Oder: Warum wir dieses Jahr nicht auf das ABC-Fest fahren
Liebe Organisator*innen und Teilnehmer*innen des ABC-Fests Wiens 2023,
wir hätten in diesem Jahr eigentlich den Vortrag mit anschließender
Diskussion “Zerstören wir den Leviathan – Über die Unvereinbarkeit von
Anarchie und Zivilisation” gehalten, sehen uns jedoch kurzfristig
veranlasst, diesen abzusagen und werden in diesem Jahr auch sonst nicht
am ABC-Fest teilnehmen. Wir waren schockiert darüber, im
Veranstaltungsprogramm zu lesen, dass “Aktivist*innen” des Netzwerks
“Solidarity Collectives” auf einer explizit anarchistischen
Veranstaltung eine Plattform geboten wird. Schockiert deshalb, weil
trotz der Darstellung dieses Netzwerks als “antiautoritär” für uns eines
klar ist: Anarchismus kann niemals irgendetwas damit zu tun haben,
Nationalstaaten, Nationalismus und Militär mittel- oder unmittelbar zu
unterstützen.
Nichts
geringeres jedoch ist das erklärte und in zahlreichen Statements,
Vorträgen und Taten von Mitgliedern der “Solidarity Collectives”
untermauerte Selbstverständnis der eingeladenen “Aktivist*innen” und
ihrer Unterstützer*innen. Unterstützung für (angeblich “anarchistische”)
Teile des ukrainischen Militärs zu organisieren, die unverhohlen (und
angesichts der Tatsache, dass Anarchist*innen realistisch gesehen
schlicht nicht über die erforderlichen Mittel und Beziehungen verfügen,
sogar geradezu lächerlich prahlerisch) von sich behauptet, Nachschub an
die Front zu liefern (“provide the anti-authoritarian activists who
joined military units with everything they needed.” Zitat von der
Webseite der Solidarity Collectives) ist für uns mit anarchistischen
Ideen unvereinbar! Dass das selbe Netzwerk dabei ganz offen einräumt
Kriegspropaganda in anarchistischen Millieus betreiben zu wollen
(“People discuss the “Ukrainian question” all over the world. Explaining
why all anti-authoritarian forces, despite everything, should support
the Ukrainian resistance movement is our primary task today. Therefore,
we are always ready to take part in conferences, debates or share our
vision with journalists.”) ist dabei bloß die Spitze des Eisbergs. Wir
sind angewidert davon, dass seitens jener “Aktivist*innen” der
“Solidarity Collectives”, denen hier auf dem ABC-Fest eine Plattform
geboten werden soll, in Interviews, bei Veranstaltungen und vor allem in
den Weiten des Internets wiederholt Stimmung gegen Deserteure gemacht
wurde, nationalistische Positionen, die etwa Russ*innen zu legitimen
Feind*innen erklärt und als solche direkt wie indirekt zum Abschuss
freigegeben haben, verbreitet, der antimilitaristische Widerstand gegen
den Krieg in Russland geleugnet wurde (was insbesondere zur
Intensivierung dieser nationalistischen Ressentiments beiträgt), der
militärische Schulterschluss mit extrem rechten, faschistischen
ukrainischen Kräften relativiert und auch verteidigt wurde, sowohl die
ukrainische Regierung, wie auch das Konglomerat an westlichen
Regierungen, die unter dem Banner der NATO Konfliktpartei im Krieg auf
dem ukrainischen Territorium sind, als geringeres Übel entschuldigt
wurden, obwohl nicht zuletzt Anarchist*innen in diesen Staaten und von
den selben Regierungen eingekerkert, gefoltert, verstümmelt und ermordet
wurden und werden.
Wir sind der Ansicht, dass anarchistische Interventionen gegen den
Krieg viele Formen annehmen kann. Sie kann von der Unterstützung von
Deserteur*innen über (bewaffnete) Sabotagen gegen die Infrastrukturen
des Krieges bis hin zu bewaffneten Kämpfen gegen alle staatlichen Mächte
reichen, um nur ein paar wenige Beispiele zu nennen. Unverzichtbar
dabei ist für uns jedoch immer, dass Bündnisse – und seien es auch bloß
temporäre – mit allen Staaten rigoros abgelehnt werden, dass wir als
Anarchist*innen an der Seite aller unterdrückter Bevölkerungen stehen
und uns nicht von nationalistischer Propaganda gegen die Bevölkerungen
anderer Länder aufwiegeln lassen – und diese schon gar nicht selbst
betreiben – und unsere Aktivitäten ebensowenig wie in Friedenszeiten auf
bloße humanistische/humanitäre Hilfsleistungen abzielen, die dem Staat
und der Herrschaft eher nützen, anstatt diese zu zersetzen. Sich jedoch
in die Reihen des Militärs zu begeben, nicht etwa um dort Meutereien
anzuzetteln, die Praxis des Fraggings wiederzubeleben oder schlicht an
Waffen zu gelangen, um mit diesen zu desertieren und sie fortan gegen
alle Staaten zu richten, sondern um an der Verteidigung eines
Territoriums zugunsten der vorherrschenden staatlichen Besatzungsmacht
teilzuhaben, das kann unserer Auffassung nach nicht in Einklang mit
anarchistischen Ideen gebracht werden und obendrein bestätigt die
Geschichte aller Kriege (sowie eigentlich bereits der “gesunde
Menschenverstand”), dass diese “Strategie” keinerlei Erfolgsaussichten
hat.
Wir haben im vergangenen Jahr leider viel zu oft beobachtet, wie sich
Anarchist*innen dennoch an dieser pro-nationalistischen Unterstützung
der Ukraine im Krieg gegen Russland beteiligt haben. Wir haben
zahlreiche Diskussionen mit den Verfechter*innen dieser
“anarchistischen” Kriegstreiberei geführt und dabei festgestellt, dass
es gemäß der erklärten Absicht der “Solidarity Collectives” gar nicht im
Interesse dieser “anarchistischen” Kriegstreiber liegt, ihren
Standpunkt zu diskutieren, sondern sie ausschließlich das Ziel verfolgen
anti-autoritäre Kräfte dazu zu bringen, sie und damit den Krieg zu
unterstützen (“Explaining why all anti-authoritarian forces, despite
everything, should support the Ukrainian resistance movement is our
primary task today.” – Webseite der “Solidarity Collectives”). In dem
Wissen um diese Strategie und mit der Erfahrung vorangegangener
Diskussionen sind wir der Überzeugung, dass diesen Leuten, die
Anarchist*innen autoritäre Ideen (Kriegstreiberei) unterjubeln wollen,
seitens von Anarchist*innen keine Plattform geboten werden sollte. Wer
mit manipulativen Mitteln (z.B. einer
Betroffenheits-Nicht-Betroffenheits-Rhetorik, selektiven und verdrehten
Informationen, Bildern vom Elend des Krieges, die dann allerdings zur
Rechtfertigung des Krieges selbst verwendet werden, sowie einem mehr als
paradoxen “Privilegien”-Vorwurf gegen alle, die ihre Meinung nicht
teilen) arbeitet, um Debatten abzuwürgen und dabei danach strebt
Anarchist*innen in den Krieg zu mobilisieren, hat unserer Meinung nach
auf einer anarchistischen Veranstaltung nichts zu suchen.
Aus diesem Grund haben wir uns entschieden, unsere eigene Beteiligung
am diesjährigen ABC-Fest abzusagen, weil wir dieser Dynamik (auch wenn
sie zeitgleich in immer mehr angeblich anarchistischen Räumen
stattfinden mag) keinerlei Vorschub leisten wollen.
Wir stehen an der Seite aller vom Krieg Betroffenen, egal von welchem
Staat das Territorium besetzt ist, ob Ukraine oder Russland, sowie
überall auf der Welt, und erklären uns solidarisch mit allen, die mit
freiheitlichen Absichten gegen das Abschlachten im Interesse
verschiedener kapitalistischer Herrschaftsfraktionen kämpfen, egal ob
Anarchist*innen oder nicht!
Keine Solidarität mit jenen, die für ihr Vaterland, ihr „Volk“ oder
das angeblich geringere demokratische Übel schlachten wollen, egal ob
sie sich als „Anarchist*innen“ bezeichnen oder nicht!
[Anm. d. Hrsg.: Dieser Text wurde uns nach einem anarchistischen Treffen zugespielt, bei dem es aufgrund eines Speiseangebots mit Nicht-Veganen Alternativen zu kontroversen Diskussionen um Ernährung und deren politische Korrektheit gekommen war.]
Warum die industrielle Lebensweise niemals ohne den Massenmord an Tieren funktionieren wird
oder
Ein
Ausflug in die Welt des Ökofaschismus
Vielleicht gibt es gar nicht mehr besonders viel zum sogenannten Veganismus zu sagen, seit er dank der neuesten und möglicherweise letzten, “grünen” Phase des industriellen Todesmarschs zur staatlich und kapitalistisch verordneten Leitideologie geworden ist. Doch wie das mit subkulturellen und langjährig identitätsstiftenden Ideologemen innerhalb (vermeintlich) radikaler Szenen so ist, ist es nicht ganz so leicht, sich dieser wieder zu entledigen, wenn sie von der Herrschaft schließlich als zur Rekuperation tauglich angenommen werden. Haben sich erst einmal erfolgreich Identitäten rund um eine bestimmte Vorstellung kreiert, also in diesem Fall die des Veganers, müssen diese Vorstellungen mitsamt all ihrer fauligen Wurzeln herausgerissen werden und das ist ein nicht nur anstrengendes, sondern zuweilen auch schmerzhaftes Unterfangen.
Aber der Ökofaschismus ist in Deutschland bereits an der Macht und es gibt keine Zeit zu verlieren. Die Zeiten in denen man über die Politiker*innen einer Partei, die einst für die Abschaltung von Atomkraftwerken stand, sich heute jedoch für Atomenergie und dafür gegen Fleisch auf dem Speiseplan der armen Bevölkerung stark macht, nur herzlich lachen konnte, sind gewissermaßen vorbei. Nicht weil diese ihre Clownsmaske abgelegt hätten, sondern vielmehr weil ihre hässliche Fratze des Ökofaschismus den Ausgebeuteten heute von den Chefsesseln der Industrie und Regierung ins Gesicht grinst und alles darauf hindeutet, dass uns eben diese Fraktion der Herrschaft in den kommenden Jahren verstärkt gegenüberstehen wird. Aber es soll hier nicht der sehr gut vorhersehbare Werdegang jener Pseudo-Nonkonformisten verstanden werden, die einst mit Strickpullovern und Gummistiefeln in die Parlamente strömten, nur um heute Atomenergie, Windräder, Gasterminals, militärisches Gerät und eine Teuerung von Lebensmitteln zu verantworten und die hiesige Gesellschaft in einen Zustand einer beinahe Generalmobilmachung zu versetzen. Denn während bornierte Politiker*innenarschlöcher den Speiseplan in den Kantinen “ihrer” Lohnsklaven säubern, während diese selbstgefälligen Bonzen ihrer Verachtung für die ausgebeuteten Massen Luft machen, indem sie erklären, dass Lebensmittel ihrer Meinung nach zu billig sind und der dumme Michel durch Teuerungen von Fleischprodukten dazu gebracht werden soll, sich endlich verantwortungsbewusst zu ernähren, während all jene, die begeistert im Gleichschritt der Werbetrommeln dieser mittlerweile krawattetragenden Demagogen tanzen, sich wahlweise darin gefallen, ihren Müll zu trennen, im Biosupermarkt einzukaufen oder ein E-Auto zu fahren und eine Photovoltaikanlage auf dem Dach ihres Eigenheims oder gar ihrer Immobilienanlagen zu installieren, sind wir mit drängenderen Problemen konfrontiert. Denn wenn einem wohlgenährte, bio-gefütterte und aus historischen Gründen vielleicht nicht einmal allzu sehr atomar verstrahlte Bonzen das Fleischessen verbieten wollen, dann drängt sich eine simple Lösung dieses Problems förmlich auf: Eine bestimtme Form des sozialen Kanibalismus, nur eben spiegelverkehrt. Und die Chancen stehen gut, dass eine solche Lebensweise sogar gesünder sein könnte, als der Verzehr von Fleisch aus herkömmlicher industrieller Produktion, auch wenn die Auswirkungen gewisser medizinischer Vergiftungen, die sich solche Leute zumuten sicherlich ebenso in Betracht gezogen werden sollten, wie auch die schlechte Bekömmlichkeit und der störende Geschmack des diesem Nutztier eigenen Snobismus. Aber diese Lösung lässt sich schwerlich auf jene ausdehnen, die zwar vielleicht ein paar Ideologeme mit diesen Leuten teilen, jedoch weitestgehend davor zurückschrecken, diese in einen ausgewachsenen Ökofaschismus zu verwandeln. Man soll mir ja schließlich nicht nachsagen, ich würde es mir leicht machen.
Also widmen wir uns doch jenen, die heute noch die metaphorischen Strickpullover und Gummistiefel tragen, wenn sie die Manege des Streits um die politische Ordnung der neuen/befreiten Welt betreten und diese nicht längst gegen braune Hemden und grüne Armbinden eingetauscht haben. Was haben sie uns zu sagen?
Du sollst kein Fleisch und andere tierische Produkte essen.
Dies ist das zentrale Dogma des Veganismus, eine gewisse Variation von Gebot Nr. 5: Du sollst nicht töten. Wobei hier natürlich gleich der Einfluss der industriellen Gesellschaft deutlich wird. Während die archaische jüdische Gesellschaft bei aller Kritik an ihrer patriarchalen Verfasstheit und ihren vielen anderen autoritären Elementen das Individuum offensichtlich noch als jenseits von Konsumentscheidungen handelnd begriffen hat, liegt dem Veganer-Dogma die eigentlich absurde Vorstellung zugrunde, dass der Verzehr oder, präziser gesagt, der Konsum von Fleisch und anderen tierischen Produkten irgendwie mit dem Akt des Tötens oder der Versklavung von Tieren identisch wäre. Und noch absurder, dass nämlich umgekehrt, der Verzicht auf den Verzehr, bzw. Konsum von Fleisch bedeuten würde, dass Tiere nicht getötet oder versklavt werden würden. Kein Wunder, dass der Veganismus also vor allem unter jenen grassiert, die als Städter sowieso wenig bis gar keinen Bezug zu dem haben, was sie auf ihren Tellern wiederfinden, die um die Ironie perfekt zu machen, sich selbst in der relativen Eintönigkeit des Supermarkt-Gemüseregals ihres Smartphones bedienen müssen, um eine Artischocke von einer Bohne unterscheiden zu können. Man möge ihnen gemäß ihrer selbst gewählten biblischen Dogmensetzung also vergeben, denn sie wissen nicht, was sie tun? Nein, ich bin ja keine Paternalist*in.
Jaja, eigentlich finde ich es konsequent, dass diejenigen, die noch nie der Tötung eines Tieres beigewohnt haben, die noch nie einen Vogel gerupft haben, die nie erlebt haben, wie ein Fisch nach Betäubung durch einen Schlag auf den Kopf ein letztes Mal zuckt, wie ein Huhn steif wird, bevor man ihm mit einem Beil den Kopf abschlägt und sein Körper, während man ihn zum Ausbluten über einen Eimer hält, sich ein letztes Mal aufbäumt, wie man nach dem Schnitt durch den Hals einer Kuh binnen Sekunden beinahe Knöcheltief in Blut versinkt, wenn man es nicht mit dem Wasserschlauch wegspritzt, auch kein Fleisch essen. Genausogut finde ich es nachvollziehbar, dass jene, die einer solchen Schlachtung – und hier ist, wie der kundigen Leserin sicherlich aufgefallen sein wird, die Rede von Hausschlachtungen, nicht von industriellen Schlachtfabriken – einmal beigewohnt haben, fürs erste einmal kein Fleisch mehr essen wollen. Sowieso ist mir ja egal, was jemand isst, ich bin ja kein Ökofaschist. Ich denke außerdem, dass die Schlachtung genannte institutionalisierte Tötung von gefangen gehaltenen Tieren, nichts ist, das es zu romantisieren oder zu beschönigen gilt, sondern notwendigerweise immer auch die Widerwärtigkeit widerspiegelt, die auch der kleinbäuerlichen und heute, in Zeiten begrifflicher Verblödung als “artgerecht” verklärten Landwirtschaft und insbesondere Tierhaltung inne wohnt. Und doch wäre es absurd, nur weil sich der technologisch dressierte Mensch ein paar wenige Gefühlsregungen hinsichtlich der Abartigkeit der industriellen Todesmaschinerie, die seine Spezies stolz als “Errungenschaft” betrachtet, bewahrt hat, die angesichts des Anblicks einer Schlachtung als bloße Sentimentalitäten zutage treten, den nicht weniger abartigen Teil dessen, wovon die Tierhaltung eben bloß ein Element ist, zu vergessen. Der technologisch dressierte Mensch, er schreit auf, wenn er Blut sieht, je mehr, desto schlimmer, aber er ist gänzlich unempfänglich für die unsägliche Vernichtung von Leben, die im wahrsten Sinne des Wortes unblutig vonstatten geht oder deren Blutigkeit am anderen Ende der Welt, vor seinen Blicken verborgen, stattfindet.
Und aus dieser bestenfalls als halbgar oder auch medium raw zu bezeichnenden Analyse, die jene vor sich hertragen, die sich Veganer*innen nennen, resultiert zugleich eben auch die faktische Unterstützung der weniger offen – z.B. weil weniger blutig – zutagetretenden Vernichtung von Leben als “geringeres Übel”. Ich will hier der Kürze wegen und weil ich denke, dass mein Punkt dabei schon verstanden werden wird, grob schematisieren:
Landwirtschaft zur ausschließlichen Erzeugung von pflanzlichen Produkten wird gängigerweise als die Alternative einer Landwirtschaft mit Viehhaltung betrachtet. Dabei wird sich die kundige Leserin freilich unmittelbar fragen, wie das so universell funktionieren soll. Zumindest ohne dabei auf synthetisch hergestellte – und seit wann wären synthetische Produkte unabhängig von der Versklavung von Tieren, sei es zu experimentellen Zwecken oder weil der Herstellungsprozess auf tierisches Gewebe oder andere tierische Erzeugnisse angewiesen ist oder weil die zur Herstellung benötigte Maschinerie ohne die Versklavung von Tieren nicht denkbar wäre – Düngemittel zurückzugreifen, wie sie von der Agroindustrie für die industrielle Landwirtschaft vermarktet werden. Aber selbst wenn man diese Frage einmal beiseitelässt, ignoriert, dass von Demeter-Landwirtschaft bis hin zu selbst den meisten praktizierten Formen von Permakultur, immer auch die Gefangenschaft und Versklavung von Tieren integraler Bestandteil von eigentlich jeder Form nicht-industrieller Landwirtschaft ist, bleibt vor allem ein Makel: Landwirtschaft erfordert immer auch die Bekämpfung von tierischen “Schädlingen”, sprich von Tieren, die das was dort angebaut wird, auch gerne essen und die verhältnismäßige Futterdichte auf Feldern gerne für sich nutzen, sich dabei auch vermehren und schließlich regelrecht zur Plage für die Landwirte werden. Diese Bekämpfung findet heute unter anderem in Form von Insektiziden (die entweder bestimmte oder gar wahllos alle Insekten töten, die mit einer entsprechend behandelten Pflanze in Berührung kommen), dem Abschuss oder auch “der Entnahme” von Wild, das sich einen Bissen von den angebauten Leckereien gönnt, sowie der präventiven Regulierung des Wildbestands durch Jäger, Anwendung. Durch den Anbau von pflanzlichen Nahrungsmitteln werden also sowohl Millionen von Insekten getötet, als auch abertausende Tiere geschossen oder mithilfe von Fallen gejagt und getötet oder vergiftet und bis heute wurden zahlreiche Tierarten wegen ihrer “Schädlichkeit” für die Landwirtschaft ausgerottet oder an den Rand der Ausrottung gebracht bzw. lokal vollständig vernichtet, darunter nicht nur der Wolf und der Bär, die sogenannte “Nutztiere” reißen, sondern auch Fasane und Rebhühner, zahlreiche andere Vögel, regional Wildschweine, Feldhasen, Gämse, und viele mehr, allesamt Fresser von pflanzlichen Agrarprodukten. Auch lange ausgestorbene Arten wie wilde Rinderarten, z.B. Auerochsen, oder das so gut wie ausgestorbene Wiesent zählen zu den Opfern von Landwirtschaft. Neben dem gezielten Abschuss von Wildtieren, die landwirtschaftliche Erzeugnisse fressen trägt auch die Umwandlung von unbewirtschafteten oder weniger intensiv bewirtschafteten Flächen in Agrarland enorm dazu bei, dass ganze Tierarten aussterben, weil ihr Lebensraum vernichtet wird oder auf eine zu geringe Fläche zusammenschrumpft.
Technologische Innovationen auf dem Gebiet der Landwirtschaft, aber auch allgemein in der Lebensmittelindustrie sollen Tierhaltung angeblich unnötig machen. Das lässt natürlich – wie könnte es anders sein – außen vor, dass gerade auf dem Gebiet der Lebensmittelindustrie Tiere auch als Versuchsobjekte genutzt werden, um die Verträglichkeit eines Produkts oder eventuelle Langzeitfolgen von dessen Verzehr zu “testen”. Diese technologischen Innovationen sind also alles andere als unabhängig von der Versklavung und auch Ermordung von Tieren. Zudem werden durch technologische Innovationen auf dem Gebiet der Landwirtschaft nicht nur immer größere Teile der unbewirtschafteten Lebensräume von Tieren vernichtet, sei es durch deren Bewirtschaftung oder deren Vergiftung mittels Pestiziden, Düngemitteln, Verklappung von Industriemüll, usw., sondern allzu oft bestehen diese technologischen Innovationen auch darin, neue Methoden zur Vernichtung von Tieren, die als Schädlinge betrachtet werden, zu schaffen. Eine teilweise zur “leidfreien” Produktion von Fleisch auch von sogenannten Veganer*innen beworbene Methode besteht darin, dass das tierische Leben soweit weiter verstümmelt werden soll, dass das Steak in Zukunft gleich formgerecht in der Petrischale heranreifen soll, anstatt dass dafür erst ein Tier aufgezogen werden müsste. Wie man glauben kann, dass die biotechnologische Verstümmelung des Lebens weniger leidvoll sein soll, als selbst die niederträchtigste Versklavung eines gefangenen Tieres, müsste dabei eine*r der Fürsprecher*innen einer solchen Methode selbst beantworten; ich jedenfalls kann mir das nur mit der offensichtlich totalen Verblödung solcher Leute erklären.
Immer wieder und ständig wechselnd werden bestimmte Nahrungsmittel als Superfood entdeckt, die alle nicht leugnenbaren Probleme einer veganen Ernährung innerhalb der industriellen Nahrungsproduktion (Mängel, für die bspw. Vitamintabletten geschluckt werden müssen) – und natürlich heißt das nicht, dass eine nicht-vegane industrielle Ernährungsgrundlage nicht ebenfalls ihre Probleme hätte – angeblich aus der Welt schaffen würden oder die auch nur dem unerklärlicherweise vorhandenen1 Bedürfnis von vielen Veganer*innen nach Fleischersatzprodukten abhilfe verschaffen. Dadurch kommt es nicht selten zu regelrechten Umwälzungen der Landwirtschaft, aber selbstverständlich weniger in der westlichen Welt, sondern vor allem in den Kolonien des westlichen Ernährungssystems. Die dort errichteten Plantagen zum Anbau von sowohl exotischen Nahrungsmitteln, als auch von pflanzlichen Rohstoffen, die der industriellen Weiterverarbeitung zu Fleischersatzprodukten und ähnlichem dienen, werfen nicht nur schwerwiegende Umweltprobleme in diesen Regionen auf, darunter Zerstörung von Wäldern, Wassermangel, Umweltvergiftungen, usw., sondern auch soziale Probleme, die in Hunger, Kriegen, Völkerwanderungen und immer wieder auch in Genoziden enden. Sicher sind die spezifisch für Veganer*innen angebaute Nahrungsmittel nur einer von vielen Ursachen dafür, klar ist jedoch, dass auch derlei Folgen des um sich greifenden Veganismus nicht einfach unter den Teppich gekehrt werden können und die allgemein vorherrschende Ignoranz von Veganer*innen diesem Leid von Menschen gegenüber als völlig widersprüchlich zu deren seltsam humanistisch anmutenden Interesse am Leid von Tieren betrachtet werden muss.
Mal angenommen die Versklavung von Tieren würde tatsächlich abhängig sein, von einer Konsumentscheidung, wie es die Veganer*innen letztlich theoretisieren – was ich angesichts der zahlreichen alternativen Verwertungsmöglichkeiten von Tieren und angesichts dessen, dass sich Tierbestände in der Viehhaltung schon heute nicht nach der Nachfrage danach richten, erheblich bezweifeln würde, aber darum soll es hier nicht gehen –, so wäre die moralistische Haltung eine vegane Lebensweise würde weniger Tierleid erzeugen – und sei daher ein allgemein anzustrebendes Ideal – alleine aus oben genannten Gründen vollkommen verlogen und heuchlerisch. Denn die Millionen und Milliarden Tiere, die infolge der Landwirtschaft pflanzlicher Nahrungsmittel getötet und verstümmelt, ausgerottet, vertrieben, an den Rand ihrer Fortexistenz und in ihrem Bestand kontrolliert werden, werden bei einer solchen Behauptung schlicht unterschlagen. Das ist insofern kaum verwunderlich, als dass sich schon bei einer Betrachtung dessen, wer sich dazu entscheidet Veganer*in zu werden, offenbart, um was für eine Art von Ideologie es sich hier handelt. Neben einer guten Hand voll politischer Wirrköpfe für die immerhin zutrifft, dass sie sich zu einem nicht geringen Anteil an den Akademien selbst herumtreiben oder aber im Dunstkreis derjenigen, die dies vornehmlich tun, handelt es sich bei der Mehrzahl der Veganer*innen um Angehörige wohlhabender Bevölkerungsschichten. Es ist im Grunde das gleiche Klientel, das seit einiger Zeit damit auffällt, dass es nicht nur Bio-Lebensmittel mit Vorliebe kauft, sondern auch andere Leute, denen das Geld fehlt, dieser Vorliebe nachzugehen, dafür beschämt. Jenes Klientel, das angesichts der dramatischen ökologischen und sozialen Auswirkungen eines Systems zu deren Kollaborateur*innen sie sich zählen müssen, Zuflucht bei “ökologischen”, “fairen”, “plastikfreien”, “biologischen”, “nachhaltigen” Konsumentscheidungen sucht. Kein Wunder. Denn das System jenseits solch (bestenfalls) reformistischen Quarks zu hinterfragen würde auch bedeuten, der behaglichen Sphäre des konformistischen (Bildungs-)bürgertums zu entsagen und nach wahrhaft konfrontativen Wegen zu suchen, die Herrschaft anzugreifen.
Die einzige Möglichkeit Veganismus vor diesem Hintergrund einer Ideologie des immer weiter um sich greifenden Ökofaschismus zu entziehen, bestünde meines Erachtens darin, ihn gegen das industrielle System selbst, zumindest aber gegen dessen kommerzielle Sphäre zu richten. Das kann niemals durch eine Kaufentscheidung gegen dieses, jedoch für jenes Produkt funktionieren, sondern nur durch den totalen Boykott des industriellen Systems selbst. Eine Möglichkeit dies zu erreichen wären beispielsweise Plünderungen von Lebensmitteln und deren (Ver-)teilung. Bio-Ernährung für alle, sozusagen. Kostenlos. Allerdings wäre dabei irrelevant, ob es sich bei den geplünderten Lebensmitteln um vegane oder nicht-vegane Lebensmittel handelt. Eine andere und gleichzeitige Möglichkeit wäre der aufrichtige Auszug aus diesem industriellen System, der nicht darin bestehen kann, aufgrund des Eigentums an Land irgendeine Nische innerhalb dieses Systems für sich zu finden, sondern ausschließlich in der auch gegen Eigentum gerichteten individuellen und kollektiven Aneignung des Territoriums bestehen könnte, also in der Besetzung von Land, auf dem dann ein nicht-landwirtschaftlicher, nicht-kommerzieller Anbau oder auch eine andere Lebensweise verfolgt werden kann, während dieses Territorium dem industriellen System dauerhaft entzogen bleibt, d.h. gegen die staatliche Rückeroberung verteidigt. Sicherlich sind auch andere Möglichkeiten denkbar … Veganer*innen jedoch, die keine derartigen radikalen (Auf-)Brüche vorzuschlagen haben, sondern allen Widersprüchen zum Trotz daran festhalten, die individuellen Handlungsmöglichkeiten auf Konsumentscheidungen einzuengen und als einzige Perspektive folglich die soziale (und oft auch repressive) Erzwingung der veganen Ernährung der Bevölkerung haben, sind ebenso reformistisch wie jene Politiker*innen, die uns mit ihrem Ökofaschismus in den kommenden Jahren noch den letzten Rest an Appetit vermiesen werden – und der Massenmord an Tieren, Menschen und Lebewesen im Allgemeinen wird obendrein unverändert weitergehen.
Begriffserklärungen
Es ergibt sich zwar aus der (insbesondere) wiederholten Verwendung im Text, aber um Missverständnisse zu vermeiden, seien hier drei Begriffe noch einmal präzisiert:
Veganismus
Eine zur “Lebensweise” erhobene Ernährungsweise innerhalb des Industriellen Systems und folglich eine Ideologie, die darauf basiert, auf tierische Produkte (im Bereich Nahrungsmittel und oft auch in ein paar wenigen anderen Bereichen wie Kosmetik, Haushalt, Bekleidung) dogmatisch zu verzichten. Die Definitionen des Umfangs dieses Verzichts variieren zum Teil stark, können aber bei genauerer Betrachtung eigentlich niemals Geltung für sich beanspruchen.
Veganer*in
Eine*r, die kein Fleisch und keine anderen Produkte, die unmittelbar aus Tierhaltung resultieren (eigentlich niemals ohne Ausnahmen, dafür oft gepaart mit der offensichtlich verlogenen Behauptung auch auf mittelbare Produkte aus Tierhaltung zu verzichten) verzehrt und daraus eine gewisse Obsession macht, die weit über ein informatorisch relevantes (z.B. weil jemand so freundlich ist, für diese Person mitzukochen und dabei Rücksicht auf deren Essgewohnheiten zu nehmen), sowie kommunikativ übliches Maß hinaus Bestandteil von Gesprächen dieser Person wird. Wesentlicher Beweggrund für den Produkt-Verzicht von Veganer*innen ist die moralische und leider auch irrtümliche Vorstellung, dass die eigenen Kauf-, bzw. Nicht-Kauf-Entscheidungen eine relevante Auswirkung darauf hätten, ob Tiere innerhalb des industriellen Systems versklavt werden oder nicht. Veganer*innen sind in der Regel missionarisch, d.h. sie versuchen direkt und indirekt andere davon zu überzeugen, sich der Ideologie des Veganismus (siehe oben) anzuschließen.
Ökofaschismus
Die politische Überzeugung, dass ganz bestimmte, industrielle und vor allem nur vermeintliche Lösungen für vom industriellen System verursachte ökologische Probleme, anderen mit autoritären Mitteln gegen ihren Willen aufgezwungen werden müssen, wenn diese nicht freiwillig aus eigenem Antrieb auf die gleichen “Lösungen” setzen. Eine wichtige Ökofaschistische Partei im deutschen Bundestag sind die Grünen. Beispiele für ökofaschistische Projekte sind die diversen CO2-Einsparungsverordnungen, die Mülltrennung in Deutschland, sowie der staatlich subventionierte und geförderte Veganismus.
Anmerkungen
1 Ganz so unerklärlich ist dieses Bedürfnis natürlich nicht. Es wird nicht nur aktiv von einer sich diversivizierenden Fleischindustrie geweckt, sondern dürfte mitunter auch aus Mängeln, die sich eben möglicherweise als Lust auf Fleisch einen Weg ins Unterbewusstsein bahnen, sowie kulturellen Essgewohnheiten und -gebräuchen resultieren.
Am 04. November, rund einen Monat nachdem sich „Revolutionäre Eisenbahner:innen in der Klimagerechtigkeitsbewegung – Anna Stepanowna Politkowskaja“ zu einer Sabotageaktion gegen die Bahnstrecke zwischen der Raffinerie Schwedt und Berlin bekannt hatten, meldeten sich die vermeintlich selben Akteure – vermeintlich, weil nun wirklich jede*r einen Text mit einem solchen Namen unterzeichnen kann und der Natur der Sache niemand nachprüfen kann, ob es sich um die gleichen Personen handelt, oder ob hier nicht vielmehr irgendwelche Dritte dahinter stecken, denen die Verwendung dieses Namens gerade opportun erscheint – noch einmal zu Wort, um ihre damalige Sabotage der Bahngleise zu feiern und dabei zugleich eine andere Sabotage gegen das norddeutsche Schienennetz als „konterrevolutionär“ zu brandmarken und Spekulationen hinsichtlich vermeintlicher Täter*innen bzw. Nicht-Täter*innen in die Weiten des Internets hinauszublöken. Denn unsere „revolutionären Eisenbahner*innen“ (was auch immer an einer Technologie des Genozids und des Kolonialismus revolutionäres sein soll …), sie vermuten hinter zwei durchtrennten Glasfaserkabeln in Berlin und Herne Akte der Verbreitung von „Angst und Verunsicherung“ ebenso wie dass „Staatsorgane diese Aktion gesteuert haben“. Und das alles, weil niemand die Verantwortung für diese Sabotage übernommen hat und weil die Medien diese Sabotage auf eine Art und Weise diskutiert haben, die nicht im Sinne unserer „revolutionären Eisenbahner:innen“ gewesen ist.
Um uns im folgenden präziser mit dem Unsinn, den diese „revolutionären Eisenbahner:innen“ da in die Welt gesetzt haben auseinandersetzen zu können, sei hier zunächst der entsprechende längere Auszug ihrer Kritik zitiert:
Wir sehen uns in der Verantwortung gegenüber aktivistischen Gruppen und Sympathisant:innen politische Kriterien herauszustellen, die eine Unterscheidbarkeit zwischen einer revolutionären oder einer im revolutionären Sinne kontraproduktiven bzw. auch konterrevolutionären Aktion verdeutlichen. Die Sabotage in Herne und Berlin-Hohenschönhausen in der Nacht vom Freitag auf Samstag (08.10.2022) entspricht nicht unseren politischen Kriterien.
Beim Verfolgen der Berichterstattung sind wir über viele Dinge gestolpert, die unsere Warnlampen anspringen ließen.
In der Presse wurde entgegen sonst üblicher Verlautbarungen sofort von Sabotage gesprochen. Normalerweise wird Sabotage unsichtbar gemacht und als Vandalismus abgehandelt.
Auch wurde ein hoher Professionalitäts- und Organisierungsgrad darüber hergeleitet, dass an zwei weit auseinander liegenden Orten mit zeitlichem Abstand Kabel mit Hilfe von Schneidwerkzeug getrennt wurden. Neu ist das aber nicht, denn zum G20 Gipfel in Hamburg wurden auch an vielen Stellen in Deutschland Kabelschächte angegriffen. Dies geschah sogar zeitgleich und unter Zuhilfenahme von Feuer. Die Folgen waren ähnlich gravierend, wenn nicht sogar weitreichender und (auch durch das Feuer) dauerhafter: Brandanschläge auf Bahnstrecken – Bekennerschreiben zum G20-Gipfel – https://linksunten.archive.indymedia.org/node/215862/index.html
Auch hatten einige Aktionen wie der Vulkangruppe „Das Grollen des Eyjafjallajökull“ in Berlin große und vor allem dauerhaftere Wirkungen als die aktuelle Sabotage des Zugfunkverkehrs: https://linksunten.indymedia.org/de/node/40279/
Auch ein hohes Maß an „Insider-/Geheimwissen“ wurde in der Berichterstattung attestiert, bis der Spiegel jüngst recherchierte, dass dieses „Geheimwissen“ über Bahninfrastruktur die ganze Zeit im Netz öffentlich zugänglich war.
Trotzdem wurde durch die Medien nun der Eindruck einer neuen Qualität von Sabotage erweckt. Da in der Regel die Medien inhaltlich mit Polizeiberichten und mit der Polizei abgestimmten Berichten gefüttert werden, lohnt sich der kritische Blick und die Analyse der Rezeption in der Öffentlichkeit: wer meldet sich zu Wort und welche Interessen könnte es geben, diese Aktion als so herausragend zu bezeichnen.
Wenn Zerstörung kein Selbstzweck ist, dann müssen wir uns die Wirkung der Aktion anschauen und überprüfen, ob die politische Wirkung auch das Ziel der materiellen Sabotage gewesen sein könnte. Dies hilft uns zu unterscheiden, aus welcher Ecke die Aktion kommen könnte.
Der Kampf um die Deutungshoheit über gesellschaftliche Konflikte wird in Kriegszeiten besonders heftig ausgetragen. Unter diesem Gesichtspunkt sind Meldungen mit besonderer Vorsicht zu genießen, Quellen noch genauer zu überprüfen. Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst.
Wenn von Vandalismus geredet wird, müssen wir das nicht sofort glauben und übernehmen. Das gilt andersherum auch. Vor allem dann, wenn wir Sabotage als ein Mittel im gesellschaftlichen Kampf gegen Kriege und Klimazerstörung begrüßen und ihre breite Anwendung nach wie vor propagieren, diese Ziele aber in einer Aktion nicht identifizieren können. Sabotage mit revolutionären Perspektiven will Einfluss zugunsten der Befreiung der Menschen von zerstörerischen Machtverhältnissen nehmen und den Widerstand dagegen stärken. Sabotage, so wie wir sie meinen, zielt nicht darauf ab, diffuse Verunsicherung und Angst zu erzeugen.
Das Durchtrennen von Kommunikationskabeln an einem Wochenende trifft in der Regel mehr Wochenendreisende als die Wirtschaft. Eine Aktion, die eine emanzipatorische gesellschaftliche Veränderung möchte, sich aber nicht von selbst den Betroffenen vermittelt, steht in der politischen Verantwortung, sich zu erklären. Auch geht es mit einer Erklärung darum, die Deutungshoheit nicht dem politischen Gegner zu überlassen und der Nachrichtenmanipulation vorzubeugen. Wer gezielt bei der Bahn die Redundanz auf einer größeren Strecke ausschalten kann, dem trauen wir auch einen Weg zur Veröffentlichung einer politischen Erklärung zu. Es sei denn, gerade das will man gar nicht.
Mit der Aktion wurde kein Zug zur AfD-Kundgebung nach Berlin gestoppt, keine Kohletransporte und es wird politisch nichts geteilt. Es wird gar kein Ziel ausgegeben. Die Adressaten bleiben nebulös. Die davon unmittelbar Betroffenen werden als Subjekte nicht ernst genommen und es wird nicht versucht, sie abzuholen. Die Wirkung bestimmt das Ziel: Verunsicherung innerhalb der Gesellschaft wird erzeugt bzw. vielmehr anschließend herbeigeredet. Das Signal einer Machtdemonstration, an die Adresse der Beherrschten als auch an die Herrschenden, so scheint es beim jetzigen Stand der Dinge, wird unterschiedslos ausgesendet: „Wir können alles platt machen und ihr ahnt noch nicht mal, wer wir sind.“ Dadurch, dass man sich nicht zu erkennen gibt, sind Spekulationen Tür und Tor geöffnet. Es wird Misstrauen und eine Destabilisierung der Gesellschaft erzeugt. Der Angriff ist diffus und gegen alle Menschen gerichtet, nicht gegen Machtverhältnisse. Er ist in seiner Wirkung desorientierend und somit mindestens kontraproduktiv. Kontraproduktiv, wenn es denn uns politisch nahestehende Aktivist:innen gewesen wären, was wir aber stark bezweifeln, weil keine emanzipatorischen Prozesse nach vorne gebracht werden. Es sei denn, die Akteure sind an der Verbreitung einer Erklärung auf sicherem Wege gescheitert. Dann wäre es wichtig, sich sichere Verbreitungsmethoden anzueignen und die politische Vermittlung revolutionärer Aktion zu diskutieren. Oder aber, und das ist unsere Befürchtung, ist die Aktion in ihrer Wirkung bewusst konterrevolutionär angelegt, dann nämlich, wenn Staatsorgane diese Aktion gesteuert haben.
Wie auch immer, die Wirkung der Aktion war Wasser auf den Mühlen autoritärer Strukturen, die nach dem starken Staat und dem Militär schreien. Und letztere fühlten sich sogleich angesprochen. Ein Beispiel von vielen: Oberbefehlshaber des Führungskommandos der Bundeswehr, Breuer: „Das ist der Zustand zwischen nicht mehr ganz Frieden, aber auch noch nicht richtig Krieg.“ Das sagt ausgerechnet ein ausgebildeter Spezialist für Mord, der in einem Land lebt, dass täglich Kriege in Form weltweiter Waffenexporte füttert.
Die Wirkung der Sabotage war der Weckruf für Behörden und Regierung, jetzt endlich Strategien gegen Angriffe auf kritische Infrastruktur umzusetzen.
Über eine inhaltliche Auseinandersetzung kamen sie gleichzeitig herum, weil eben keine Position sichtbar wurde, zu der sich zum Beispiel Klimazerstörer und Kriegsbefürworter hätten ins Verhältnis setzen müssen. So, als hätte es diesen Anlass und diese Form der Sabotage gebraucht, wurde die Sabotage zur Steilvorlage einer Mobilmachung zum Schutz „unserer“ kritischen Infrastruktur gegen einen „diffusen, sehr gefährlichen Feind“.
Die zielgerichtete Zerstörung ohne inhaltlich Zielrichtung, ohne jeden erkennbaren politischen Kontext und ohne Vermittlungsversuch legt den Verdacht nahe, dass hier in staatlicher und geheimdienstlicher bzw. in militärischer Logik denkende Akteure am Werke gewesen sein könnten.
Wir beziehen auch die Möglichkeit mit ein, dass es sich um Faschisten gehandelt haben könnte, die ein Interesse haben, einen gesellschaftlichen Ausnahmezustand herzustellen, wobei das oft kein Unterschied zu geheimdienstlichen Akteuren sein muss. Wir gehen sogar noch weiter: Wir schließen in unseren Überlegungen mit ein, dass es im Effekt der Aktion auch um die Brechung der Solidarisierung von Sabotageaktionen aus z.B. der Klimagerechtigkeitsbewegung gehen könnte, bevor diese sich breiter militant aufstellt. Immer zahlreichere radikale Interventionsformen durch die Klimagerechtigkeitsbewegung sind in der letzten Zeit in die Öffentlichkeit getreten und viele gelungene Aktionen wie die Aufzählung unten zeigt, haben -Wochen vor der Zerstörung des Zugfunkverkehrs- das BKA aufgescheucht und es in Habachtstellung versetzt. Da kommt die Steilvorlage einer diffuse Sabotage ohne inhaltliche Vermittlung gerade auffallend recht, um Sabotage generell zu ächten. Wer würde in der Klimagerechtigkeitsbewegung noch auf Sabotage von Infrastruktur als Mittel der Massenmilitanz zurückgreifen, wenn sich im gesellschaftlichen Diskurs eine Diskreditierung durchsetzt, die eine Endsolidarisierung von militanten Interventionen im Fall von Infrastruktursabotage bedeutet. Gerade neu entstehende Gruppen im Kontext des Kampfes gegen fossile Energienutzung dürften von diesem Diskurs verunsichert sein.
Es ist nicht die Wahl des Mittels, die eine Aktion zu einer revolutionären Aktion macht, sondern deren Absicht und des Ziels. Wenn diese durch die Tat nicht eindeutig in den richtigen Zusammenhang gebracht werden kann, finden wir eine politische Erklärung an die Menschen, die erreicht werden sollen, politisch richtig und zwingend.
In diesem Sinne ist die Sabotage in Herne und Höhenschönhausen, von unserem jetzigen Kenntnisstand aus beurteilt, keine Aktion, die wir als eine revolutionäre, der Klimabewegung verwandte Aktion verstehen.
Wir wollen hier vor allem auf drei Aspekte eingehen, die in der Erklärung unserer „revolutionären Eisenbahner:innen“ mitzuschwingen scheinen: Die Frage der Medien, die Frage des Terrorismus und die Frage der Einheit von Mitteln und Zwecken. Allgemein wollen wir hier jedoch noch voranstellen, dass wir uns selbstverständlich jeglicher Spekulation der Urheber*innenschaft der in Frage stehenden Sabotage verweigern. Es steht unserer Überzeugung nach ausschließlich den Urheber*innen einer Sabotage oder eines Angriffs zu, ob und in welcher Form, sie sich zu ihren Taten bekennen wollen. Spekulationen über die Urheber*innenschaft hebeln diese grundlegende Überzeugung aus. Eine Sabotage zu der sich keine*r bekennt wird daher immer diffus bleiben und wir werden diese immer ausschließlich hinsichtlich der Sprache, die diese spricht bewerten. Ebenso wie ein Communiqué mit Leichtigkeit von Geheimdiensten und anderen Akteur*innen verfasst werden kann und anonym veröffentlichte Texte mit beliebigen Pseudonymen unterschrieben werden können, kann eine anonym durchgeführte Sabotage natürlich ebenfalls von Akteur*innen stammen, deren Überzeugungen und Ziele wir nicht teilen mögen. Ausschließlich indem wir Sabotagen und Angriffe daran messen, was mit ihnen erzielt wurde, was sie riskierten und was ihre Durchführung über sie verrät, ganz gleich mit welchem Geschwätz diese möglicherweise begleitet werden, können wir uns zu ihnen ins Verhältnis setzen. Menschen handeln immer aus ihren eigenen Beweggründen. Dies ist der Charakter jeder sozialen Revolution. Und als Anarchist*innen kämpfen wir auch in diffusen Gemengelagen an Seiten jener, die sich mit direkten Aktionen gegen die Infrastrukturen, Schaltzentralen, Symbole und Ideologien der Macht richten, in der Absicht, diese zu zerstören, anstatt selbst Macht zu erlangen.
Medien
Die „revolutionären Eisenbahner:innen“ stellen die fragliche Sabotage ihrem Text nach vor allem deswegen in Frage, weil diese von den Medien unmittelbar als solche geframed wurde, was sie für unüblich halten. Nun sind wir, brave Zeitungsleser*innen, die wir sind, über derlei Behauptungen mindestens erstaunt. Titelten die Zeitungen nicht auch in der älteren und jüngeren Vergangenheit immer wieder von „Anschlägen“, wenn es zu Sabotagen an relevanten Abschnitten der Bahninfrastruktur kam, etwa auch bei den erwähnten Sabotagen im Vorfeld des G20-Treffens in Hamburg (z.B. die B.Z.: „Anschlag auf S-Bahn vor G20-Gipfel: Wer kennt diese Frau?„) oder auch im Zuge der ebenfalls erwähnten Sabotage der Vulkangruppe „Das Grollen des Eyjafjallajökull“ (z.B. die Welt: „Bahn-Anschlag: Polizeigewerkschaft sieht Parallelen zu RAF-Terror“)? Wissen unsere „revolutionären Eisenbahner:innen vielleicht gar nicht, auf was sie sich da positiv beziehen? Oder ist es vielleicht ein mehr als schwachsinniges Argument, das Framing einer Sabotage in der Presse, die ja als verlängerter Arm der Repression immer versucht, Sabotagen zu delegitimieren, als Beweis dafür anzuführen, dass eine Sabotage vielleicht nicht ganz koscher sein könnte? Dabei scheint unseren „revolutionären Eisenbahner:innen“ sehr wohl bewusst zu sein, dass die Medien mehr als irgendetwas sonst der verlängerte Arm polizeilicher Öffentlichkeitsarbeit sind. Umso mehr überrascht dann doch die folgende Passage ihrer Erklärung:
„Eine Aktion, die eine emanzipatorische gesellschaftliche Veränderung möchte, sich aber nicht von selbst den Betroffenen vermittelt, steht in der politischen Verantwortung, sich zu erklären. Auch geht es mit einer Erklärung darum, die Deutungshoheit nicht dem politischen Gegner zu überlassen und der Nachrichtenmanipulation vorzubeugen.“
Nun ist ja der entscheidende Knackpunkt durchaus wann sich eine Sabotage oder auch Aktion von selbst vermittelt und wir werden darauf im Abschnitt zur Einheit von Zwecken und Mitteln noch ausführlich zu sprechen kommen, aber wird nicht gerade die „Deutungshoheit“ dem „politischen Gegner“ gerade dann überlassen, wenn man unkritisch das Framing der Medien aufgreift? Wäre einer „Nachrichtenmanipulation“ nicht vor allem dadurch vorzubeugen, indem man eine Diskussion über Sabotagen und Angriffe gerade nicht auf deren mediale Rezeption und Darstellung stützt? Und vor allem: Wo unsere „revolutionären Eisenbahner:innen“ schon so großmaulig von einer „politischen Verantwortung“ schwadronieren, wo bleibt diese „politische Verantwortung“, wenn man – wie sie es tun – ohne jeden belastbaren Beweis alleine aufgrund der Darstellung einer Sabotage in den Medien so schwerwiegende Unterstellungen ausbreitet, wie dass diese „konterrevolutionär“ wäre? Macht man sich dann nicht vielmehr selbst zu einem Werkzeug medialer „Nachrichtenmanipulation“ und spielt der „Deutungshoheit“ des „politischen Gegners“ selbst in die Hände? Oder anders gesagt, sind unsere „revolutionären Eisenbahner:innen“ nicht vielleicht in Wahrheit vielmehr selbst „konterrevolutionäre Eisenbahner:innen“?
Aber ob revolutionär oder eben konterrevolutionär, lassen wir doch einmal für einen Moment alle Eisenbahner:innen beiseite und kehren zurück zur Frage der Medien und der damit verbundenen Frage von Communiqués vor dem Hintergrund dessen, was zu einer „sozialen Revolution“ beitragen soll. Wenn die Medien ein wichtiges Werkzeug der Herrschaft sind, einen bestimmten gesellschaftlichen Konsens herzustellen und durch ihre Auseinandersetzung mit Sabotagen wie der diskutierten diesen gesellschaftlichen Konsens zu stärken oder wenigstens aufständische Fraktionen ideologisch zu isolieren (und wer würde diese Funktion der Medien in Frage stellen?!), ist es dann nicht absurd, sich mit Erklärungen an die selben Medien zu wenden und dabei zu hoffen, dass diese selbige im eigenen Sinne unter den Menschen verbreiten würden? Denn natürlich lassen sich die Medien nicht zugleich als Sprachrohr der eigenen Positionen betrachten, wenn man selbigen zugleich eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung dieser selbigen Positionen zuschreibt.
Und ist es nicht genauso absurd und tatsächlich der selben Logik folgend, Aussagen wie die folgende in die Welt zu setzen: „Über eine inhaltliche Auseinandersetzung kamen sie gleichzeitig herum, weil eben keine Position sichtbar wurde, zu der sich zum Beispiel Klimazerstörer und Kriegsbefürworter hätten ins Verhältnis setzen müssen.“ Zielen unsere „revolutionären Eisenbahner:innen“ denn mit ihren eigenen Aktionen tatsächlich darauf ab, dass „Klimazerstörer und Kriegsbefürworter“ ein inhaltliches Statement zu diesen abgeben? Hätten sie sich etwa damit zufrieden gegeben, wenn die Raffinerie Schwedt nach ihrer Aktion ein Statement der Art „Wir denken, die revolutionären Eisenbahner:innen haben Recht, in Zukunft werden wir Umweltzerstörung nur noch à la Windräder und Solarparks betreiben und glücklicherweise stammen die dafür benötigten Rohstoffe ohnehin nicht mehr aus der putinschen Kriegsmaschinerie, sondern hängen glücklicherweise ohnehin von den etablierten und in ihrer militärischen Auseinandersetzung weitestgehend abgeschlossenen kolonialen Eroberungsfeldzügen ab, an denen sich auch die revolutionären Eisenbahner:innen ihrer Erklärung gemäß nicht zu stören scheinen“ abgegeben hätte? Kann der Dialog mit der Macht ein Ziel von Revolutionären sein oder ist die „inhaltliche Auseinandersetzung“ der Macht mit den Positionen der Revolutionären nicht vielmehr eine erprobte und erfolgreiche Strategie der Kooptierung von Bewegungen?
Terrorismus
Es mag vielleicht ein spezifischer Fall von den Medien das Wort reden sein, wenn unsere „revolutionären Eisenbahner:innen“ behaupten, die fragliche Sabotage würde die Logik des Terrors bedienen und Angst in der Bevölkerung schüren. Vielleicht mag es an ihrer Selbstidentifikation als „Eisenbahner:innen“ liegen, dass unsere „revolutionären Eisenbahner:innen“ eine Sabotage gegen das Funknetz der Bahn als etwas deuten, was „gegen alle Menschen gerichtet [sei], nicht gegen Machtverhältnisse“. Aber ein kleiner Realitätscheck zeigt, dass tatsächlich eigentlich kein einziger Mensch außer jenen, denen man eine gewisse Anteilhabe an Machtverhältnissen zweifelsfrei attestieren muss, irgendwie Anteilseigner*in von diesem Funknetz wäre, davon profitiert oder sonstirgendwie von dessen Sabotage beeinträchtigt wäre. Mit Ausnahme davon vielleicht, dass aufgrund dieser Sabotage eine ganze Menge Züge nicht gefahren sind. Wenn nun aber die Menschen Angst bekommen würden, weil (mal wieder) ein Zug ausfällt oder sich verspätet, dann wäre die Deutsche Bahn die wohl gefürchtetste Terrororganisation auf dem gesamten Planeten. Und die geneigte Leserin stellt sich an dieser Stelle vielleicht zudem die Frage, inwiefern, wenn unsere „revolutionären Eisenbahner:innen“ tatsächlich eine solch schwachsinnige Ansicht vertreten würden, sie sich schließlich selbst von den vermeintlichen Verbreiter*innen von Angst und Schrecken unter „allen Menschen“ unterscheiden. Denn auch die Aktion, die sie gegen die Raffinerie Schwedt durchgeführt haben, richtete sich gegen Gleisanlagen, auf denen Personenzüge verkehrten. Haben sie etwa in einer militaristischen Logik der Kollateralschäden willentlich in Kauf genommen, dass sich die Züge der unschuldigen Menschen verspäten? Oder offenbart dies bloß die Schwachsinnigkeit ihres Argumentes und die Doppelmoral ihres Denkens? Oder verbirgt sich hinter dieser Rhetorik eigentlich etwas anderes. Wenn unsere „revolutionären Eisenbahner:innen“ etwa schreiben, dass „[d]ie davon unmittelbar Betroffenen als Subjekte nicht ernst genommen [werden] und es wird nicht versucht, sie abzuholen“ räumen sie schließlich unfreiwillig ein, dass sie die Menschen um sich herum als „Subjekte“ wahrnehmen, die „abgeholt“ werden müssten (wie naiv auch immer man sein kann, zu glauben, dass jene, die Zugausfälle und Verspätungen hinnehmen müssen, durch eine Erklärung á la „wir haben diese Störung herbeigeführt, für die gerechte Sache“ abgeholt werden würden), anstatt sie als selbst denkende Individuen mit eigenen Interessen zu respektieren. Sie begreifen sich also als eine Avantgarde, die den Menschen den an anderer Stelle als „richtigen Weg“ bezeichneten revolutionären Pfad weisen wollen. Wenn sie nun also die Rhetorik des Terrorismus gegen Sabotagen bemühen, die dies offensichtlich nicht wollen, so liegt doch der dringende Verdacht nahe, dass sie damit eigentlich nur sich selbst als legitime Avantgarde positionieren wollen, als unbedingt zu konsultierende (Möchtegern-)“Expert*innen der Bahnsabotage“ sozusagen, die eifersüchtig darauf reagieren, wenn sich irgendjemand anmaßt, aus eigenen Interessen loszuziehen und das Schienennetz anzugreifen, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, was sie davon halten mögen.
Aber nehmen wir einmal an, sie würde uns nicht förmlich ins Gesicht springen, diese Heuchelei und diese Doppelmoral unserer „revolutionären Eisenbahner:innen“ und widmen wir uns lieber noch einmal der Frage des Terrorismus: Wenn Terrorismus darin besteht, durch die Verbreitung einer diffusen Angst zu herrschen, dann können wir als Anarchist*innen keinen positiven Bezug zu Methoden des Terrorismus herstellen. Die militaristische Logik von Kollateralschäden lehnen wir ab. Aber wir sind nicht so verblödet, dass wir die Infrastrukturen der Herrschaft als Besitztum der Bevölkerung und Schläge gegen diese damit als Schlag gegen selbige betrachten würden. Tatsächlch hätten unsere „revolutionären Eisenbahner:innen“ vielleicht lieber einmal eine Umfrage unter den Fahrgästen der Bahn machen sollen, bevor sie sich zu derlei lächerlichen Aussagen versteigen: Sie hätten festgestellt: Keine*r von ihnen besitzt irgendwelche Züge oder andere Schienenfahrzeuge und niemand von ihnen identifiziert sich mit dem Eigentum der Bahn, selbst jene nicht, die dieses nichtsdestotrotz gegen diverse Formen von Vandalismus verteidigen. Diese Verdehung der Realität, der unsere „revolutionären Eisenbahner:innen“ hier aufgesessen zu sein scheinen, wurde vielmehr von Medien und Repression gezielt geschaffen, um Verwirrung hinsichtlich von glasklaren Angriffen auf die Herrschaft zu stiften. Dass ausgerechnet die angeblich „revolutionären“ Eisenbahner:innen dieser Verwirrung als Erste auf den Leim gehen ist traurig.
Einheit von Mitteln und Zwecken
Und das führt uns schon zum letzten Aspekt, auf den wir hier eingehen wollen. Denn auch wir halten die Einheit von Mitteln und Zwecken für unvermeidbar, wenn wir uns als Anarchist*innen auf eine Sabotage oder einen Angriff positiv beziehen wollen. Daran ändern im Wesentlichen gerade Erklärungen nichts. Worte sind verlogen. Die Erklärung warum man Kollateralschäden in Kauf genommen hat ändert nichts daran, dass man es getan hat. Die Entschuldigung für eine Fehleinschätzung, die dazu führte, dass unbeteiligte Dritte in Mitleidenschaft gezogen wurden mag zwar eine nette Geste sein, jedoch ändert sie nichts daran, dass dies passiert ist. Wenn man den spezifischen Verkehr von Tankzügen blockieren will und der Meinung ist, dass ein Angriff auf die Infrastruktur der Bahn im Allgemeinen nicht vertretbar ist, dann hilft auch das ausschweifendste Geschwätz nicht dabei, etwas an der Tatsache zu ändern, dass man aus Bequemlichkeit eben nicht die Industriegleise der Raffinerie Schwedt sabotiert hat, sondern das Schienennetz der Bahn an einem Punkt unterbrochen hat, an dem auch der Personenverkehr in Mitleidenschaft gezogen wurde. Und wenn dies wirklich die Haltung unserer „revolutionären Eisenbahner:innen“ ist, dann raten wir ihnen dringend, sich anstatt Spekulationen über andere Sabotagen anzustellen, lieber damit zu beschäftigen, wie es kam, dass sie in eine derart militaristische Logik abgleiten konnten. Aber wir sind ja nicht der Ansicht, dass die Sabotage gegen das Schienennetz überall und auch ein außer Kraft setzen des gesamten Zugverkehrs keine „emanzipatorische“ Sabotage wäre. Wo jedoch unsere „revolutionären Eisenbahner:innen“ eine ganze Reihe haltloser Behauptungen bis hin zu offenkundigen Lügen darüber aufgestellt haben, was zumindest die Auswirkungen der fraglichen Sabotage gewesen wären – und was nicht –, wollen wir hier unsererseits eine kleine Überprüfung anstellen, ob die tatsächlichen Auswirkungen der Sabotage vereinbar sind, mit anarchistischen, „emanzipatorischen“ oder freiheitlichen Absichten oder nicht. Ob dies den hinter dieser Aktion stehenden Zwecken entspricht können und wollen wir der Natur der Sache gemäß dabei keineswegs beantworten und wir verweigern uns hier jeglichen Kommentars, anders als unsere (konter-)“revolutionären Eisenbahner:innen“ die munter darüber spekulieren, welche Ziele die unbekannten Saboteur*innen verfolgt haben könnten.
Kommen wir zunächst darauf zu sprechen, was unsere (konter-)“revolutionären Eisenbahner:innen“ an Falschinformationen über die Auswirkungen der betreffenden Sabotage verbreiten: „Das Durchtrennen von Kommunikationskabeln an einem Wochenende trifft in der Regel mehr Wochenendreisende als die Wirtschaft,“ schreiben sie etwa. Haben unsere „revolutionären Eisenbahner:innen“ vielleicht gar keine Ahnung von ihrem vorgeblichen Beruf? Immerhin kann doch wirklich jede*r online eine Fahrplanauskunft auf der Webseite von DB Cargo abrufen, die enthült, wie unsinnig diese Aussage ist. „Mit der Aktion wurde kein Zug zur AfD-Kundgebung nach Berlin gestoppt, keine Kohletransporte und es wird politisch nichts geteilt,“ schreiben sie weiter und wiederum fragt man sich, was mit derart offensichtlichen Lügen erreicht werden soll? Die Auswirkungen der fraglichen Sabotage bestanden Medieninformationen zufolge darin, dass der Zugverkehr in Norddeutschland „für knapp drei Stunden eingestellt“ werden musste. Der Natur der Sache gemäß fielen dadurch zahlreiche Züge komplett aus und andere hatten viele Stunden Verspätung. Für Besucher einer Kundgebung der AfD nützt es freilich wenig, wenn ihr Zug Stunden nach Ende der Kundgebung eintrifft. Insofern überrascht diese Aussage unserer „revolutionären Eisenbahner:innen“ doch gewaltig. Wissen diese etwa etwas, was wir einfache Leute nicht wissen, etwa dass Besucher der AfD-Kundgebung in Geheimzügen (etwa versiegelt von der OHL, HAHA) dennoch transportiert wurden? Und natürlich fielen auch diverse Kohletransporte aus, bzw. verspäteten sich. So wie natürlich auch der „Rückstau“, den die Aktion der „revolutionären Eisenbahner:innen“ ausgelöst hat, bloß eine Verzögerung der Öltransporte aus Schwedt bewirkt hat und nicht deren Totalausfall. Aber offensichtlich ist es legitim für unsere „revolutionären Eisenbahner:innen“ einfach irgendwelche Falschinformationen zu verbreiten, wenn es ihrem Argument dienlich ist. So kommen auch offensichtlich völlig unüberlegte und überhebliche „Einschätzungen“ unserer „revolutionären Eisenbahner:innen“ zustande, wie „Wer gezielt bei der Bahn die Redundanz auf einer größeren Strecke ausschalten kann, dem trauen wir auch einen Weg zur Veröffentlichung einer politischen Erklärung zu.“ Man ist geradezu versucht, solch arroganten Wichtigtuern zuzurufen: „Noch seid ihr nicht aus dem Schneider. Aber keine Sorge solltet ihr aufgrund einer Identifizierung durch das BKA wegen eurer seitenlanger Communiqués am Ende doch noch identifiziert werden, werden wir nichtsdestotrotz solidarisch mit euch sein.“
Aber genug von diesen „revolutionären Eisenbahner:innen“. Auswirkung der fraglichen Aktion bleibt der Ausfall des Zugfunks im Norden der BRD. Die auf der Strecke befindlichen Züge begaben sich daraufhin dem Notfallprotokoll für derlei Situationen gemäß zurück in den nächstgelegenen Bahnhof, wo sie blieben, bis der Funk wiederhergestellt wurde. Eine Gefährdung von Passagieren und Zugpersonal durch die Aktion selbst war also im Wesentlichen ausgeschlossen, wovon anzunehmen ist, dass dies den Saboteur*innen bekannt gewesen sein dürfte. Dass der Zugverkehr flächendeckend im Norden von Deutschland in weiterer Folge still stand, dürfte die beabsichtigte Auswirkung des Ganzen gewesen sein. Eine Störung des Ablaufs bei der Bahn, eine Unterbrechung der Normalität, warum also trotz der Tatsache, dass Kabel ohne Feuer durchtrennt wurden, nicht auch ein Funke, der das soziale Pulverfass sucht? Eine Inspiration für all jene, die danach streben, die kriegerische und koloniale Logistik des Schienennetzes zu stören und das System, dem sie dient zu zerstören. Und selbstverständlich diskutieren die Medien und die Politik nun darum, wie angreifbar kritische Infrastruktur ist und wollen Maßnahmen zu ihrem Schutze ergreifen. Aber ist die Sabotage selbst deshalb „Wasser auf den Mühlen autoritärer Strukturen, die nach dem starken Staat und dem Militär schreien„, wie es unsere (konter-)“revolutionären Eisenbahner:innen“ behaupten? Oder ist dies nicht vielmehr die Behauptung jener, die Angst haben, dass ihnen die Kontrolle über eine soziale Situation entgleiten könnte und ihr vorgeblicher Berufsstand von der sozialen Revolte in die Arbeitslosigkeit entlassen werden könnte? Und so widmen wir den „revolutionären Eisenbahner:innen“ ein Gedicht, das 1907 schon einmal der deutschen Sozialdemokratie gewidmet worden war:
War einmal ein Revoluzzer, im Zivilstand Lampenputzer; ging im Revoluzzerschritt mit den Revoluzzern mit.
Und er schrie: „Ich revolüzze!“ Und die Revoluzzermütze schob er auf das linke Ohr, kam sich höchst gefährlich vor.
Doch die Revoluzzer schritten mitten in der Straßen Mitten, wo er sonsten unverdrutzt alle Gaslaternen putzt.
Sie vom Boden zu entfernen, rupfte man die Gaslaternen aus dem Straßenpflaster aus, zwecks des Barrikadenbaus.
Aber unser Revoluzzer schrie: „Ich bin der Lampenputzer dieses guten Leuchtelichts. Bitte, bitte, tut ihm nichts!
Wenn wir ihn‘ das Licht ausdrehen, kann kein Bürger nichts mehr sehen. Laßt die Lampen stehn, ich bitt! Denn sonst spiel ich nicht mehr mit!“
Doch die Revoluzzer lachten, und die Gaslaternen krachten, und der Lampenputzer schlich fort und weinte bitterlich.
Dann ist er zu Haus geblieben und hat dort ein Buch geschrieben: nämlich, wie man revoluzzt und dabei doch Lampen putzt.
Ein Gegenvorschlag zu den überall existierenden Zielen und eine weitere Kritik an der Militarisierung des anarchistischen Angriffs
Wer kennt es nicht? Da möchte man endlich einmal etwas reißen, möchte mit den eigenen Taten endlich die soziale Revolution vom Zaune brechen. Man zieht also des Nachts los, alleine, zu zweit oder mit einer ganzen Gang an Kompliz*innen … und wenn man am nächsten Morgen erwacht, da muss man feststellen, dass es doch wieder einmal nur des Bonzen- oder Yuppie-Nachbars Auto gewesen ist, an dem man sich da vergangen hat, ja dass die sichtbaren Spuren der Tat bereits von der Stadtreinigung zusammengefegt wurden, vielleicht begegnet man sogar dem Nachbar selbst, der einen aus dem offenen Verdeck seines Zweit- oder Drittwagens freudig begrüßt, bevor er aufbricht, sich ein neues, schickeres Auto zuzulegen. Na gut, es ist vielleicht oft weniger der Bonzen-Nachbar, dessen Auto es erwischt und selbst wenn, so gibt es doch in der Regel wesentlich mehr Anlass zur Genugtuung, weil die Stadtreinigung mit einem ausgebrannten Autowrack doch etwas mehr überfordert ist und sich selbst die reichsten Bonzen doch ein klein wenig darüber ärgern, ja manchmal sogar ein klein wenig ängstigen, dass da jemand ihr Auto angezündet hat. Meist sind es ja eher die Autos irgendwelcher großen Konzerne, die global oder lokal an Gentrifizierung, Gefängnisbau, Kriegs-, Lager-, Grenz- und Abschiebeindustrie und manchmal auch am Ausbau des smarten, technologischen Gefängnis, in dem wir alle uns befinden, beteiligt sind. Und natürlich macht auch mein Herz einen Freudensprung wann immer ich ein ausgebranntes, geplättetes, bemaltes oder anderweitig demoliertes Fahrzeug dieser Art am Wegesrand erspähe, ja sogar wenn ich in einer anarchistischen Zeitung/Broschüre von einem nahen oder fernen Ort davon lese und manchmal sogar wenn ich in den noch nicht völlig belanglosen Weiten des Internets von einem solchen Ereignis erfahre. Und doch: Wenn ich den Vorschlag vernehme, “endlich die Grenzen des symbolischen Widerstands hin zu einem materiellen Schaden an der feindlichen Infrastruktur” zu überschreiten und diese Willensbekundung in diesem Kontext durch aufgelistete Brandanschläge gegen vor allem Fahrzeuge entsprechender Unternehmen als Beispiele eines praktischen Ausdrucks dieses Vorschlags (zu finden in der Broschüre “Targets that exist everywhere – a strategic proposal for building a common front against the profiteers of war and repression”) untermauert wird, dann beschleichen mich doch erhebliche Zweifel, inwiefern das erklärte Ziel auf diesem Weg überhaupt erreicht werden kann.
Tatsächlich habe ich mich schon oft gefragt, inwiefern bestimmte, immer wiederkehrende Angriffsziele – und dazu gehören die Firmenfahrzeuge der diversen Firmen, die als überall existierende Ziele ausgemacht werden, allemal – nicht vielmehr dazu beitragen, die Angriffe auf die Herrschaft zu ritualisieren, d.h. vor allem sie zu einer symbolischen Handlung werden zu lassen, die zwar vielleicht eine gewisse Wut, ein Nichteinverständnis, usw. auf eine relativ unvereinbare Weise auszudrücken vermag, die jedoch weit davon entfernt ist, materiellen Schaden von Bedeutung zu verursachen und die damit in gewissem Grad auch kalkulierbar, vorhersehbar, kompensierbar wird. Das bedeutet nicht, dass ein solcher Angriff keinen Wert hätte. Er kann einer*m selbst die Handlungsmacht oder, vielleicht auch nur eine andere Bezeichnung dafür, die eigene Würde wiedergeben, er kann andere ermutigen, er kann die richtigen Personen einschüchtern, verunsichern und zum Nachdenken anregen. Er kann sowohl den Unterdrückten, als auch den Herrschenden vor Augen führen, dass Akte des Angriffs immer möglich sind, egal wie kontrolliert und geordnet ein bestimmter Raum auch sein mag und es kann sich um eine Tat der Genugtuung, der Rache handeln. All das hat seinen Wert, all das kann in bestimmten Situationen sogar ein gigantisches Potential entfachen oder anstacheln, das in Aufständen und Revolten münden kann, selbst wenn sich das nur sehr selten vorhersagen lässt. Und doch ist ein brennender Transporter einer Knastbaugesellschaft, eines Logistikunternehmens, eines Fahrzeughändlers, eines Technologieunternehmens, usw., so sehr er auch Symbol für bestimmte Kämpfe sein mag, nur selten mehr als das, vermag nur selten die Abläufe so empfindlich zu stören, die Infrastruktur so gewaltig zu treffen, dass dadurch ein nennenswertes Aufbruchmoment entstünde oder auch nur entstehen könnte, dass die Logistik der Herrschaft entscheidend genug gestört wäre, Produktionshallen stillstehen, Baustellen nicht weiter voranschreiten und die Nachschublieferungen an die Frontlinien des Krieges und der Repression ausbleiben würden. So viel Realismus muss nun einmal sein, will man sich nicht in einer selbstreferenziellen, ideologisierten und ritualisierten Praxis verlieren.
Wo bleibt die Kreativität bei der Identifikation lohnenswerter Ziele, fragt man sich, wenn man die Seiten der “Targets that exist everywhere”-Broschüre durchblättert? Die Antwort scheint eine ansonsten unauffällige Bemerkung zu Beginn des Vorschlags zu liefern: “Es sollte uns nicht genügen, […] jedes Mal aufs neue nach passenden Solidaritäts-Aktionen zu suchen, sondern wir schlagen vor, die Informationen über die Feinde der Freiheit zu sammeln und diese so zu verbreiten, dass diese überall bekannt werden.” Aber warum sollten wir nicht stets aufs neue überlegen, wo wir mit unseren Angriffen ansetzen könnten? Einfach nur immer mehr derselben Ziele anzugreifen, mit den immer gleichen Methoden zudem, erscheint mir ein quantitatives Argument zu sein, das zudem außer Acht lässt, dass dies – auch wenn die Verfasser*innen der Broschüre das zu übersehen scheinen – eine in den vergangenen Jahrzehnten anhaltend ebenso wie relativ flächendeckend reproduzierte Strategie ist, die sich quantitativ ohnehin nur schwerlich steigern ließe und die zudem auch bisher nicht wirklich zum Zusammenbruch der Herrschaft führte. Dass etwa Firmen bestimmte Regionen meiden, weil sie dort angegriffen werden, mag auf den ersten Blick wie ein Erfolg wirken (und ist es ja auch, nur eben nicht in einem absoluten Sinne), allerdings bedeutet das auch, dass diese Firmen dann eben ihre Standorte anderswo aufschlagen, wo sie relativ unbehelligt bleiben. Der Herrschaft selbst hat das selbst in den ursprünglich gemiedenen Regionen nur mäßig geschadet. Es geht mir nicht darum, die Erfolge dieser Strategie(en) klein zu reden, nur möchte ich mich dagegen erwehren, dass eine solche Strategie an die Stelle des eigentlichen Ziels, das mit ihr erreicht werden soll, tritt. Obwohl etwa LKWs von DB Schenker immer wieder in Flammen aufgehen, transportiert das Unternehmen weiterhin mit Erfolg Rüstungsgüter und andere Produkte. Wenn denn nur mehr dieser LKWs brennen würden, mag manch eine*r da nun schwelgen und darauf warten, dass andere sich an dieser Kampagne beteiligen. Ein*e andere*r dagegen mag losziehen und sich die Gütergleise ansehen, wie sie durch ganz Europa verlaufen, mag mal hier, mal dort ausprobieren, welchen Effekt Feuer auf Signalanlagen und Weichen hat, mag sich Möglichkeiten überlegen, Gleise zu blockieren, Kabel zu durchtrennen, usw., während wieder ein*e andere*r herausfinden mag, wie man die für die Rüstungsindustrie relevanten Lieferungen des Konzerns identifiziert und dann ganz gezielt unschädlich macht. Ein*e Dritte*r, die in einer Region lebt, in der DB Schenker seine LKW warten lässt könnte dagegen herausgefunden haben, wie dieses eine Werkstor sabotiert werden kann, so dass die LKW nach ihrer Wartung einen Tag lang nicht wieder vom Parkplatz der Werkstatt fahren können. Sekundenkleber im Schloss könnte das vollbracht haben, was anderswo Buttersäure in der Gebäudelüftung bewirkt haben mag: für eine Stunde, einen Tag oder mehr stillstehende Produktionshallen und Werkstätten. Es sind naturgemäß nur wenige, sehr grob ausgearbeitete Ideen, die ich hier präsentieren kann und will, aber ich denke dass dabei eines klar werden dürfte: Das kreative Potential weniger Individuen, die auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten und sich dabei nicht einer schon im Voraus und nach irgendwelchen Kriterien der “Krassheit” bestimmten Methodik verschreiben, kann einen sehr viel wirksameren Einfluss haben, als der Aufruf jener nach den selben Kriterien bemessenen, “krassen” Superbrandstifter*innen, die verzweifelt darauf hoffen, dass mehr und mehr Menschen eine von ihnen praktizierte und zum Ideal erhobene Methode nachahmen, weil sie alleine dadurch effizient in ihrem Sinne wird.[1] Wobei natürlich nichts dagegen spricht, Erkenntnisse zusammenzutragen, Wissen über Lieferketten, Schwachstellen, Methoden und weiteres zu kommunizieren. Aber es ist ja nicht so, dass man dazu immer ein Communiqué schreiben müsste … Auch ohne solche Communiqués lässt sich Inspiration aus den in sowohl anarchistischen Zeitungen wie auch auf diversen Blogs im Internet dokumentierten Angriffen gegen die Infrastruktur der Herrschaft ziehen, ja auch ohne Communiqués beziehen sich Angriffe und Kämpfe aufeinander in dem, was sie zu ihrem Ziel wählen, wie und wann sie durchgeführt werden, usw. usw.
Ziele, die überall existieren … Nun, sicher ist es praktisch, mal eben ein paar Fahrzeuge der Technologie-Multis und der Profiteur*innen von Knast und Krieg in der eigenen Nachbarschaft abzufackeln, wo sie unbewacht herumstehen. Und ich möchte sicher nicht dafür plädieren, das bleiben zu lassen. Aber wenn wir davon sprechen, wie wir von symbolischen Angriffen übergehen können zu einer Praxis, die unserem Feind materiellen Schaden zufügt, dann scheinen mir diese überall existierenden Ziele so ziemlich das Gegenteil zu verkörpern: Sind nicht gerade sie symbolische Interventionen? Der Unterschied zwischen materiellem Schaden und symbolischer Intervention, er besteht schließlich in aller Regel nicht im verursachten Sachschaden. Auch wenn es natürlich Ausnahmen gibt. Vielmehr ist doch die Frage, ob es einem Angriff gelingt, die Herrschaft für eine Weile lahmzulegen. Und darin muss der Ansatz der überall existierenden Ziele letztlich scheitern … zumindest wenn man davon ausgeht, dass er sich nicht massenhaft reproduzieren wird – was die Erfahrung zweifelslos zeigt. Denn mit den Fahrzeugen einer handvoll Unternehmen, zielen wir in der Logistik derselben vor allem auf einzelne Techniker*innen, die zudem oft bloß ein klein wenig in ihrer Mobilität – denn ein Ersatzauto lässt sich, zumindest wenn es sein muss, heute schnell auftreiben – beschnitten werden. Selbst die wenigen Materialien und Werkzeuge, die in den Fahrzeugen gelagert sind, lassen sich in der Regel schnell ersetzen. Es mag hier natürlich Ausnahmen geben, etwa wenn aufwändig ausgerüstete Spezialfahrzeuge getroffen werden oder Baugerät wie Bagger, Kräne, usw., wo Ersatz nicht einfach beim nächsten Autoverleih beordert werden kann, sondern erst einmal herangeschafft werden muss, aber auch wenn auch dieses Gerät vielleicht weit verbreitet sein mag, bewegen wir uns hier wenigstens vom Ansatz her bereits von den überall existierenden Zielen weg, denn es ist ja gerade die Nicht-Omnipräsenz dieser Ziele, die man sich hier zunutze macht. Um fair zu sein: In der Broschüre “Targets that exist everywhere” mangelt es an solchen Beispielen nicht. So wird etwa der Angriff auf einen Kran auf der Baustelle des geplanten Amazon-Logistikzentrums in Achim bei Bremen ebenso aufgezählt, wie der Angriff auf die gesamte Baufahrzeugflotte des Eurovia-Konzerns in Limoges, sowie einige weitere Angriffe auf schwer zu ersetzende Fahrzeugflotten. Und doch scheint es vor allem eine Sammlung an einzelnen Fahrzeugbrandstiftungen zu sein, eben “überall existierende Ziele”, die uns die Broschüre präsentiert und vorschlagen will.
Aber was wenn man die Devise einmal umkehrt? Wie wäre es, wenn statt Zielen, die überall existieren einmal Ziele, die nirgendwo sonst existieren in den Mittelpunkt gerückt werden würden? Denn die Herrschaft durchdringt den Raum weder gleichmäßig, noch gleichförmig. Jede ihrer Infrastrukturen besitzt Knotenpunkte, die von besonders zentraler Bedeutung sind, während die einen Territorien stärker von dieser und die anderen stärker von jener Infrastruktur geprägt sind. Global gesehen lassen sich etwa die Hightech-Metropolen mit ihrer Forschungs-, Finanz-, Rüstungs- und Hightechproduktionsinfrastruktur von der vielmehr extraktivistisch und landwirtschaftlich ausgebeuteten Peripherie unterscheiden. Und selbst innerhalb der kapitalistischen Metropolregionen, von denen die “Überall existierenden Ziele” vorrangig zu handeln scheinen, offenbaren sich bei einem genaueren Blick ganz unterschiedliche infrastrukturelle Schwerpunkte. Während die eine Region geprägt ist, vom Braunkohleabbau und der Energiegewinnung daraus, sitzt anderswo vor allem die Computer-Hightechbranche und wieder anderswo hat die Biotechnologiebranche ihre Zelte aufgeschlagen, während Automobilindustrie und Chemiekonzerne seit beinhe einem ganzen Jahrhundert ganze Städte und Regionen nach ihren Bedürfnissen geordnet haben, Hafenstädte wichtige Handelsmetropolen bilden und manchmal einzelne Militärstandorte und sogar einzelne Funkmasten von internationaler (militärischer) Bedeutung sind. Inmitten dieses Geflechts lassen sich ganz unterschiedliche, oft einzigartige Angriffspunkte identifizieren, die der Herrschaft sehr viel mehr materiellen Schaden zuzufügen vermögen, als das die Brandstiftung an den Fahrzeugen mit den immer gleichen Aufschriften vielleicht vermag. Es mag vielleicht einen gewissen Aufwand bedeuten, sie zu identifizieren, manchmal mögen sie besser, manchmal vielleicht auch schlechter geschützt sein, als die überall existierenden Ziele, und man mag gezwungen sein, der individuellen Kreativität freien Lauf zu lassen, bei der Identifikation und Zerstörung dieser Ziele. Nichtsdestotrotz oder gerade deswegen denke ich, dass diese Ziele möglicherweise den interessanteren Ansatzpunkt im Kampf gegen die Herrschaft liefern mögen. Nicht zuletzt, weil ihnen letztlich auch eine präzisere Analyse über die Funktionsweise der Herrschaft zugrunde liegt, als das abstrakte Schreckgespenst von global tätigen Unternehmen, Polizeien und Armeen, die einfach überall gleichermaßen latent vorhanden zu sein scheinen.
Die Broschüre “Targets that exist everywhere” schließlich, endet mit einem Aufruf zur Bildung eines “Netzwerks der Revolutionären Gewalt”, einem weiteren Vorschlag, jede Individualität des anarchistischen Angriffs aufzugeben und sich humorlos, verbissen und selbstdisziplinierend unter der Fahne einer weiteren revolutionären Organisation, den “Direct Action Cells” zu versammeln. Mit anderen Worten: Einmal mehr der Vorschlag, den anarchistischen Angriff zu militarisieren.
Es fällt mir schwer, derartige Vorschläge, gerade wenn sie so unverblümt mit Zitaten autoritärer Organisationen – deren Vorbild sie immerhin folgen – eingeleitet werden, überhaupt als antiautoritär anzuerkennen. Und ich kann nicht umhin, in diesem Vorschlag eben jene Verbissenheit wiederzuerkennen, die ich auch in dem zweifellos quantitativen Versuch von den überall existierenden Zielen zu erkennen glaube. Weil dieser Vorschlag eben nur dann erfolgreich sein kann, wenn sich ihm die Massen anschließen, verfällt man schließlich in eine avantgardistische Position, aus der heraus man einen Großteil seiner Energie darauf verschwendet, anderen zu sagen, was sie gefälligst tun sollen und ihnen, tun sie das nicht – oder nicht in der verlangten Form –, die Ernsthaftigkeit ihrer anarchistischen Ideen abzusprechen. Weil man sich selbst entschieden hat, mit dem Kopf durch die Wand brechen zu wollen, weil man sich selbst entschieden hat, die eigene Individualität, die Einzigartigkeit des eigenen Kontexts und möglicherweise auch den Spaß eines gegen die Herrschaft gelebten Lebens aufzugeben und fortan einer langweiligen, einheitlichen Organisation (“Unity”, dt. Einheit ist neben “Organisation” und “Krieg” eine der Parolen der Direct Action Cells) anzugehören, bleibt einem selbst nichts weiter vorzuschlagen, als dass andere dasselbe täten, also ebenfalls ihrer Individualität und den einzigartigen Kontexten, in denen sie sich bewegen, den Rücken zu kehren und fortan die Flagge der Direct Action Cells zu schwingen.
Aber welche Möglichkeiten eröffnet das wirklich? Sind wir – und wer ist dieses wir überhaupt – tatsächlich stärker, nur weil wir uns unter einer Flagge vereinen? Dass ich nicht der Meinung bin, dass der anarchistische Angriff durch die Verengung seines Fokus auf überall existierende Ziele einen strategischen Zugewinn erfährt, das habe ich bereits ausgeführt. Es ist unschwer zu erraten, was ich davon halten mag, unter einer Flagge vereint, ja überhaupt unter irgendeiner Flagge, zu kämpfen. Ich halte es nicht für einen Zufall, dass auch dieser konkrete Vorschlag dem Vorbild autoritärer kommunistischer Organisationen folgt. Und dies ist letztlich auch der einzige Wert – bzw. für mich ist es vielmehr kein Wert –, den dieser Vorschlag zu schaffen vermag: Einheitlichkeit. Aber was haben Anarchist*innen von Einheitlichkeit, Treue zu einer Fahne, Verbissenheit und Pflichterfüllung? Richtig: Nichts. Es ist vielmehr die Aufgabe des anarchistischen Projekts. Denn der anarchistische Angriff, er lässt sich nicht militarisieren!
[1]Ich möchte hier vielleicht anmerken, dass es nicht meine Absicht ist, spektakuläre Brandstifungen oder andere spektakuläre – oder sagen wir vielleicht lieber gewaltige – Angriffe abzuwerten und sicher habe auch ich eine Art Fetisch, solche Angriffe intuitiv ein klein wenig zu überhöhen. Mir geht es vielmehr darum, diesen Fetisch oder neutraler ausgedrückt, diese Faszination, nicht zu einem Ideal werden zu lassen, darum, zurückzutreten und hier und da einen genaueren Blick auf Angriffe zu werfen und dabei weder zu vergessen, dass auch Angriffe die nicht diese gewaltige, spektakuläre Form annehmen, sehr effizient sein können – etwa weil sie stattdessen genau die richtige Stelle treffen, um auf eine sehr unspektakuläre Weise die Produktion lahmzulegen –, genausowenig wie die Tatsache, dass es nicht jeder*m immer möglich ist und nicht jede*r immer bereit ist, so viel aufs Spiel zu setzen oder so viel Aufwand zu betreiben, wie es die meisten dieser spektakuläreren Angriffe erfordern.
Ein Kommentar zur aktuellen Serie von Angriffen auf Grünenbüros in der BRD
Eine Serie von Angriffen auf Büros der Regierungspartei die GRÜNEN schwappt dieser Tage durch die Bundesrepublik Deutschland. Mal werden die Scheiben eingeworfen, mal wird die Fassade mit Farbe verunstaltet, mal gibt es Communiqués, mal werden politische Parolen hinterlassen, mal nicht. Was all diese Angriffe gemeinsam haben: Sie sind ein Angriff auf eine Partei, die in den letzten Monaten Rüstungsausgaben erhöht, Waffen exportiert, Kriege unterstützt, aber durch ihre Politik auch eine weitere Verarmung der Menschen, die fortgesetzte Vergiftung und Zerstörung der Umwelt in der die Menschen leben durch v.a. Windkraftanlagen, den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken und Kohlekraftwerken, den Bau von Flüssiggasterminals, usw., usw., beschlossen hat und all das noch mit dem überheblichen Grinsen wohlstandsgenährter Bessermenschen und einhergehend mit den typisch-herablassenden Ratschlägen völlig realitätsentfremdeter Politiker*innen hinsichtlich des Dusch-, Heiz- und Stromverbrauchsverhaltens der Menschen. Ganz nebenbei wurden von GRÜNEN-Politikern zudem fleißig Verträge über neue koloniale Energieprojekte abgeschlossen, die europäischen Grenzen weiter verstärkt und deren mörderische Praktiken aufrechterhalten, sowie Militarisierungsbestrebungen im Inland durchgewunken. GRÜNE Politik erweist sich wieder einmal (und wen überrascht das eigentlich wirklich), als in ihren Auswirkungen dramatischer als selbst die konservativste Politik der letzten Jahre und angesichts eines noch immer vorherrschenden Fokus antifaschistischer Interventionen gegen die rechtspopulistische, aber politisch wenig einflussreiche AfD – während die gleiche “antifaschistische” Bündnispolitik noch immer Organisationen der GRÜNEN und ihrer Jugendorganisationen weitestgehend unhinterfragt zu ihren Bündnispartner*innen zählt –, muss man sich als “Antifa” dieser Ausprägung ganz gewiss zurecht die Frage gefallen lassen, ob man nicht eigentlich vielmehr ein para-staatliches Bollwerk nach dem Vorbild diverser kommunistischer, wie faschistischer Schlägertrupps der späten 20er Jahre wäre, auch wenn diese Frage in aller Regel von jenen gestellt werden zu scheint, die sich eigentlich nur einen Staat in politisch leicht divergierender Ausprägung wünschen.
Aber natürlich ist die “Antifa” der Parteijugenden und ihrer etwas hipper wirkenden parteilosen Verbündeten gewiss die letzte Kraft, auf die man hinsichtlich des Kampfes gegen ökofaschistische Bestrebungen zählen sollte und offensichtlich gibt es ja eine ganze Reihe von Menschen, die erkannt haben zu scheinen – oder besser noch: denen diese Tatsache schon immer oder wenigstens schon seit langem klar war –, dass die GRÜNEN ihrer Natur gemäß Feind jeder Bewegung nach Freiheit sind und als solche sowohl angegriffen werden können, wie auch angegriffen werden müssen, will man nicht tatenlos dabei zusehen, wie dieses Politiker*innenpack versucht sämtliche Aufbrüche in Richtung Freiheit zu rekuperieren und damit unschädlich zu machen. Und so kommt es auch, dass es in den vergangenen Monaten zahlreiche Angriffe gegen Parteibüros der GRÜNEN gegeben hat, zu denen sich von anarchistischer Seite oder sogar selbst von linker Seite, jener linken Seite, die vielleicht noch nicht gänzlich ihr Hirn an der Wahlurne abgegeben hat, bekannt wurde.
Ob in Berlin (https://sozialerzorn.noblogs.org/post/2022/10/06/b-ihr-seid-die-krise-parteibuero-der-gruenen-eingeworfen/), Leipzig (https://sozialerzorn.noblogs.org/post/2022/08/17/scheiben-an-gruenen-buero-eingeschlagen/) oder anderswo haben sich Menschen dazu entschlossen, ihre Gründe für den Angriff auf die GRÜNEN kund zu tun. Und siehe da: diese Menschen streben nach Freiheit – und damit meinen sie nicht die kleinkarrierte bürgerliche Vorstellung von einer “Freiheit” der Parteien, des Kapitals und des Staates die Menschen zu schröpfen. Auch auf das Grünen Büro in Harburg hat es einen Angriff gegeben, der seine Gründe anhand von Parolen offen legte: “How Dare You”, “Stopp Kohle”, “Lützi” und ein gelbes X prangten am Abend des 19. Oktobers 2022 am Parteibüro der GRÜNEN in Harburg. Eine klare Botschaft, die zwar ein wenig bittstellerisch daherzukommen scheint, aber nichtsdestotrotz eindeutig bleibt. Und dann gibt es da noch eine Reihe von Angriffen, deren Botschaft zwar unmissverständlich bleibt, deren Gründe jedoch von den Angrifer*innen niemals kund getan wurden. In München beispielsweise wurden im Juli und Oktober die Scheiben eines GRÜNEN Büros im Stadtteil Schwabing-West von Unbekannten zweimal mit Steinen eingeworfen. Keine Botschaft. Kein Communiqué. Keine Festnahmen. Aber was gibt es dazu auch zu erklären? Und es gibt gewiss keinen Anlass dazu zu spekulieren, wer hinter dieser Tat stecken könnte und ob dessen Motive vielleicht “unrein” gewesen sein könnten. Anders sieht es vielleicht – sofern dies nicht eine Konstruktion der, wie manch verwirrter Geist so treffend sagt(e) “Lügenpresse” ist – im Falle des in-Brand-Setzens einer Sitzbank vor dem Büro der GRÜNEN Familienministerin Paus in Berlin-Charlottenburg aus. Augenscheinlich im Erdgeschoss eines Wohngebäudes gelegen und offenbar während ein*e Mitarbeiter*in in dem Büro zugegen war, spricht dieser Angriff keine sonderlich freiheitliche Sprache, sondern vielmehr die einer militaristischen Logik, in der bereitwillig Kollateralschäden in Kauf genommen werden, selbst für die geringfügigsten Schläge gegen den politischen Feind. Dass zudem in unmittelbarer Nähe zum Ort des Geschehens der Schriftzug NSU prangte, mag da auch den letzten Verdacht zerstreuen, dass hier Menschen am Werk gewesen hätten sein können, denen die Freiheit ein Anliegen sein könnte.
Doch die offensichtliche Tatsache, dass es selbstverständlich auch Feinde der GRÜNEN innerhalb des politischen Parteienspektrums und darüber hinaus im Spektrum der Macht gibt, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass just in diesem Moment etwas ganz anderes im Gange sein könnte: Nämlich eine Welle an Angriffen auf die GRÜNEN, die vom Verlangen nach Freiheit genährt wird. Ein Verlangen, auf das weder Linke, noch Anarchist*innen ein Monopol besitzen und das gerade dann gefährlich wird, wenn es sich unter den Ausgebeuteten und Ausgeschlossenen der Gesellschaft ausbreitet und diese zum Angriff auf jene treibt, die sie unterdrücken.
Das wissen die GRÜNEN und ihre Adjutanten bei der “Lügenpresse” natürlich genauso. Und möglicherweise ist eben dies der Grund, warum sie in Reaktion auf die hoffentlich gerade erst beginnende Serie von Angriffen gegen sie entschieden haben, diese als “von Rechts” kommend zu framen, als “demokratiefeindlich” (was sie gewiss sind, aber ist nicht die Feindschaft gegen die Demokratie zuallererst ein Indiz für ein Streben nach Freiheit?) und folglich als ihrem Wesen nach “autoritär” oder gar “faschistisch”. Vielleicht überschätzt man die GRÜNEN damit ja auch und eigentlich sind sie wirklich so dumm, wie sie vorgeben, wenn sie etwa in Reaktion auf oben genannten Angriff auf ihr Büro in Harburg sagen: “Wir haben uns natürlich aufgeregt. Ich vermute aber, dass das nicht von links kommt.” Ich denke es wäre ein Fehler, hier nur Dummheit anzunehmen. Nein, was die GRÜNEN hier versuchen, ist mithilfe von Verwirrung über die Frage irgendwelcher ohnehin hohler politischer Identitäten ihrer Feind*innen auch die Welle an Angriffen gegen sie abzuschwächen. Es ist nachvollziehbar, dass man als nach Freiheit strebende*r Angrifer*in nicht mit autoritären Kräften verwechselt werden möchte. Nichtsdestotrotz sollten wir uns davor hüten, es der Presse und den GRÜNEN oder allgemein unseren Feinden zu überlassen zu beurteilen, wo diese Verwechslung vorliegen könnte. Indem die GRÜNEN in Harburg etwa versuchen, den Angriff auf sie als eine False-Flag-Aktion von Rechts darzustellen, versuchen sie natürlich, sich als eigentlich legitimen Bündnispartner einer radikal linken Politik zu inszenieren. Und auch wenn hier bereits eine gehörige Verwirrung unter radikalen Linken, die tatsächlich derlei Bündnisse eingehen, zu herrschen scheint, bzw. je nach begrifflicher Fassung genau diese Art von Verwirrung ein Kernproblem dessen ist, was die radikale Linke ausmacht und von der es sich aus Sicht von Antiautoritären dann auch abzugrenzen gilt, wäre ein Erfolg mit dieser Strategie fatal. Denn ein Bündnis mit den GRÜNEN ist heute vielleicht mehr als jemals zuvor der totale Verrat an jeder subversiven Idee.
Die einzig passende Antwort auf derlei Bestrebungen seitens der GRÜNEN ist dabei erfreulicherweise mit jeder Menge Spaß verbunden: Sorgen wir dafür, dass die Angriffe gegen die Grünen nicht abreißen. Sorgen wir dafür, dass wir mit unseren Taten eine klare Sprache sprechen, die sich immer und überall gegen alle Autoritäten richtet und jeder militaristischen Logik entflieht. Und vielleicht am wichtigsten: Lassen wir uns nicht auf die Logik des Spektakels ein. Lassen wir uns nicht von den Lügen der Presse einlullen, sondern lasst uns ein eigenes Verständnis von der Welt in der wir leben entwickeln. Lasst uns sämtliche Rechts-Links-Frontenbildung über den Haufen werfen und stattdessen in Worten und Taten nach jenen Verbündeten suchen, mit denen wir die gleiche Sprache der Freiheit sprechen und die gleiche Vorstellung davon, sowie des Kampfes um sie teilen. Denn ein Angriff auf die GRÜNEN, ebenso wie jeder Angriff auf die Herrschaft bleibt zunächst einmal genau das; und nur weil die Macht versucht, Narrative zu entwickeln, die durch eine Rechts-Links-Einteilung von für sich sprechenden Taten die Kontrolle über solche Angriffe wahren sollen, sollten wir nicht den Fehler machen, diesem billigen Versuch der Aufstandsbekämpfung auf den Leim zu gehen.
Auf dass die Grünen in der Welle an Hass auf ihre mörderische, koloniale und sozialchauvinistische Politik der Umweltzerstörung, der Grenzen und des Krieges ertrinken mögen und nicht nur sie, sondern mit ihnen auch all die Technokraten, die Faschisten, die Demokraten, die Leninisten und wie sie noch alle heißen!