Dies ist die erste Ausgabe einer unregelmäßig erscheinenden Publikation des Counter-surveillance resource center, eine Datenbank von Hilfsmitteln zur Umgehung zielgerichteter Überwachung.
Wir sind Anarchist·innen. Wir glauben an eine
internationale Koordination informeller anarchistischer Gruppen, um dem
Kampf gegen jegliche Formen der Herrschaft nachzugehen. Wir glauben,
dass das gegenseitige Teilen von Kenntnis über Fähigkeiten und Taktiken
unserer Feind·innen einen bedeutenden Teil dieser Koordination bilden
sollte. Die Kenntnis ist kein Selbstzweck, sondern ein Mittel zur
Begrenzung der Aussichten gefasst zu werden, damit wir weiter angreifen
können.
Unsere Feind·innen sind im Besitz von außerordentlichen
Einsatzmöglichkeiten und perfektionierten Taktiken. Auf ihrer Seite
steht die Polizei und das Justizsystem, die Wissenschaftler·innen und
Technokrat·innen, und in manchen Fällen die Unterstützung der
allgemeinen Bevölkerung. Sie kontrollieren riesige Infrastrukturnetze.
Sie haben unendliche Erinnerungsvermögen, Archive und DNA-Datenbanken.
Auf unserer Seite befindet sich das informelle und
dezentrale Wesen unserer Organisationen, Schatten, in denen wir uns
verstecken, und Solidarität, mit der wir einander in schwierigen Zeiten
helfen, damit die Kämpfe von Gefährt·innen weitergeführt werden, wenn
diese selbst es nicht mehr tun können.
Egal was passiert, wir machen Fehler und uns werden auch
weiterhin im Kampf gegen solch starke unterdrückerische Mechanismen
Fehler unterlaufen. Fehler, die uns immer mehr „kosten“ werden, im
Vergleich zu den Fehlern der Bullerei, die „neutralisiert“ werden. Wir
müssen geschehene Situationen wieder prüfen und sicherstellen, dass die
Fehler, die einmal passiert sind, ganz einfach nicht wieder vorkommen
können. Wir müssen die angesammelten Erfahrungen von so vielen Jahren
studieren und wertschätzen, unter der Beachtung der Tendenz, sich für
bereits stattgefundene Kämpfe vorzubereiten; anstatt für jene, die noch
kommen werden. Seien wir vorbereitet und möge Glück auf unserer Seite
sein…
Anarchistische Gefährt·innen aus Griechenland, aus einem Text aus dem Jahr 2013, der ausführlich über die Überwachung berichtet, die zu ihren Verhaftungen geführt hatte.
Unsere Feind·innen organisieren sich bereits auf einem
internationalen Niveau: Sie teilen Informationen, Taktiken, und
technologische und wissenschaftliche Entwicklungen. Das ist bedauerlich,
aber es bedeutet auch, dass ein Bericht von Gefährt·innen in einem Land
– über, sagen wir mal, eine gute Art und Weise im Umgang mit
DNA-Spuren, oder eine gefundene Wanze in einem besetzten Haus, oder ein
billiges Werkzeug für das Abschießen einer Drohne der Polizei – anderen
irgendwo sonst auf der Welt helfen könnte.
Gewiss sollte nicht alles öffentlich geteilt werden.
Manchmal sollten Informationen, die unseren Feind·innen noch unbekannt
sind, mit der Grundlage einer spezifischen Strategie oder eines
bestimmten Planes geheim bleiben. Aber im Übrigen: Lasst uns die
Kenntnis und die Erfahrungen teilen, und uns selbst organisieren!
Das Ziel der neulich herausgegebenen Bedrohungsbibliothek [Threat Library]
des Counter-Surveillance Ressource Centers ist einfach: Den Blick auf
die staatliche Aufstellung der repressiven Techniken richten, mit dem
Zweck, diese durch geschicktes Manövrieren zu überlisten. Die Bibliothek
dokumentiert zwei Dutzend verschiedene Überwachungs- und
Kontrollmethoden, aufgeteilt in drei Taktiken (Abschreckung [Deterrence], Belastung [Incrimination] und Verhaftung [Arrest])
und offeriert potenzielle Abschwächung, das heißt, Arten und Weisen der
Schadensbegrenzung, für jede·n Einzelne·n. Sie verbindet zudem Methoden
mit spezifischen repressiven Operationen, die vom Staat gegen
Anarchist·innen in den letzten paar Jahrzehnten ausgeführt wurden.
Die Bedrohungsbibliothek ist dafür gedacht, dir beim
Erstellen eines Bedrohungsmodells Hilfe zu leisten, ein Prozess, durch
den du versuchst zu verstehen, was für Arten von Maßnahmen der Staat
voraussichtlich gegen dich ausführen wird, damit du dich auf diese
vorbereiten kannst. Es wird am besten gemeinschaftlich mit den
Gefährt·innen erstellt, mit denen du an einem bestimmten Projekt
zusammenarbeitest. Ein gutes Bedrohungsmodell kann Angst oder Paranoia
zu Mut umwandeln, indem es uns eine genaue Vorstellung über das liefert,
was wir bekämpfen, und wir somit Schutzmaßnahmen treffen können. Mit
anderen Worten hilft es uns, über angemessene Operative Sicherheit
(OpSec) zu entscheiden.
Das CSRC empfiehlt die Bedrohungsbibliothek auf eine Weise
zu verwenden, mit der „Angriffsbäume“ erstellt werden können.
„Angriffsbäume sind ein Werkzeug, das eine kollektive Ideensammlung
darüber vereinfacht, wie ein·e Gegner·in einen erfolgreichen Angriff auf
dich innerhalb eines gegebenen Kontexts auf verschiedene Arten und
Weisen ausführen könnte, indem die Angriffe mit der Struktur eines
Baumes dargestellt werden“. Schau in der Anleitung [Tutorial] zur Bedrohungsbibliothek für einen Schritt-für-Schritt-Leitfaden nach.
Die Bedrohungsbibliothek kann auch zur Navigation von Hilfsmitteln außerhalb der Erstellung eines Bedrohungsmodells verwendet werden. Nehmen wir an, dass Anarchist·innen in meiner Umgebung eine Geschichte von Spion·innen und Informant·innen teilen, die zur Zerschlagung unserer Organisierung zum Einsatz kommen. Auf der Webseite wähle ich in der Bedrohungsbibliothek in der Spalte „Belastungen“ [Incrimination] das Thema „Spion·innen“ [infiltrators] aus. Mit weniger als 300 Wörtern teilt der Eintrag in fünf hauptsächliche Typen von Spion·innen auf, und offeriert drei mögliche Formen der Abschwächung (Angriff [Attack], Need-to-know-Prinzip, d.h. „Kenntnis nur, wenn nötig“, und Netzwerkvisualisierung [Network map exercise]). Wenn ich auf die Schaltfläche „Thema Spion·innen“ [infiltrators topic] klicke, erhalte ich eine Liste von 27 Texten, geschrieben von Anarchist·innen, die von Spion·innen in deren Netzwerken handeln. Meine Angst vor Spion·innen wird gelindert, indem ich einerseits die genauen Anzeichen kenne, nach denen ich Ausschau halten sollte und andererseits praktische Werkzeuge zur Stärkung meiner Vertrauensnetzwerke kenne.
Mit Themen, die von Türeklopfen über Hausdurchsuchungen bis
zu Spurensicherungen reichen, zielt die Bedrohungsbibliothek darauf ab,
umfassend und zugleich kurz und prägnant zu sein. Das CSRC bietet eine
riesige Menge an Informationen zu Repression und wie damit Umgegangen
werden kann, und die Bedrohungsbibliothek fasst sie alle für dich
zusammen und sortiert sie, damit diese auf praktische und einfache Art
und Weise analysiert werden können. Die Bedrohungsbibliothek ist im
Broschürenformat für einfaches lesen und verteilen erhältlich.
Gibt es eine Methode, eine Abwehrstrategie oder eine
repressive Operation, von der du denkst, dass sie fehlt? Möchtest du
einen derzeitig aufgelisteten Eintrag editieren? Um etwas hinzuzufügen,
zu verbessern, und Kritik oder Feedback zur Bedrohungsbibliothek mit uns
zu teilen, nimm mit uns Kontakt auf, via csrc@riseup.net.
Manchmal werden verwandte Begriffe zu Synonymen, und manchmal kann das auch in Ordnung sein.
Aber manchmal, wenn wir es uns erlauben den Unterschied
zwischen Begriffen zu verlieren, dann veranlasst dies uns auch dazu, ein
nützliches Stück an Bedeutung zu verlieren. Operative Sicherheit
(OpSec) und Sicherheitskultur sind zwei Begriffe, die ähnliche aber
unterschiedliche Bedeutungen in sich tragen, und beide sind notwendige
Teile einer anarchistischen Sicherheitspraxis gegen Repression.
OpSec verweist auf die spezifische Praxis, die genutzt
wird, um es zu vermeiden, bei einer bestimmten Aktion oder einem
bestimmten Projekt erwischt zu werden. Einige OpSec-Vorgehensweisen
beinhalten das Tragen von Handschuhen und Masken, die Verwendung von
unterschiedlichen Schuhen, die Maßnahmen, die es verhindern DNA-Spuren
zu hinterlassen, Schwarzerblock-Kleidung, die Verwendung von Tails für
den anonymen Zugriff auf das Internet, und so weiter. OpSec bewegt sich
auf dem Niveau der Aktion oder des Projekts. Diese Vorgehensweisen
können beigebracht werden, aber letztlich müssen bloß die Menschen, die
sich dazu entscheiden gemeinsam ein bestimmtes Projekt umzusetzen, sich
darauf einigen, welche OpSec-Vorgehensweisen sie nutzen wollen.
Gemäss Confidence Courage Connection Trust1 verweist die
Sicherheitskultur „auf eine Reihe von entwickelten Vorgehensweisen, die
zur Beurteilung von Risiken, zur Kontrolle des Informationsflusses durch
deine Netzwerke, und zur Schaffung von soliden organisierenden
Beziehungen dienen.“ Die Sicherheitskultur ereignet sich auf dem Niveau
der Beziehung oder des Netzwerks. Damit sie effizient sind, sollten
diese Vorgehensweisen so weit verbreitet werden, wie möglich.
Auf den ersten Blick mag OpSec als wichtiger erscheinen.
Wenn wir die Praxis haben, die wir zur Sicherheit benötigen, so die
Überlegung, was spielt es dann für eine Rolle, was andere Menschen im
Milieu anstellen? Viele Anarchist·innen stehen Milieus (zu Recht)
skeptisch gegenüber, und verstehen sich selbst nicht damit verbunden
oder angewiesen auf Menschen, mit denen sie keine enge Affinität teilen.
Innerhalb des anarchistischen Raums geht viel Energie in die
Perfektionierung von OpSec, was als angemessen erscheint, da es
vorzuziehen ist, nicht erwischt zu werden, wenn du eine offensive Aktion
umsetzen willst.
Allerdings ist auch die Sicherheitskultur wichtig, und
gutes OpSec ist kein Ersatz dafür. Sie stellt den sozialen Kontext zur
Verfügung – die Grundlage – auf der all unsere Aktivitäten aufgebaut
sind. Denn ob es dir nun gefällt oder nicht, wir sind alle in Netzwerke
eingebettet, und der Preis, den du für das komplette Abtrennen davon
bezahlst, ist hoch. Ohne eine stabile Grundlage ist es viel schwieriger
auf sichere Art und Weise zu handeln.
Um auf „Confidence Courage Connection Trust“
zurückzukommen: Die Autor·innen schreiben, dass es bei
Sicherheitskultur nicht darum geht, sich zu verschließen, sondern Wege
zu finden, die es erlauben auf sichere Art und Weise gegenüber
Verbindungen mit anderen offen zu bleiben. Dies beinhaltet ehrliche
Gespräche über Risiken und das Festlegen von grundsätzlichen Normen mit
breiteren Netzwerken als bloß den Menschen, mit denen wir beabsichtigen
zu handeln. Sicherheitskultur stagniert nicht – sie ist nicht bloß eine
Reihe von Regeln, die Menschen in „radikalen“ Subkulturen kennen
sollten. Sie muss dynamisch sein, auf der Grundlage von andauernden
Gesprächen und unseren besten Analysen über gegenwärtige
Respressionsmuster.
Vorgehensweisen wie das Bürgen für eine Person, die
Netzwerkvisualisierung, und Hintergrundüberprüfungen könnten den
Eindruck erwecken, sie seien Teil der OpSec, und sie mögen einen
wichtigen Teil innerhalb einer Planung von bestimmten Aktionen
darstellen, aber sie entspringen der Sicherheitskultur. Die
Sicherheitskultur beinhaltet die Frage „Was würde es für mich bedeuten,
dir zu vertrauen?“. Das bedeutet nicht, dass du für alle, die du kennst
bürgen musst oder dass du keine Zeit mit den Menschen verbringst, für
die du nicht deine Hand ins Feuer legen würdest. Es geht darum, dass du
dir dabei sicher bist, wem du wofür vertraust, und weshalb, und dass du
Mechanismen hast, mit denen du lernst, neuen Menschen auf sichere Art
und Weise zu vertrauen.
Kein Maß an guten Gewohnheiten, wie du über Aktionen
sprichst, die in deiner Stadt auftreten (Sicherheitskultur), werden dich
schützen, wenn du deine DNA am Handlungsort hinterlässt (OpSec), und
keine Anzahl an aufgedeckter physischer Überwachung (OpSec) wird dich
vor einer verdeckt ermittelnden Bullenschaft schützen, wenn diese sich
mit deiner mitbewohnenden Person anfreundet, um näher an dich
heranzukommen (Sicherheitskultur). Die Vorgehensweisen von OpSec und
Sicherheitskultur sind unterschiedlich, und das eine ist kein Ersatz für
das andere. Mit dem Entwickeln von umfassenderen Verständnissen beider
Rahmenbedingungen können wir versuchen uns selbst und einander aus dem
Gefängnis herauszuhalten, während wir den Aufbau von Verbindungen
fortführen und informelle Netzwerke und Affinität vergrößern.
In diesem Abschnitt möchten wir kurze Notizen teilen, die
sich innerhalb des Rahmens des CSRC bewegen aber nicht für einen eigenen
Eintrag auf der Webseite genügten. Du kannst uns solche Notizen
zuschicken, wenn du sie in der nächsten Ausgabe veröffentlicht haben
möchtest.
Im Zuge von Brandstiftung an Fahrzeugen von Enedis
(verantwortlich für die Verwaltung des Elektrizitäts-Vertriebsnetzes in
Frankreich) und an einem bedeutenden Füllsender, wurden 2021 mehrere
Menschen in Frankreich verhaftet. Ein Text
auf Französisch berichtet ausführlich über die interessante Reichweite
von Überwachungsmethoden, die ihrer Verhaftung vorangingen: Beschattung,
die DNA-Sicherung an einem Autotürgriff während dessen Besitzer·in
einkaufen war, das nächtliche Eindringen in eine Wohnung, um einen
Keylogger auf einem Computer zu installieren, die Aufforderung an
Enedis, eine Liste jener Menschen bereitzustellen, die die Installation
des neuen „smarten“ Elektrizitätszählers verweigerten, den sie überall
installieren, und die Aufforderung an eine lokale Zeitung, jene
IP-Adressen zur Verfügung zu stellen, die sich Zugang zu ihrem Artikel
zur Brandstiftung verschafft haben.
Im Jahr 2022 wurden zwei Anarchist·innen in Italien
verhaftet und mit dem Vorwurf der Herstellung und des Besitzes von
Sprengstoff angeklagt. Ein Text
erklärt, dass die Ermittlung, die zur Verhaftung führte, zu dem
Zeitpunkt anfing, als eine „unbekannte Person“ Sprengstoff,
Elektromaterialien und andere Vorrichtungen im Juni 2021 in einem Wald
gefunden hatte. Danach stellten die Bullen Foto/Video-Fallen auf, um all
diejenigen zu „fangen“, die sich in die Nähe des Gebietes bewegten.
Später wurde eine Person von hinten, in der Nähe der Stelle
fotografiert, und die Polizei behauptete anschließend diese erkannt und
identifiziert zu haben.
Zum Schluss dieses Abschnitts gibt es hier ein hoffnungsvolles Zitat aus einem Kommuniqué,
das behauptet, für die Brandstiftung an einem Bürogebäude des
Bauunternehmens eines Knastbaus in Deutschland verantwortlich zu sein:
Um auf den Überwachungskameras keine guten Bilder zu
produzieren, trugen wir Regenponchos, die für eine Verschleierung von
Körperform und Gangart sorgen. Um unsere Kopfform unkenntlich zu machen,
benutzten wir Hüte. Die Weiterentwicklung der Videoauswertung bereitet
vielen Genoss·innen Sorge, wir wollen mit diesem Einblick Möglichkeiten
aufzeigen, sich gegen diese Überwachungstechnik zu wehren.
Wir schlagen die Nutzung der CSRC-Webseite vor, um die
Kenntnis und die Erfahrungen zu den Themen der zielgerichteten
Überwachung unter Gefährt·innen auf erleichterte Art und Weise zu
teilen.
Schau dich innerhalb der 180+ Hilfsmittel auf csrc.link um, die Seite ist auch via Tor Browser mit einer .onion Adresse aufrufbar.
Drucke unsere brandneuen Aufkleber aus und verteile sie.
Wirke mit, indem du uns eine E-Mail an csrc@riseup.net
sendest – wenn du verschlüsseln möchtest, dann findest du unseren PGP
key hier.
- Steck dein Telefon in Brand
- Wirf dein Telefon in den Kanal
- Wirf die Telefone deiner Freund·innen in ein noch größeres Feuer
- Wirf alle Telefone in den Kanal
- Bring nicht immer dein Telefon mit (irgendwer könnte es ins Feuer werfen)
- Sprecht miteinander, nicht mit euren Bildschirmen
- Zerstöre Beweismittel (zurück zum Tipp 1 und 2) und lass nicht zu, dass Andere Beweismittel erstellen (zurück zu Tipp 3 und 4)
- Mach den Gebrauch von Telefonen zum Thema
- Sei über das Telefon unerreichbar, sei sozial
- Scheiß auf Technologie
Rumoer n°5, „Ten tips to trash telephones“