Berlin, 5. Juni 2022
Am 10. Juni jähren sich zum zweiten Mal die Razzien und DNA-Abnahmen, die schließlich im Antifa Ost Verfahren mündeten. Deshalb haben wir in der Nacht zum 05. Juni die sächsische Landesvertretung in Berlin mit einem Bitumen-Löscher und Steinen angegriffen.
Seit dem Prozessbeginn des sogenannten Antifa-Ost Verfahrens am OLG Dresden gegen die ersten vier Angeklagten fragen wir uns, wie Solidarität aussehen kann.
Es ist in diesem Strukturverfahren nicht einfach so, dass es wenige trifft und damit alle gemeint sind. Es geht dem Staat nicht allein um Abschreckung und Zermürbung aufgrund der Länge, Kosten und hohen Straferwartungen in diesem Verfahren. Wie die SAO treffend und warnend klar stellt: „Denn sollte es zur Verurteilung nach §129 kommen, hat sich die Justiz einen neuen Präzedenzfall geschaffen, wonach die Verfolgung von politischen Gruppen maßgeblich erleichtert sein wird. Dann brauchen sie keine gemeinsamen Kassen, regelmäßige Treffen oder Mitgliederlisten mehr suchen, um zu verurteilen. Nachdem die „kriminelle Vereinigung“, wie auch „Landfriedensbruch“, eine Verurteilung ohne den Nachweis direkter Tatbeteiligung zulassen, soll nun nicht mal mehr eine feste Zugehörigkeit zu einer Gruppierung erforderlich sein“.
In den hier verhandelten Aktionen geht es konkret um militanten Antifaschismus. Was jedoch hinter 129er-Verfahren des Staatsschutzes steht, ist die Zielrichtung, dass Gegengewalt also mögliche solidarische militante Begleitung von unserer Seite erstickt werden soll, ob gegen Nazis, die Bundeswehr, Antifeminist:innen, den Parlamentarismus oder gegen Konzerne, die unsere Lebensgrundlagen zerstören.
Somit gibt es für uns zwei klare Argumente, um – neben der grundsätzlichen Haltung, Solidarität als Teil unseres Handelns zu betrachten – diesen Prozess zu verfolgen: die Unterstützung, Propagierung und somit das Aufrechterhalten von Formen des militanten Antifaschismus und der Strukturen, die dafür benötigt werden. Und die Erkenntnis, dass wir alle, die gegen die herrschenden Verhältnisse kämpfen, die Auswirkungen dieses Verfahrens zu spüren bekommen werden.
Daraus ergeben sich seit Bekanntwerden der Ermittlungen und der massiven Repression, wie der Gefangenschaft einer der Angeklagten, die Fragen: wo bleibt unsere Bezugnahme? Wo bleiben die Gegenwehr und die Verteidigung unserer Ideen? Warum ist es so still von unserer Seite aus, bei diesem gravierenden Angriff von Seiten des Staates?
Eine Antwort vermuten wir in der Art und Weise erkennen zu können, wie antifaschistische Aktionen durchgeführt werden. Zu all diesen Taten beispielsweise, die hier verhandelt werden, gab es keine Bekenner:innenschreiben und wir sind ungeübt solche Aktionen dann trotz dessen zu begleiten, zu diskutieren oder auch zu kritisieren. Ein Muster, das wir auch im Bezug auf andere antifaschistische Aktionen sehen, von denen wir, wenn überhaupt, nur aus der Presse erfahren oder wenn es zu Repression kommt. Für uns ist es bisher schwer als Bewegung Bezug zu nehmen, sich damit zu identifizieren, geschweige denn, ähnliche Mittel aufzugreifen.
Eine Antwort liegt vermutlich auch in der Schwere des staatlichen Angriffs, welcher es riskant erscheinen lässt, von sich aus den ersten Stein zu werfen. Vielleicht auch, weil von Seiten der Angeklagten nie etwas geschrieben oder veröffentlicht wurde.
Ein Grund könnte auch in der Art eines solchen Strukturverfahrens stecken, das immer damit zu kämpfen hat, dass Menschen zusammen gewürfelt werden, auf der Anklagebank und in den Solibündnissen. Sie haben sich nicht ausgesucht da hinein zu geraten, oder zumindest nicht damit gerechnet in dieser Konstellation zusammen zu sein.
Ein anderer Grund mag die Veröffentlichung mehrerer Outcalls zu sexualisierter Gewalt eines Beschuldigten sein und die schleppende Positionierung seines Umfeldes und des Soli-Bündnisses.
Wir wollen nicht so tun, als wäre für uns alles ein klarer Fall und Solidarität die bedingungslose Konsequenz jeder Repression. Wir wollen aber darüber diskutieren, inwiefern Solidarität und das Mitdenken von Repression in unseren Kämpfen ein essentieller Teil davon ist, weiter das tun zu können, was wir für richtig halten. Vor den Aktionen, nach den Aktionen, wenn wir hinter Gittern sitzen und wenn die Angst vor Konsequenzen unser Handeln mehr beeinflusst, als wir es uns eingestehen wollen.
Zuletzt vielleicht noch die Klarstellung, was wir mit einer militanten Begleitung meinen. Damit meinen wir öffentlich Geschriebenes und Aktionen, die uns und vor allem den Angeklagten und Beschuldigten aufzeigen, dass wir Teil ihrer und sie Teil unserer Kämpfe sind und wir damit auch die Konsequenzen teilen, die mit diesem Bekenntnis einhergehen und zeigen, dass wir hinter angeklagten Taten stehen und diese weiter führen.
Unabhängig davon, inwieweit die Angeklagten sich selber mit den Taten identifizieren, unabhängig von den konkreten Personen, die auf der Anklagebank sitzen, unabhängig davon, ob wir die Aktionen, die verhandelt werden richtig finden oder kritisieren oder ob wir uns selber in antifaschistischen Kämpfen verorten; dieser Angriff des Staates auf die vier Angeklagten und weiteren Beschuldigten soll sie brechen, heraus ziehen aus Strukturen oder von Strukturen isolieren und er wird es nicht dabei belassen.
Dieses Verfahren hat auch deswegen große Relevanz, weil die Ende 2019 gegründete Soko LinX lange keine Erfolge zu präsentieren hatte. Umso wichtiger war es für sie endlich mal einen Gerichtsprozess daraus zu werden zu lassen, begleitet von großem medialen Aufsehen und unterfüttert mit der ein oder anderen durchgestochenen Information, veröffentlicht in rechten Medien.
Die sächsischen Behörden haben nicht nur gute Kontakt zu Neonazis und Rechtskonservativen, sie sind auch selber Teil dieser Strukturen. Unter anderem das MEK Dresden, welches 2018 mehr als vierzehntausend Schuss Munition stahl, um damit ein Schießtraining bei einem Nordkreuz-Prepper zu bezahlen. Es sind die herrschenden Verhältnisse in denen sich Nazistrukturen fortsetzen und auf fruchtbaren Boden treffen. So gelten unsere Angriffe nicht nur organisierten Nazistrukturen sondern auch den Behörden.
Sich in die herrschenden Verhältnisse einzumischen ist nicht nur insofern Teil unserer Lebens, dass wir hier und da eine Aktion dagegen machen, sondern insofern, als dass wir uns damit aufeinander beziehen und ein Netzwerk aufbauen wollen, das es uns ermöglicht in diesen Verhältnissen sowohl zu leben als auch zu kämpfen. Wenn wir unsere solidarisch militante Begleitung nicht intensiver verfolgen, werden Aktionen, wie die körperliche Gewalt gegen Neonazi-Kader, Tropfen bleiben auf einem Stein, der nach wenigen Jahren in Form von Resignation und Rückzug ins konforme Leben, auf uns zurück fallen wird.
Freiheit und Glück für Lina und die anderen Angeklagten!
Unbekannte haben in der Nacht zum Sonntag mehrere Glasscheiben der sächsischen Landesvertretung in Berlin zerstört. Zudem besprühten sie die Fassade großflächig mit schwarzer Farbe, wie die Berliner Polizei mitteilte.
Mehrere Zeugen hätten die Polizei gegen 2.45 Uhr alarmiert. Sie hatten demnach beobachtet, wie vier Vermummte das Gebäude in der Brüderstraße in Berlin-Mitte mit Pflastersteinen bewarfen und mit Farbe besprühten. Anschließend flüchteten sie auf Fahrrädern in Richtung Alexanderplatz.
Der Polizeiliche Staatsschutz beim Landeskriminalamt (LKA) hat die Ermittlungen übernommen. Erkenntnisse zu den Hintergründen der Tat gebe es noch nicht, sagte eine Polizeisprecherin. Die Farbschmierereien beinhalteten keinen Schriftzug.
Der Leiter der Landesvertretung, Staatssekretär Conrad Clemens, reagierte betroffen. „Wer Scheiben einschlägt, nimmt bewusst in Kauf, dass Menschen verletzt werden“, sagte er. In dem Gebäude sei ein Beschäftigter eines Sicherheitsdienstes gewesen, zudem wohne der Hausmeister dort. Er habe einen Stein in der ersten Etage des Gebäudes gefunden, schilderte Clemens. „Hier ist alles voller Glasscherben.“ Der Schaden sei beträchtlich.
Clemens ging von einer geplanten Aktion aus. Aus seiner Sicht war den Tätern bewusst, dass sie nur wenige Minuten Zeit hatten, bevor der Sicherheitsdienst die Polizei alarmiert. Allerdings könne er keinen aktuellen Anlass als Hintergrund für die Tat erkennen, sagte Clemens der Deutschen Presse-Agentur.