[Nach einem ersten zusammenfassenden Statement über die aktuelle Situation von Boris, die am 28. Juli erschien – Die ärztlichen und juristischen Autoritäten stürzen sich auf Boris –, ist gerade ein weiterer Text erschienen, der etwas spezifischer auf die ärztliche Herrschaft eingeht, mit der der Gefährte konfrontiert ist…]
Der anarchistische Kamerad Boris war seit September 2020 für die Sabotage an zwei 5G-Mobilfunkmasten [1] während des ersten Lockdowns im Gefängnis von Nanvy-Maxéville inhaftiert gewesen. Er war bereits seit fast einem Jahr in Haft gewesen, als am Morgen des 7. August 2021 ein Brand in seiner Zelle ausbrach. Boris wurde daraufhin im Krankenhaus von Metz hospitalisiert, anschließend im Reha-Zentrum des Krankenhauses von Besançon. Momentan ist er auf der Palliativstation desselben Krankenhauses.
Meine erste Sorge wird es sein, die Gesundheit wiederherzustellen, zu bewahren oder zu fördern (in kursiv Auszüge aus dem hippokratischen Eid)
Seit Beginn seiner Hospitalisierung, und trotz der Rückfälle, verbessert sich der allgemeine Gesundheitszustand von Boris zusehends. Das hat die „Ärzteschaft“ des Krankenhauses von Besançon nicht daran gehindert zu entscheiden, dass es die Mühe nicht wert sei ihn im Fall einer erneuten Sepsis zu reanimieren, sowie jede therapeutische Behandlung einzustellen, die ihm eine Heilungschance verschaffen würde, und ihn in die Sterbeanstalt, was die Palliativstation nun mal ist, zu stecken. Seine aktuelle „Ärztin“, Elisabeth Batit, hat seinen Gesundheitszustand „evaluiert“ und hat entschieden, dass er „wenig Heilungschancen“ hätte, trotz des Umstands, dass seine positiven Entwicklungen dies unaufhörlich dementieren. Irren sich etwa die Ärzte? Viel schlimmer. Die Ärzte stützen sich, um ihre Diagnosen zu erstellen, auf Bilder, Untersuchungen, Analysen, ohne jemals sein klinisches Bild zu berücksichtigen, das sich von dem, was die Apparate sagen, stark unterscheidet. Das mechanisierte Bild hat mehr diagnostischen Wert als das reale Bild. Da es also die Maschinen sagen, ist Boris „unheilbar“ und deshalb lohnt es die Mühe nicht seinen Zustand zu verbessern!
Ich werde mein Wissen nicht gegen die Gesetze der Menschlichḱeit einsetzen
Außerdem blockiert Batit systematisch und absichtlich jede Überstellung an eine andere ärztliche Struktur, wo er bessere Heilungschancen hätte. Sie tritt damit eines der grundlegenden Prinzipien des „Berufsethos“ und der Ethik, an die die Ärzte so gerne erinnern, mit Füßen, das des Nicht-Schaden-Zufügens, jenes Schadens, den ein Arzt absichtlich und freiwillig seinem Patienten zufügt. Da, wo die Gesundheit von Boris nicht oder kaum mit Problemen zu kämpfen hat, verpasst man ihm eine Ausnahmemaßnahme, die den vollständigen Verlust der Freiheit in seinem Leben im Hinblick auf das Treffen von Entscheidungen zur Folge hat. Und umgekehrt, da wo er mit gewichtigen Schwierigkeiten zu kämpfen hat (fast vollständige Lähmung der Gliedmaßen), da leugnet man diese, indem man ihn in eine gewöhnliche Umgebung versetzt: was man ihm in seinem Zustand empfiehlt, ist eine Hospitalisierung zuhause (!)
Ich werde jede Person respektieren, ihre Autonomie und ihren Willen, ohne jegliche Diskriminierung bezüglich ihres Zustandes oder ihrer Überzeugungen. Ich werde nichts unternehmen, das meine Kompetenzen überschreitet.
Kein Staat hat jemals die Existenz politischer Gegner anerkannt, die seine Existenz selbst infragestellen und bekämpfen. Es handelte sich um „Banditen“, „Feinde der Nation“, häufig um „psychiatrische Fälle“, mit dem Ziel den politischen Diskurs und die Aktion zu unterdrücken und zu diskreditieren. Die polizeiliche und juristische Macht hat bereits etliche Male probiert die Sabotageakte von Boris zu entpolitisieren, indem sie versuchten ihn als pyromanischen Psychopathen darzustellen. Auf seiner Seite hat Boris sich immer politisch zur direkten Aktion und der Propaganda durch die Tat selbst bekannt, wie seine Aktionen gegen die Technologie in den Händen des Staates und des Kapitals, die in der allgemeinen Erfassung, der konstanten Überwachung und der Verwandlung unserer Körper und unseres Lebens in Ware resultieren. Das, was die juristische Macht nicht erreicht hat, hat nun die ärztliche in die Hand genommen. Elisabeth Batit hat dem Staatsanwalt von Besançon eine Meldung gemacht, in der sie eine „juristische Unterschutzstellung“ [2] beantragte. Schöne Worte (als ob die Justiz des Staates „beschützen“ könnte), die eine schmutzige Realität verbergen: jene der Infantilisierung einer erwachsenen Person, die fortan dieselben Rechte und Handlungsspielräume wie ein Kind hat. Eine soziale Zurückstufung, die für die Personen vorgesehen ist, die nicht der sozialen, gesundheitlichen oder geistigen Norm, wie sie vom Staat im Dienste des Kapitals definiert wird, entsprechen. Diese elitäre, selektive, geradezu eugenische Politik stützt sich dabei wesentlich auf die Ärzteschaft, die nicht zögert, diese mit ihrem „wissenschaftlichen Wissen“ zu legitimieren. Abkömmlinge der kollaborierenden Ärzte, die den Puls der gefolterten Personen maßen, um den Henkern zu sagen, ob sie weitermachen konnten, haben Elisabeth Batit und Thomas Carbonnel, der psychiatrische „Experte“, entschieden, dass Boris „beinflussbar“ sei (ist das ein medizinischer Begriff?), der Vorwand für die „juristische Unterschutzstellung“. Im kollektiven Vorstellungsvermögen ist eine entmündigte Person viel zu oft eine „beschränkte“ Person. Boris eine Entmündigungsmaßnahme aufzuerlegen enthüllt ein klares politisches Ziel: seine Worte nicht nur zu „psychologisieren“, gar zu „psychiatrisieren“, sondern diese auch zu diskreditieren und zu entpolitisieren, unter dem Vorwand, dass er nicht mehr alle seine geistigen Fähigkeiten besäße. Für uns anarchistische Freund.innen und Kamerad.innen, die sich die Zeit nehmen stundenlang mit ihm zu diskutieren, ist es klar, dass er nicht nur alle seine intellektuellen Fähigkeiten noch besitzt, sondern er beweist außerdem bei jedem Besuch, dass sein Gedächtnis funktioniert, dass er sich seinen Geschmack für die Kritik an der sozialen und politischen Welt bewahrt hat, und im weiteren Sinne dieses Kämpferische, das Ausdruck eines offensichtlichen Lebenswillens ist. Da der hippokratische Eid für Batit hohle Worte sind und sinnentleert, erinnern wir sie an den Untergang, der ihr vollkommen entspricht:
Ich soll entehrt und verachtet sein, wenn ich dagegen verstoße
Batit, das ist bereits der Fall! Wir rufen zur solidarischen Aktion mit Boris auf, mit den Mitteln, die jeder und jede für angemessen hält.
ERHOBENEN HAUPTES
FLAMMENDEN HERZENS
SOLIDARITÄT MIT BORIS
Anarchistische Kamerad.innen
Indymedia Lille, 13. August 2022
[1] Die beiden am 10. April 2020 auf dem Mont Poupet angezündeten Antennen während des ersten Lockdowns waren keine 5G-Antennen, sondern 4G-Masten von Enedis, der Gendarmerie, der Polizei und der vier Mobilfunkanbieter (SFR/Bouygues & Orange/Free) [Anm. von Sans Nom]
[2] In Deutschland entspräche das Wohl der Anordnung einer „rechtlichen Betreuung“. [Anm. d. Übs.]