Raum
für anarchistische Analysen, Diskussionen und Dokumentationen von
Angriffen auf Herrschaftsstrukturen.
Wir werden die PDFs der Zeitung von nun an in deutsch und englisch
online stellen und regen dazu an diese dezentral zu drucken, verbreiten
und zu diskutieren.
Kontakt: anti-sistema at riseup.net
Blog: antisistema.blackblogs.org
Inhaltsverzeichnis:
– Editorial
– Für mehr fröhliche Tollkühnheit
– Für einen entschlossenen Kampf gegen die industrielle Zerstörung der Erde!
– Die Frage der sozialen Revolution mit der Frage der Ökologie zu verknüpfen
– Der beste Angriff ist nicht die Verteidigung
– Auf Worte folgen Taten
Editorial:
Das (Un-)Bewusstsein des Einzelnen und seine mehr oder weniger freiwillige Teilhabe an der Gesellschaft ist das Triebwerk derselben. Die unzähligen Fragen und Zweifel, die man sich im Laufe des Lebens stellt, können überwältigend sein, und es ist nur schwer vorstellbar, sich von der vorherrschenden Vernunft zu lösen. Die Ideologie des Bürgers verhindert jede Entfesselung von Freiheit. Sich von den vorgeschriebenen Wegen der autoritären Gesellschaft zu entfernen, kann eine Frage des eigenen Willens sein – ist aber auch immer durch äußere Faktoren bedingt wie der Erfahrung des einzelne Individuum an seiner eigenen Haut ausgebeutet, reglementiert und gezüchtigt zu werden. Die Rebellion gegen jede Autorität und Erniedrigung mag gedanklich und weltweit als logische Schlussfolgerung erscheinen – ist es aber meistens nicht. Denn jedes hierarchische System ist mit einem ideologischen Kern verwoben. Unsere vermeintliche Hochkultur soll der Gipfel der wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, politischen und auch ökologischen Entwicklung sein. Sie scheint jedoch ganz praktisch viel eher die Vernichtung allen Lebens auf diesem Planeten zu bedeuten. Nichts ist mehr für die Zerstörung der Erde verantwortlich als der Industriekapitalismus, seine Fortschrittsideologie und die fortschrittsbesessene Menschheit in ihrer ganzen Komplexität, mit all ihren ineinander verwobenen Bedürfnissen, Sehnsüchten und Illusionen. Viele dieser Träume sollen nun durch die Doktrin der Technologie und Wissenschaft endgültig verwirklicht werden. Doch auf dem Weg zur fragwürdigen „Vollkommenheit“ wird sie eine Spur der langfristigen Verwüstung hinterlassen. Atommüll, Mikroplastik, Asbest, Krebs und ein umfassendes ökologisches Desaster sind die Folgen. Das herrschende industrielle System fabriziert tagtäglich die Zerstörung der Erde und des Lebens.
Innerhalb dieser Megamaschine gibt es kein lokal mehr, alles ist global – die Infrastruktur des und der Glaube an das kapitalistische Systems hält den gesamten Globus im Griff und die Strukturen des industriellen Systems werden sekündlich ausgebaut und zielen darauf ab die Gesamtheit des Lebens auf dem Planeten sowie unsere Körper und Gedanken zu kolonisieren. Die Strukturen des Daten- und Stromnetzes, der Transportwege von Waren und Rohstoffen, des Verkehrsnetzes, der Metropolen, der Fabriken, Gefängnisse und Technologietempel sind die Eckpfeiler und Adern des Systems, welches unser Überleben immer mehr in ein Schlafwandeln in digitalen Scheinwelten verwandelt und die Realität der Unterdrückung und Kolonisierung auf diesem Planeten in einem Wechselspiel aus Krieg, Ausnahmezustand und Katastrophe gefangen hält. Im Angesicht dessen wäre es lebensfeindlich, die Lethargie der Ausgebeuteten und Ausgeschlossenen zu schüren, um Schuldgefühle im Sinne der herrschenden Politik zu erzeugen. Das System kann nicht verbessert werden, es muss zerstört werden. Andernfalls bleiben nur verschiedene Formen moralischer Selbstgeißelung und Heuchelei (grüner Kapitalismus, vermeintliche Bio-Lebensmittel, usw.).
Deswegen stellt die Anarchie von der wir reden, das Problem der Zerstörung in den Mittelpunkt: Zerstörung all dessen, was uns am leben hindert, was uns einschränkt, was der Freiheit im Wege steht, was uns auferlegt wird, uns unterdrückt, geißelt, klein macht und regieren und verwalten will. Die Zerstörung und die Angriffe auf die Adern und Eckpfeiler des herrschenden Systems, sind nicht nur von physischer Natur, sondern zielen ebenso auf die uns umgebenden sozialen Beziehungen und Ideologien. Die Kritik der sozialen Beziehungen also bewaffnet unseren Geist und der Werkzeugkasten der Sabotage bewaffnet unsere Hände – und in einem verstreuten Konflikt kommen wir mit anderen Individuen zusammen, die ebenso darauf setzen das zu zerstören, was ihrer Freiheit im Wege steht. Diese verstreute Kampfkonstellation – mal alleine, mal in kleinen Grüppchen, mal koordiniert oder zu vielen – betont die Notwendigkeit sich selbst zu organisieren, um zum einen den eigenen Ideen Ausdruck zu verleihen, als auch diese und die eigenen Beziehungen zu überprüfen und in Zusammenhang mit den eigenen Perspektiven zu diskutieren und in Verbindung zu setzen. Denn was dem überall präsenten und verletzlichen Netz des Systems Schaden zu fügt und Brüche in der sozialen Realität der Unterdrückung provozieren kann, ist weder eine zentralisierte „Gegenmacht“, noch eine „kritische öffentliche Debatte“ oder ein Reformismus in anarchistischer Rhetorik. Stattdessen können zahlreiche verstreute Individuen und Gruppen, die sich ihren eigenen Wünschen und Feindlichkeiten entsprechend zusammen tun, um zerstörerische Angriffe auf die Nervenbahnen des Systems zu wagen, die Lethargie und Fäulnis der Unterwürfigkeit hinwegschwemmen, die soziale Unordnung vermehren und die Stabilität und Funktionalität der Ordnung unterbrechen.
Ein befreiender Vorschlag zur Selbstverantwortung, zur Überwindung der Zwangsverhältnisse kann also der gewaltsame Aufstand gegen diese Verhältnisse sein, um einen unmissverständlichen Ausdruck des offensiven Handelns gegen das bestehende System vorzuschlagen und umzusetzen.